# taz.de -- Als Knipsen Kunst wurde | |
> Vor 50 Jahren entstand in Hannover Spectrum – Deutschlands erste | |
> nichtkommerzielle Foto-Galerie: Das Sprengel-Museum würdigt die | |
> Pioniertat mit einer Ausstellung | |
Bild: Kameramann vor der Außenansicht der Spectrum-Fotogalerie Hannover anläs… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
Bis weit in die 1970er Jahre galt in Deutschland die Fotografie, anders als | |
etwa in den USA, nicht als Kunst. Der Disziplin war es hierzulande nicht | |
gelungen, in den Nachkriegsjahren an ihre Erfolge im frühen 20. Jahrhundert | |
anzuknüpfen, als das Neue Sehen, die klare Sachfotografie oder | |
experimentell surrealistische Auslegungen zu einer auch international | |
wahrgenommenen künstlerischen Avantgarde aufstiegen. Lange hatte die | |
deutsche Fotografie zudem mit den Folgen ihrer propagandistischen | |
Vereinnahmung während des NS-Regimes zu kämpfen. Ihr Status blieb auf ein | |
nun demokratisch legitimiertes und wirkmächtiges, aber funktional | |
definiertes Gebrauchsmedium für Zeitung oder Werbung reduziert. | |
Während die bildenden Künste der klassischen Moderne durch die Basisarbeit | |
der vielen deutschen Kunstvereine und, ab 1955, die Documenta in Kassel | |
ihre Rehabilitierung erfuhren, musste die Fotografie bis zur fünften | |
Documenta 1972 warten – und wurde dann doch nur als Bildjournalismus oder | |
als Basis fotorealistischer Monumentalgemälde gewürdigt. | |
In dieser unbefriedigenden Situation ergriffen in Hannover 23 | |
Fotograf:innen rund um den Dozenten sowie Chronisten norddeutscher | |
(Agrar-) Landschaften, Heinrich Riebesehl (1938–2010), die Initiative: Sie | |
gründeten die erste nichtkommerzielle, von einem Verein getragene | |
Fotogalerie in Westdeutschland. | |
Die Stadt Hannover stellte Räumlichkeiten in der Karmarschstraße zur | |
Verfügung und spendierte projektbezogene Budgets. Im April 1972 konnte die | |
Arbeit der „Spectrum Photogalerie Hannover“ aufgenommen werden, sie blieb | |
bis 1979 in ihren Räumen, zog dann ins neue errichtete Kunstmuseum der | |
Stadt, heute das Sprengel Museum. Nach 1991 ging sie dort in einer | |
Abteilung und Sammlung für Fotografie auf, professionell betreut durch | |
Thomas Weski. | |
In den knapp 20 Jahren ihres Bestehens gelang es der Galerie, fast 90 | |
Ausstellungen zu veranstalten, die, wie ihr programmatischer Name | |
klarstellte, ein breites Spektrum westeuropäischer und US-amerikanischer | |
Gegenwartsfotografie zeigen wollte, aber auch historische Positionen. | |
Plakate und Publikationen zu wohl den meisten Ausstellungen unterstrichen | |
die künstlerischen wie auch medientheoretischen Ambitionen der Galerie. | |
Seit 2001 ist Inka Schube Kuratorin für Fotografie und Medienkunst im | |
Sprengel-Museum. Sie organisierte nun zum 50sten Gründungsjubiläum der | |
Spectrum Photogalerie eine Überblicksausstellung, die anhand von 90 Werken | |
aus den Beständen des Hauses nicht nur an die Arbeit der Galerie erinnern | |
möchte. Sie will vor allem den schwierigen Weg der neuerlichen | |
künstlerischen Emanzipation der Fotografie hin zu einer später so | |
bezeichneten Autorenfotografie, oder international: New German Photography, | |
nachzeichnen, den die Galerie zu ebnen mithalf. „Vom Beginnen“, so der | |
Titel, startet seine chronologische Linie mit [1][Umbo, eigentlich Otto | |
