| # taz.de -- 20 Jahre Mauerfall: Geschichte restlos abgeräumt | |
| > Das DDR-Geschichtsmuseum unterlag im Einigungskarussell seinem westlichen | |
| > Pendant. Der Kampf war hart: Immerhin ging es um die Deutungshoheit über | |
| > deutsche Geschichte und Gegenwart. | |
| Bild: Trabant im Deutschen Historischen Museum. | |
| Im Herbst 1989 saßen im Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) die | |
| Direktoren Kurt Wernicke und Gerhard Quaas mit ihren Mitarbeitern an einem | |
| der damals in der DDR äußerst populären runden Tische. Draußen war grade | |
| die Berliner Mauer gefallen und die 200 Museumsleute des "sozialistischen | |
| Geschichtsmuseums" zerbrachen sich den Kopf, wie es weitergehen könnte. | |
| Vieles kreiste um die Frage, ob das Haus mit dem Hardcore-Propaganda-Image | |
| neben dem Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin (West) bestehen | |
| würde. | |
| Die Antwort der zwei DDR-Museumsmacher im Zeughaus war damals klar: Wir | |
| machen weiter, jetzt erst recht. "Die Berechtigung für das Deutsche | |
| Historische Museum wird von unserer Seite nicht in Zweifel gestellt. Wir | |
| sehen uns dort einem Kooperationspartner gegenüber", sagte Wernicke trotzig | |
| und in völliger Verkennung der politischen Lage. Quaas war etwas | |
| vorsichtiger: "Wir machen uns natürlich auch konkrete konzeptionelle | |
| Vorstellungen über die Möglichkeiten der Arbeit unter veränderten | |
| Bedingungen." Im Moment sei man dabei, sich "auf den Wandel einzustellen". | |
| Es sollte ein mächtiger Wandel werden für das Museum für Deutsche | |
| Geschichte, seine Direktoren, Mitarbeiter und die Ausstellungen mit den | |
| Exponaten aus der Arbeiterbewegung. Wie bei anderen Einrichtungen in | |
| Ostberlin unterlag im Vereinigungskarussell das MfDG dem westlichen DHM | |
| 1990. Aber im Unterschied zu anderen kulturellen und kulturpolitischen | |
| Institutionen waren die Auswirkungen der Übernahme gravierend. Es ging ja | |
| auch um nichts weniger als die Deutungshoheit über deutsche Geschichte und | |
| Gegenwart. | |
| In der Mehrzahl wurden Zwangsehen und Zusammenschlüsse dieser Art nach der | |
| Wende und nach deutschen Einheit niemals auf Augenhöhe geschlossen, | |
| urteilen Historiker heute. Dennoch kooperierten auch ungleiche Partner. | |
| Beispielsweise verliefen die Fusionen in der Berliner Museums- und | |
| Bildungslandschaft, den Bibliotheken oder Künstlerverbänden wie der | |
| Akademie der Künste Ost mit West pluraler und weniger eruptiv, geschichts- | |
| und respektlos. Selbstverständlich wurde gestritten, entlassen, dominiert, | |
| "aber auch kooperiert und kommuniziert", wie es der einstige | |
| Akademie-Präsident Walter Jens beschrieb. Unter den mehr als 100 | |
| kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen, die neu verschweißt oder | |
| abgewickelt wurden, war das MfDG - neben der Schleifung der Bauakademie Ost | |
| - darum schon ein Härtefall. | |
| Der Anfang vom Ende des MfDG in der Straße Unter den Linden begann im Mai | |
| 1989. Damals war kurioserweise im rot-grün regierten Westberlin das DHM im | |
| Begriff, unter die Räder zu kommen. Kaum jemand wollte noch etwas davon | |
| wissen, dass das umstrittene Museumsprojekt am Reichstagsgebäude | |
| hochgezogen werden sollte, wie Helmut Kohl es sich zwei Jahre zuvor | |
| gewünscht hatte. | |
| Der CDU-Kanzler war 1987 im Reichstagsgebäude aufgekreuzt und hatte mit | |
| herrischer Geste auf die freie Fläche vis-à-vis zwischen Reichstag und | |
| Kongresshalle gewiesen. Dort sollte das Ding hin. Den Staatstempel für das | |
| Kohlsche Geschichtspathos, das Museum zur Vergegenwärtigung unseres | |
| nationalen Gewissens und Gedächtnisses, sollte der Italiener Aldo Rossi | |
