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# taz.de -- 250. Geburtstag von Jean Paul: Aus dem Mond gefallen
> Ein postmoderner Schriftsteller in der Goethezeit: Jean Paul schrieb
> verspielt, labyrinthisch und wahnsinnig komisch. Er war seiner Zeit
> voraus.
Bild: Ein Postmoderner in der Goethezeit: Jean Paul.
Humor ist keine Gabe des Geistes, sondern eine des Herzens, heißt es in
Ludwig Börnes Denkrede auf Jean Paul, dessen Geburtstag sich am 21. März
zum 250. Mal jährt. Die Rede stammt aus dem Jahr 1825, in dem der im
oberfränkischen Wunsiedel geborene Humorist und Autor ausschweifender
Romane wie „Siebenkäs“, „Titan“ oder „Flegeljahre“ verstarb.
Man muss Börne nicht vorbehaltlos zustimmen. Aber als humoristischer Bruder
im Geiste weiß der bissige Journalist und demokratische „Jungdeutsche“
genau, wovon er redet, wenn er von Jean Paul redet.
Der gilt heute noch als schwieriger und intellektuell verstiegener Autor.
Da ist auch was dran. Seine Bücher sind in der Regel handlungsarm,
kryptisch oft und zu einem wesentlichen Teil nicht abgeschlossen;
berüchtigt sind die nicht enden wollenden Digressionen über Gott und die
Welt.
Aber Jean Paul ist auch ein ungeheuer sinnlicher, gelegentlich
kitschverdächtiger (da scheint schon mal ein Mond als „lächelnder
Christuskopf“ auf ein liebendes Paar herab), vor allem wahnsinnig komischer
Autor. Früh experimentierte er mit Montagetechnik und
Selbstreferenzialität. Heute könnte man ihn am ehesten mit Thomas Pynchon
vergleichen: ein Postmoderner in der Goethezeit.
## Bekannter Unbekannter
Johann Paul Friedrich Richter, der sich aufgrund seiner
Rousseau-Begeisterung in Jean Paul umbenannte, ist einer der bekannten
Unbekannten der Literatur seiner Epoche.
Bereits im Todesjahr war es still um ihn geworden, und es sollte im Laufe
des 19. Jahrhunderts noch stiller werden, bis sich Stefan George – und auch
Hermann Hesse – knapp hundert Jahre nach seinem Ableben um eine Renaissance
bemühten. Dabei landete er seinerzeit mit dem tränenfeucht-pathetischen
Liebesroman „Hesperus“ einen Bestseller, der beinahe so bekannt wurde wie
Goethes „Werther“.
Nach der Veröffentlichung 1795 setzte ein echter Jean-Paul-Kult ein, vor
allem seine weiblichen Leser verfielen ihm der Reihe nach, und nicht wenige
wollten ihn am liebsten ehelichen – sehr zum Unbehagen Goethes und
Schillers übrigens. Letzterer bezeichnete ihn als „aus dem Mond gefallen“,
und Goethe verspottete ihn als „Chinese in Rom“, sprich fränkisches Landei
im klassizistischen Weimar, wo Jean Paul vorübergehend lebte.
## Jean Paul, ein Vollblutskeptiker
Aber der hielt es dort persönlich eh lieber mit Herder und Wieland, dessen
satirische Werke ihn genauso beeinflussten wie Laurence Sternes die
literarische Moderne vorwegnehmender Roman „Tristram Shandy“. Der Autor der
„Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ war ein
Vollblutskeptiker, dessen Denken Zeit seines Lebens tief mit der Aufklärung
verbunden war.
Trotz allem philosophischen Gehalt hilft es, sich seinen Werken – frei nach
Börne – nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit dem Herzen zu nähern. Dem
„Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“ zum
Beispiel. „Eine Art Idylle“ nannte Jean Paul dieses frühe, genuine Werk,
das bis heute immer noch gelesenen wird. Besagtes „Schulmeisterlein“ würde
so gerne alle zeitgenössische Literatur verschlingen, kann sich aber kein
einziges Buch leisten.