Maximilian Umbehr], 1902 in Düsseldorf in nicht üppige Verhältnisse | |
geboren, 1980 vollends verarmt in Hannover verstorben. Er gilt als | |
unkonventioneller „Bauhaus-Fotograf“, obwohl während seines | |
Studienaufenthalts, zwischen 1921 und 1923, am Weimarer Institut noch gar | |
keine entsprechende Lehrabteilung existierte und er erst ab 1926 zur | |
Fotografie fand – per Zufall. Ihm gebührte 1979 in der Spectrum-Galerie | |
seine erste Einzelausstellung der Nachkriegszeit. 2016 überraschte das | |
Sprengel Museum mit der Nachricht, sich am Erwerb des offiziell 3,4 | |
Millionen Euro teuren Nachlasses zu beteiligen. | |
Ein sozialpolitisch motivierter Dokumentarfotograf war Walter Ballhause | |
(1911–1991), der nach 1933 seine Tätigkeit vorübergehend einstellte, | |
während Hein Gorny (1904–1967) als Industriefotograf für die hannoverschen | |
Firmen Bahlsen und Pelikan im NS-Regime „überwinterte“. Mit neuen Abzügen | |
aus seinem Nachlass eröffnete 1972 die Spectrum-Galerie. Einer der weiteren | |
Meilensteine waren die gestrengen, typologischen Inventarisationen | |
historischer Industriearchitekturen durch Bernd und Hilla Becher. Sie | |
reüssierten 1968 in den USA, sahen doch die dortigen New Topographics um | |
Lewis Baltz oder Robert Adams in ihnen geistige Weggefährten. Letzterer | |
stellte zwar nie in der Spectrum-Galerie aus, allerdings wurde der 1937 | |
Geborene im Jahr 1994 der erste Träger des nach der Galerie benannten | |
internationalen Preises für Fotografie, den die Stiftung Niedersachsen | |
seitdem regelmäßig verleiht. Im nächsten Jahr wird Adrian Sauer | |
ausgezeichnet, der 1976 in Ost-Berlin geborene Stiefsohn von Angela Merkel. | |
Er hat aus der Tradition einer bildanalytischen Fotografie das Verhältnis | |
von Malerei und Fotografie in die künstlerischen Debatten unserer Gegenwart | |
getragen, so die Jury. | |
Selbstverständlich, dass Sauer mit der Farbfotografie arbeitet, ein Medium, | |
dem in Deutschland lange der Ruch des Gewerblichen, der angewandten | |
Fotografie anhaftete. Wieder ganz anders die USA: Hier begann William | |
Eggleston, 1939 in eine wohlhabende Südstaatenfamilie geboren, bereits um | |
1965, den banalen amerikanischen Alltag in Bildern suggestiv leuchtender | |
Farbigkeit einzufangen, oft über das sündhaft teure Dye-Transfer-Verfahren | |
der Werbegestaltung umgesetzt. | |
Unter den 15 in Hannover vertretenen Protagonist:innen, die eine | |
individuell künstlerische Haltung in der Fotografie beförderten, sind | |
leider nur zwei Frauen. Zum einen ist es die US-Amerikanerin Diane Arbus | |
(1923–1971), sie belebte mit ihren unsentimentalen Porträts auch sozial | |
Randständiger das Genre neu. Und zum Zweiten die Hannoveraner | |
Pressefotografin Karin Blüher. 1937 ebendort geboren, zählt sie zu den | |
frühen Aktiven der Galerie, war Schatzmeisterin im Trägerverein. Eine ihrer | |
Porträtaufnahmen wurde Katalogtitel zur zweiten Ausstellung der | |
Spectrum-Galerie, „Gesichter. 17 Photographen aus Hannover“. So zeigt sich, | |
dass in der Branche, jenseits des Künstlerischen, ja noch ganz andere | |
Emanzipationsdefizite schlummerten. | |
Vom Beginnen. 50 Jahre Spectrum Photogalerie, Sprengel Museum Hannover. Bis | |
30. 10. | |
26 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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