# taz.de -- Euthanasie in den Niederlanden: Ein Ort zum Sterben | |
> Eine "Lebensende-Klinik" will Patienten mit "aussichtslosem und | |
> untragbarem Leiden" auf deren Wunsch im eigenen Heim töten. Es wird mit | |
> 1.000 Anfragen jährlich gerechnet. | |
Bild: Seit April 2002 gibt es ein Gesetz in den Niederlanden, das Ärzte bei ak… | |
DEN HAGG taz | Niederländer, die ihr Leben beenden wollen, können sich ab | |
1. März bei einer "Levenseindekliniek" melden. Voraussetzung ist, dass ihr | |
Euthanasie-Wunsch durch das geltende Gesetz gedeckt ist und der eigene | |
Hausarzt die Bitte um Sterbehilfe nicht erfüllen will. Die Vereinigung für | |
ein freiwilliges Lebensende (NVVE) in Amsterdam hat diese Klinik initiiert. | |
Petra de Jong, Direktorin der NVVE, erwartet, dass "etwa 1.000 Menschen | |
jährlich" in der sogenannten Lebensendeklinik Hilfe suchen werden. "Die | |
Klinik ist für körperlich unheilbar Kranke", sagt de Jong, "für chronisch | |
psychiatrische Patienten und für Menschen mit beginnender Demenz. | |
Die Patienten müssen eine sorgfältige Prozedur durchlaufen, in der die | |
Ärzte beurteilen werden, ob die Bitte um Euthanasie freiwillig und wohl | |
überlegt ist und ob ein aussichtsloses und untragbares Leiden vorliegt." | |
Man könne "nicht einfach in der Klinik anrufen und sagen, dass man sterben | |
will und dann geschieht das". | |
"Später in diesem Jahr soll die Klinik auch mit ein bis zwei Betten | |
ausgestattet werden für Menschen, die zu Hause nicht sterben können oder | |
wollen, weil zum Beispiel Kinder im Haus sind, oder die in einer | |
Einrichtung leben und dort nicht sterben möchten." | |
## Von der Strafverfolgung freigestellte Ärzte | |
Euthanasie und Hilfe bei der Selbsttötung ist prinzipiell strafbar in den | |
Niederlanden. Doch gilt seit April 2002 ein Gesetz, das Ärzte bei aktiver | |
Sterbehilfe von der Strafverfolgung freistellt, wenn bestimmte Kriterien | |
erfüllt sind und nachweislich sorgfältig gehandelt wird. | |
Sterbehilfe ist nur erlaubt bei einer freiwilligen, wiederholten, wohl | |
überlegten Bitte eines Patienten und nur, wenn der Patient an einer | |
klassifizierbaren Krankheit "unerträglich und aussichtslos leidet" und wenn | |
es keine Alternativen gibt. Ein zweiter Arzt ist hinzuzuziehen. | |
Die Beendigung des Lebens muss medizinisch sorgfältig durchgeführt werden. | |
Der Arzt muss Euthanasie melden. Eine Kommission überprüft später den Fall. | |
Rund 2.300 Menschen sterben jährlich auf diese Weise. Krebs ist die | |
Hauptursache für aktive Sterbehilfe. | |
Ob Petra de Jong Protest befürchtet, wenn die Klinik öffnet? "Eigentlich | |
nicht", sagt sie. "Die Menschen, die gegen Euthanasie sind, sind dies | |
häufig aus religiösen Gründen. Aber die Kirchen spielen in den Niederlanden | |
keine große Rolle mehr." Kritisch geäußert zu der Klinik habe sich | |
allerdings die KNMG, die niederländische Vereinigung der Ärzte. | |
## Frühzeitig ansprechen | |
Lode Wigersma, Arzt und einer der KNMG-Direktoren moniert, dass dann zwei | |
Ärzte den Patienten betreuen. "Ich frage mich, ob es Patienten nicht | |
verwirrt, wenn ein Arzt wegen der Bitte um Euthanasie kommt und ein anderer | |
sich um die medizinische Versorgung kümmert." Seiner Ansicht nach sollte | |
das Thema Euthanasie frühzeitig angesprochen werden, damit klar ist, ob ein | |
Arzt Sterbehilfe geben würde. "Bespricht man es zu spät, ist das eine | |
schlechte Versorgung." | |
Ein anderer Kritikpunkt ist die Bezeichnung "Levenseindekliniek". "Das | |
weckt Erwartungen bei Menschen, die Sterbehilfe wollen, weil sie nicht mehr | |
leben möchten, die lebensmüde sind, ohne krank zu sein. Sie werden sich | |
melden, weil sie glauben, ihnen werde geholfen. Aber das ist nicht so." | |
Lode Wigersma fürchtet deshalb, dass Patienten, die Sterbehilfe bekommen | |
könnten, zu lange warten müssen. Dass die Klinik Kontakt zum Arzt des | |
Patienten aufnehmen will, findet Wigersma gut. Wie viele Ärzte aus | |
Gewissensgründen oder religiöser Überzeugung nicht an Euthanasie mitwirken | |
wollen, ist Wigersma nicht bekannt. | |
## Kranke an Kollegen vermitteln | |
"Ärzte, die religiöse oder ethische Gründe haben, sagen es im Allgemeinen. | |
Es geht vor allem um Ärzte, die keine Gewissensgründe haben, aber in dem | |
Moment, wenn die Frage nach Euthanasie auftaucht, sagen, das kann ich | |
nicht, das will ich nicht." Selbstverständlich könne sich jeder Arzt | |
weigern, Sterbehilfe zu leisten. Aber er solle dann dafür sorgen, dass der | |
Kranke an einen Kollegen vermittelt wird. | |
"Ich finde, man kann Patienten nicht einfach allein lassen." Die | |
Gesundheitsministerin Edith Schippers hat keine Einwände gegen ambulante | |
Euthanasieteams. Sie würde es aber vorziehen, dass der Hausarzt dem Kranken | |
Sterbehilfe leistet. Sie will keine Verweispflicht einführen. Das würde | |
suggerieren, dass ein Recht auf Sterbehilfe besteht, und davon kann nicht | |
die Rede sein. | |
20 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Gunda Schwantje | |
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