| # taz.de -- Alfred Grosser in der Paulskirche: Die Leiden der anderen | |
| > Alfred Grosser ermahnte in seiner Rede zum 9. November in der Paulskirche | |
| > den Westen. Der von vielen erwarteten Eklat blieb aus, versöhnliche Worte | |
| > waren zu vernehmen. | |
| Bild: Ohne provozierende Geste: Alfred Grosser. | |
| Keinen Eklat gab es bei der Veranstaltung zur Erinnerung an die Pogrome vom | |
| 9. November 1938 in der Frankfurter Paulskirche. Vorher war es zu einer | |
| harten Auseinandersetzung zwischen Vertretern des Zentralrats der Juden und | |
| Alfred Grosser, dem Hauptredner gekommen. Grosser war vorgeworfen worden, | |
| in seiner Kritik an Israel weit übers Ziel hinauszuschießen und deswegen | |
| nicht der geeignete Mann für diesen Termin zu sein. Alle drei Redner - die | |
| Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, Dieter Graumann, Vizepräsident | |
| des Zentralrats der Juden, und der französische Politikwissenschaftler | |
| Alfred Grosser - waren sichtlich darum bemüht, die Wogen zu glätten. | |
| Petra Roth erinnerte an die Verpflichtung von Juden wie Nichtjuden, gegen | |
| jede Form der Ausgrenzung die Stimme zu erheben. Denn die Spuren des | |
| Verbrechens, das mit der Ermordung von Millionen von Juden endete, führten | |
| zurück zur sozialen Diskriminierung von Personen, zu deren schleichender | |
| Entrechtung bis hin zu willkürlichen Verhaftungen. | |
| Dieter Graumann gab sich versöhnlich und wünschte sich eine "harmonische | |
| und einträchtige Gedenkveranstaltung in Würde". Er vermied jeden Angriff | |
| auf Grosser, betonte jedoch: "We agree to disagree", sagte er wörtlich. | |
| Auch andere Konfliktlinien benannte Graumann nannte unter anderem die | |
| bevorstehende Seligsprechung von Papst Pius XII., der die Auslieferung der | |
| römischen Juden an die Nazis duldete, und die Aktivität der NPD, für deren | |
| Verbot sich Graumann stark macht. | |
| Eine Herausforderung für die jüdischen Gemeinden sieht Graumann darin, dass | |
| heute 90 Prozent von deren Mitgliedern aus Russland stammen. In der | |
| Erinnerung dieser Menschen spielt der 9. November keine, der 9. Mai - der | |
| in der Sowjetunion gefeierte Tag des Sieges über den Faschismus - eine | |
| prägende Rolle. | |
| Alfred Grosser hatte sich schon vorab versöhnlich gezeigt, dennoch stieg | |
| die Spannung spürbar, als er in der Paulskirche das Podium betrat und - | |
| "bevor ich zum Brenzligen komme" - einige Bemerkungen machte zu den | |
| Pogromen von 1938 und zum Sinn des Gedenkens daran. Auf den Konflikt wegen | |
| seiner Einladung und seiner Kritik an der israelischen Politik in den | |
| besetzten Gebieten ging Grosser nicht explizit ein. | |
| Er bekräftigte aber seine Position mit dem Hinweis auf die Rede des | |
| Friedenspreisträgers David Grossmann, die Gespräche zwischen Helmut Schmidt | |
| und Fritz Stern sowie die Rede des Exbundespräsidenten Köhler in der | |
| Knesset: Sie alle sprachen sich dafür aus, dass die Menschenrechte | |
| unteilbar sind und selbstverständlich auch für die Palästinenser gelten - | |
| so wie es der israelische Ministerpräsident David Ben Gurion 1948 | |
| unmissverständlich versprochen hatte. | |
| Gegen Ende seiner beeindruckenden Rede kam Grosser auf jene beiden | |
| Grundsätze zu sprechen, die sein Denken und Handeln leiten. Erstens gelte | |
| es immer, "die Anerkennung der Leiden der anderen" zu berücksichtigen. Um | |
| die eigene Glaubwürdigkeit zu bewahren, müsse der Westen "exemplarisch | |
| auftreten" - nicht nur seinen Gegnern, sondern auch seinen Freunden | |
| gegenüber. Und zweitens halte er sich an die Einsicht des Aufklärers | |
| Immanuel Kant, wonach Befreiung von Menschen nur gelingen kann, wenn man | |
| diese nicht entwurzelt. Das Publikum dankte dem Redner für die klaren Worte | |
| mit Standing ovations. | |
| 10 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Walther | |
| ## TAGS | |
| Deutschland | |
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