| # taz.de -- ARD-Film über den Fall Barschel: Selbstmord ist „langweilig“ | |
| > „Der Fall Barschel“ erzählt den Politskandal als Thriller. Der | |
| > dreistündige ARD-Film ist gespickt mit Spekulationen und | |
| > Verschwörungsgeraune. | |
| Bild: Der nachgestellte Barschel-Tod im ARD-Film. | |
| Keine neuen toxikologischen Befunde, keiner der von Journalisten so | |
| geliebten Jahrestage. Warum ist der historische Fall des Politikers Uwe | |
| Barschel trotzdem wieder Thema? Weil die ARD am Samstagabend einen | |
| dreistündigen neuen Film, „Der Fall Barschel“, dazu zeigt. Im Anschluss | |
| gibt es die mittlerweile obligate Doku zum Film. | |
| Zur Erinnerung: Der CDU-Politiker Uwe Barschel war die Hauptfigur in einem | |
| der größten Politikskandale der bundesdeutschen Geschichte. Kurz vor der | |
| Landtagswahl in Schleswig-Holstein meldete Der Spiegel 1987, dass der | |
| sogenannte Medienreferent Reiner Pfeiffer im Auftrag des | |
| Ministerpräsidenten Barschel kriminelle Kampagnen gegen den | |
| aussichtsreichen Herausforderer Björn Engholm (SPD) organisiert habe. | |
| Barschel gab sein Ehrenwort, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe haltlos | |
| seien, aber seinen Absturz konnte er damit nicht aufhalten. | |
| Einen Tag bevor Barschel vor dem Untersuchungsausschuss aussagen sollte, | |
| fanden ihn zwei Stern-Reporter am 11. Oktober 1987 im Genfer Hotel | |
| Beau-Rivage tot in der Badewanne seines Zimmers auf. Bei der Autopsie | |
| konnte ein tödlicher Mix aus acht Medikamenten nachgewiesen werden, die | |
| Genfer Staatsanwaltschaft ging von einem Suizid aus. Weil einige | |
| Tatumstände nicht aufgeklärt und bei den Ermittlungen Fehler gemacht | |
| wurden, hält sich bis heute die Mordthese inklusive Dutzender Spekulationen | |
| und Verschwörungstheorien. | |
| Immer wieder beschäftigte sich die Öffentlichkeit seitdem mit dieser Affäre | |
| und vor allem mit der Frage „Mord oder Selbstmord?“, Beiträge zur Debatte | |
| gab es auch in Form von TV-Filmen und unzähligen Dokus. Trotzdem glaubt | |
| Kilian Riedhof, Regisseur und Autor, dass sein Film „Der Fall Barschel“, | |
| einen neuen Impuls liefert. „Das Thema hat gerade heute eine große | |
| Relevanz, weil jetzt vieles vorstellbar ist, was 1987 noch undenkbar war“, | |
| sagt er. | |
| „So gibt es aufgrund vieler Enthüllungen im Zusammenhang mit dem | |
| NSA-Skandal kein Grundvertrauen in staatliche Stellen wie den BND mehr. | |
| Deshalb bekommt die Frage nach einem Mord eine völlig neue Qualität. Geht | |
| man etwa davon aus, dass Barschel ermordet wurde, weil er zu viel über | |
| Waffengeschäfte wusste – und dafür gibt es einige Indizien –, dann müssen | |
| auch offizielle deutsche Stellen davon gewusst haben. Das wiederum hieße: | |
| Im Dreieck aus Politikelite, Waffenindustrie und Geheimdiensten haben sich | |
| Netzwerke entwickelt, die völlig eigenständig agieren und so unsere | |
| Demokratie bedrohen. Dem müssen wir nachgehen.“ | |
| ## Die Produktion hat internationales Niveau | |
| Im Mittelpunkt seines Thrillers stehen die beiden frei erfundenen | |
| Journalisten David Burger (Alexander Fehling) und Olaf Nissen (Fabian | |
| Hinrichs), die 1987 für eine ebenfalls fiktive Tageszeitung eine Lüge | |
| Barschels (Matthias Matschke) aufdecken und damit zu dessen Sturz | |
| beitragen. Nach Barschels Tod trennen sich die Wege der beiden Kollegen: | |
| Während Nissen die These vom Selbstmord vertritt und seine Karriere bei der | |