## Buchklassiker Marke Eigenbau
Doch aus Not wird hier Tugend, Wutz schreibt sich die Bücher selbst – und
erfindet kurzerhand den Inhalt. So stehen am Ende neben einer „Kritik der
reinen Vernunft“ Marke Eigenbau auch „Werthers Freuden“ im Bücherschrank:
Der frühe Entwurf einer Demokratisierung des Wissens, wie sie sich in
digitalen Zeiten des Internets sukzessive verwirklicht. Überhaupt erinnern
Jean Pauls labyrinthische Romane an scheinbar unendlich verlinkte Blogs.
Ihr Autor strebte nach kultureller Globalisierung.
Im Jubiläumsjahr erscheinen nun zahlreiche Bücher, die die Möglichkeit
bieten, es doch noch mal – oder auch mal wieder – mit Jean Paul zu
versuchen. Für Einsteiger eignet sich besonders ein Jean-Paul-Lesebuch mit
dem „Wutz“, der „Rede des toten Christus“, verschiedenen Romananfängen…
mehr.
Endlich wieder greifbar ist der Band „Ideengewimmel“, in dem Texte aus dem
gigantischen Nachlass des Vielschreibers enthalten sind. Günter de Bruyns
neu aufgelegte Biografie von 1975 hat an Gültigkeit nicht verloren, auch
wenn sich in der Jean-Paul-Forschung einiges getan hat und seither
zahlreiche Briefe erschlossen wurden.
## Frauenheld, schrulliger Kauz und machistischer Alkoholiker
„Erschriebene Unendlichkeit“ heißt ein umfangreicher Auswahlband, der
zeigt, dass die geschliffenen Briefe Vorstufen für spätere Werke
darstellen. Wieder sind es vor allem vornehme Damen, die sich um einen
Briefverkehr bemühen, um in seinem Werk verewigt zu werden.
Keine Frage, der aus ärmsten Verhältnissen stammende Jean Paul war ein
Frauenheld – wenn auch der Verkehr mit dem anderen Geschlecht meist
platonisch verlief. In jungen Jahren war er ein Rebell, der seine Hemden „à
la Hamlet“ mit offener Brust trug, später schrulliger Kauz, machistischer
Ehemann und an Diabetes und Migräne leidender Alkoholiker. Immerhin war er
der erste freie Schriftsteller, der (anders als Lessing) von seinem
Schreiben auch leben konnte.
Und er konnte nicht leben, ohne zu schreiben. Als eine Art Komplementärbuch
zu de Bruyns Klassiker liest sich Helmut Pfotenhauers vorzügliche
Biografie, die ihrem Untertitel „Das Leben als Schreiben“ folgend die
fließenden Grenzen zwischen Erlebtem und Erdichtetem abtastet. Lesenswert
ist auch Michael Zarembas fundierte und kompakte Lebensbeschreibung.
Beatrix Langner wiederum ist in ihrer Biografie zwar sehr ausführlich,
allerdings vermisst man in ihren teils blumig geratenen
kulturgeschichtlichen Abschweifungen so etwas wie den Jean Paul’schen Witz.
Kurios kommt Dieter Richters Reise-Biografie daher, die im Wesentlichen aus
Briefpassagen des reisenden Jean Pauls besteht. Ein Abecedarium namens
„Jean Paul von Adam bis Zucker“ bietet eine humoristische
Orientierungshilfe, während eine Bildbiografie namens „Das Wort und die
Freiheit“ den Schriftsteller und sein bewegtes Leben plastisch vor Augen
führt.
In gewisser Weise hatte Schiller wohl recht mit der Behauptung, Jean Paul
sei aus dem Mond gefallen. Dieser großartige Schriftsteller war eben seiner
Zeit voraus.
21 Mar 2013
## AUTOREN
Tobias Schwartz
## TAGS
Literatur
Romantik
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