# taz.de -- Diskriminierung an Berlins Schulen: „Eine gesetzliche Regelung is… | |
> Gegen Diskriminierung in der Schule gibt es in Berlin bislang kein | |
> Gesetz. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft will das ändern. | |
Bild: Was tun, wenn hier diskriminiert wird? | |
taz: Herr Ilius, warum braucht Berlin noch eine unabhängige | |
Beschwerdestelle für Diskriminierungsfälle in Schulen? Der Senat hat doch | |
im Januar eine eröffnet? | |
Carsten Ilius: Das ist eine Frage der Begrifflichkeit. Es gibt bisher keine | |
unabhängige Beschwerdestelle, wie wir sie fordern: eine Stelle also, die in | |
allen Schulen umfassende Untersuchungsrechte hat, auch Akten einsehen kann. | |
Es gibt verschiedene Beratungsangebote und informelle | |
Beschwerdemöglichkeiten, etwa bei der Schulleitung oder der | |
Senatsschulverwaltung. Die sind unserer Ansicht nach aber nicht effektiv | |
für den Schutz vor Diskriminierung. | |
Bevor wir über diesen Schutz sprechen: Worum geht es konkret, wenn wir von | |
Diskriminierung an Schulen reden? Wer diskriminiert da wen? | |
Diskriminierung an Schulen kann viele unterschiedliche Formen annehmen. | |
SchülerInnen werden durch Lehrkräfte diskriminiert, LehrerInnen können | |
untereinander oder mit anderen in der Schule Beschäftigten Diskriminierung | |
erleben. Meine Kollegin Maryam Haschemi Yekani, mit der ich das Gutachten | |
für die GEW erstellt habe, und ich haben deshalb versucht, den | |
Diskriminierungsbegriff möglichst weit zu fassen in dem Sinne, wie er im | |
Landesschulgesetz auch schon vorgesehen ist: also ein | |
Diskriminierungsbegriff, der über die aus dem allgemeinen | |
Gleichbehandlungsbegriff hinaus auch die Diskriminierung aus sozialen | |
Gründen erfasst. | |
Es gibt also bereits einen Schutz gegen Diskriminierung im Schulgesetz? | |
Nein. Im Schulgesetz gibt es nur ein allgemeines Gebot, dass nicht | |
diskriminiert werden soll. Aus einem solchen Gebot lässt sich aber | |
juristisch kein unmittelbares Recht ableiten. Das ist eher eine | |
Handlungsanweisung an die in der Schule Tätigen. | |
Muss es also, bevor es eine Anlaufstelle geben kann, erst ein | |
entsprechendes Gesetz geben? | |
Ja. Eine gesetzliche Regelung ist notwendig. Der erste Schritt wäre eine | |
Änderung des Schulgesetzes. Dieses braucht eine klare | |
Antidiskriminierungsvorschrift. Zu deren Umsetzung muss es dann ein | |
gesetzliche Regelungen über eine entsprechende Beschwerdestelle geben, | |
entweder als Teil des Schulgesetzes oder als eigene gesetzliche Regelung. | |
Warum braucht die Beschwerdestelle ein eigenes Gesetz? | |
Zum einen, um ein transparentes formales Verfahren zu regeln, bei dem klar | |
ist, welche Rechte diejenigen haben, die sich beschweren, aber auch | |
diejenigen, gegen die die Beschwerde erfolgt. Zum zweiten, weil die Stelle | |
mit umfassenden Befugnissen ausgestattet werden muss, damit sie die | |
Beschwerde effektiv untersuchen kann. Soll eine solche Beschwerdestelle | |
etwa in der Lage sein, ZeugInnen einzuladen und diese auch dazu zu | |
verpflichten, zu kommen, muss das eine staatliche und gesetzlich | |
legitimierte Stelle sei. | |
Es gibt doch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Reicht das | |
nicht? | |
Erstens erfasst das AGG SchülerInnen an öffentlichen Schulen gar nicht. Und | |
zweitens sind die dort vorgesehenen Sanktionen für den Problembereich | |
Schule ganz ungeeignet. Im AGG sind Entschädigungsregelungen vorgesehen. | |
Konflikte in der Schule müssen aber bereinigt werden, indem die belastende | |
Situation für das oder die Diskriminierungsopfer möglichst schnell beendet | |
wird. Ob es da dann Monate später noch eine Entschädigung gibt, ist meist | |
zweitrangig. | |
Diskriminierung wird ja oft als etwas quasi „Gefühltes“ betrachtet: Jemand | |
fühlt sich diskriminiert, die Gegenseite fühlt sich missverstanden. Wie | |
kann man das in Gesetze fassen – zumal es ja auch Diskriminierung ohne | |
klare umrissene Täter und Opfer gibt: etwa, wenn Schulklassen nach | |
ethnischer Herkunft eingeteilt werden, und einige Betroffene stört das gar | |
nicht. | |
Man kann das juristisch mit dem Begriff der mittelbaren Diskriminierung | |
fassen: Da geht es etwa um Maßnahmen, die gar nicht direkt zur | |
Diskriminierung gedacht sind, aber zu solcher führen. | |
Heißt eine gesetzliche Regelung, dass Diskriminierung immer vor ein Gericht | |
führt? | |
Nein. Es geht ja in erster Linie um eine kurzfristige Lösung von | |
Diskriminierungsfällen an Schulen. Da muss man natürlich zuerst sehen, ob | |
das Problem mit einem Schlichtungsverfahren gelöst werden kann. Nur wenn | |
das nicht möglich ist oder die Betroffenen damit nicht einverstanden sein | |
sollten, muss es möglich sein, dass auch rechtliche Sanktionen ergriffen | |
werden. Um das auf einer klaren und sicheren Grundlage tun zu können, | |
braucht die Beschwerdestelle entsprechende Befugnisse. Hier liegt auch der | |
Grund, weshalb wir dagegen sind, dass die Stelle bei der | |
Senatsbildungsverwaltung angesiedelt ist. | |
Wo denn? | |
Sie muss außerhalb dieser Hierarchie angesiedelt sein, um eine faktische | |
Unabhängigkeit herzustellen. Man könnte an eine Konstruktion denken wie | |
etwa beim Datenschutzbeauftragten, der ist eine Art unabhängiger | |
Ombudsmann. | |
Nun hat die Senatsverwaltung für Bildung ja schon eine Anlaufstelle | |
eingerichtet, sie hat das Problem also offenbar erkannt. Aber was heißt das | |
für Ihren Vorstoß: Ist es ein gutes Zeichen, rennen Sie offene Türen ein? | |
Oder wird man Ihren Vorschlag einer gesetzlichen Regelung und unabhängigen | |
Beschwerdestelle mit dem Hinweis auf die bereits existierende ablehnen? | |
Die im Januar vom Senat vorgestellte Anlaufstelle ist ja zunächst eine | |
Beratungsstelle. Dass die Senatsverwaltung damit zeigt, dass sie das | |
Problem erkannt hat, ist erfreulich. Unserer Auffassung nach wird sie aber | |
nicht daran vorbeikommen, effektiven Rechtsschutz und ein formalisiertes | |
staatliches Verfahren gegen Diskriminierung sicherzustellen. Das sind zwei | |
verschiedene Paar Schuhe. | |
25 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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Gleichbehandlungsgesetz | |
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