| Zeitung vorantreibt, hält Burger einen Mord für wahrscheinlicher, geht | |
| allen erdenklichen Spuren nach und gerät dabei in eine dramatische | |
| persönliche Abwärtsspirale. | |
| Die erste Stunde des Films ist äußerst gelungen und entwickelt einen | |
| starken Sog, die Produktion hat internationales Niveau. Da geht es noch um | |
| die Machenschaften im Wahlkampf und um zwei junge Journalisten auf der | |
| Suche nach der Wahrheit. Dann wird die Sache problematisch: David Burger | |
| stößt bei seiner Recherche auf eine Mordtheorie nach der nächsten. Wurde | |
| Uwe Barschel von einem BND-Agenten aus dem Weg geräumt? Wusste er zu viel | |
| über U-Boot-Geschäfte mit Südafrika? War es der Mossad? Warum reiste | |
| Barschel so oft in die DDR? | |
| Durch die Aneinanderreihung bekannter Vermutungen wirkt der Film trotz | |
| seines hohen Tempos, der bedrohlichen Atmosphäre und seiner überzeugenden | |
| Darsteller ermüdend. Bedenklich ist das aber vor allem deshalb, weil er | |
| dabei an tatsächlich verbreitete Verschwörungstheorien, halbgare | |
| Spekulationen sowie Erklärungen undurchsichtiger Figuren andockt und diese | |
| dadurch adelt. | |
| ## Mordtheorie untermauert | |
| Neue Erkenntnisse liefert der Film nicht. Ausgehend von der Mordtheorie, | |
| liegt in der zweiten Hälfte des Films ein Geraune über die Allmacht von | |
| Agenten, Hintermännern und dunklen Verbindungen in der Luft, so ein ungutes | |
| „Wir sind alle ohnmächtig, und die da oben spielen ihr eigenes Spiel“. Es | |
| scheint keinen gesellschaftlichen Bereich zu geben, der nicht von | |
| Geheimdiensten unterwandert ist. Von solcher Art Gesellschaftserklärung | |
| gibt es zurzeit leider schon mehr als genug. | |
| Es mag ja sein, dass Barschel tatsächlich ermordet wurde, aber der | |
| unernsthafte Umgang mit den vielen Argumenten, die für Selbstmord sprechen, | |
| sowie die versuchte Manipulation der Zuschauer und die Lust am | |
| Geheimdienstgeraune zeugen nicht von einer ausgewogenen Darstellung und | |
| hinterlassen am Ende der 180 Minuten keinen guten Eindruck. | |
| Nun kann man einwenden, dass es sich hier doch nur um einen Film handelt | |
| und sogar am Anfang eine Einblendung darauf hinweist, dass „Der Fall | |
| Barschel“ keine Dokumentation ist. Aber das wäre zu einfach. Schließlich | |
| greift der Film ein reales Thema sowie reale Erklärungsansätze auf und | |
| verwendet sogar ab und zu zeithistorisches Material. Er bewegt sich also | |
| dicht an der wahren Geschichte und sollte als Statement zu dieser | |
| interpretiert werden. | |
| ## Wer Geld verdienen will, stellt Mordthesen nach | |
| Vermutlich stimmt immer noch, was der zwischenzeitlich zuständige | |
| Generalstaatsanwalt Erhard Rex 2007 in einem Bericht zum Fall Barschel über | |
| die Mordtheorien schrieb: „Selbstmord ist ,langweilig‘ und Mord ist | |
| ,interessant‘. Wer Geld verdienen will, stellt Mordthesen nach vorne und | |
| spielt einen Suizid herunter oder blendet ihn aus.“ | |
| Ein interessantes Verbrechen steigere die Auflage, erhöhe die Fernsehquote, | |
| ein einfacher Selbstmord wirke dagegen nicht verkaufsfördernd für die | |
| Auflagenhöhe eines Buches. „Diese Mechanismen muss man sich klarmachen, um | |
| in der unübersichtlichen Affäre nicht die Orientierung und das | |
| Koordinatensystem zu verlieren.“ | |
| 6 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Sakowitz | |
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