| bauen. | |
| Im Mai 1989 diskutierte dann das rot-grüne Berlin über Standortalternativen | |
| wie den Potsdamer Platz oder den Martin-Gropius-Bau. Auch Christoph Stölzl, | |
| Direktor des frisch gegründeten DHM, stand in der Kritik. Der Fall der | |
| Mauer im Herbst 1989 eröffnete neue Perspektiven für ihn. | |
| Nur noch eine kurze Verweildauer dagegen blieb dem alten DDR-Museum samt | |
| seinen marxistisch-leninistisch inszenierten Memorabilien. 1990 wurde das | |
| Haus von der letzten DDR-Regierung geschlossen, das repräsentative Gebäude | |
| an der Ostberliner Prachtstraße und die Sammlungen wanderten vom Bund zum | |
| DHM. Das war "gleichsam der Glücksfall der Geschichte" für den Historiker | |
| Stölzl. Dass der umtriebige Direktor den Wechsel des DHM in das Zeughaus | |
| noch vor der offiziellen Einheit am 3. Oktober 1990 perfekt machte, zeugt | |
| von Chuzpe und guten politischen Verbindungen: Noch bis 1992 wurde beim | |
| Bund und in Berlin über DHM-Standorte gestritten; den neuen Chef im | |
| Zeughaus interessierte das bereits 1990 nicht mehr. | |
| Vielmehr wurden Fakten geschaffen: Den Barockbau, der einst als | |
| Waffenarsenal für die preußischen Könige diente, hatten die Kommunisten ab | |
| 1953 zur Glorifizierung des Klassenkampfs genutzt. Die rote Schau wurde | |
| radikal abgeräumt, ebenso die DDR-Ausstellung über die "Geschichte des | |
| deutschen Volkes von der Urgesellschaft bis 1945", welche quasi die | |
| Entwicklung des Neandertalers zum SED-Genossen vorführte. | |
| Abgeräumt wurde auch im Personalbereich. Hatte Stölzl kurz vor der | |
| Übernahme noch von der Zusammenarbeit zweier "gleichberechtigter Partner", | |
| gesprochen, lasen die MfDG-Mitarbeiter im Herbst am Schwarzen Brett eine | |
| historische Entscheidung anderer Art. Der Direktor des DDR-Museums, | |
| Wolfgang Herbst, wurde vorzeitig in Pension geschickt. Den rund 200 | |
| Angestellten - vom Historiker bis zum Pförtner - wurde mitgeteilt, dass sie | |
| fast alle kurzfristig entlassen wurden und sich wieder neu bewerben | |
| mussten. Laut Einigungsvertrag war das DHM zwar angewiesen worden, den | |
| Großteil der Mitarbeiter zu übernehmen. Für mehr als 100 Angestellte galt | |
| dies indes nicht. "Stölzl braucht ein leeres Haus. Dem geht es nur um die | |
| Räume und Bestände, nicht um die Personen", kommentierte ein | |
| Betriebsratsmitglied damals die Rauswürfe. | |
| Stölzl sah das anders. "Das DHM hat Stellen geschaffen, nicht abgeschafft", | |
| rechtfertigte er sich. "Das Deutsche Historische Museum hat von der | |
| Bundesregierung Gebäude und Sammlungen zur Nutzung übergeben bekommen. | |
| Zugleich wurde eine Empfehlung ausgesprochen, nach Möglichkeit ehemalige | |
| Mitarbeiter für die Aufbauarbeit des DHM heranzuziehen. Wir haben es Ende | |
| 1990 geschafft, zirka 100 neue Planstellen zu erhalten." | |
| Viele Ostberliner, darunter Geschichtswissenschaftler und Kulturschaffende, | |
| sahen in der inhaltlichen und personellen Umstrukturierung ein reines | |
| Siegergehabe. Der Kulturexperte André Meier, heute als Buchautor tätig, hat | |
| das lange nicht überwunden. Noch 1999 feuerte er eine polemische Breitseite | |
| gegen die ideologischen Unterwerfungsstrategien à la DHM. Man dürfe die | |
| "Maßstäbe setzende Abwicklung" des DDR-Museums nicht vergessen, so Meier. | |
| "Bis auf Toilettenfrauen feuerte Stölzl 1990 fast jeden, der hier zu | |
| Ostzeiten über deutsche Historie befand, um dann später ungestört und | |
| gemeinsam mit hoch dotierten Westmitarbeitern die Bestände Beifall | |
| heischend in bizarren Beutekunst- und Trödelshows zu präsentieren." | |
| Sicher, Karl Marx, Trabbis und andere typische Ostprodukte wurden - nun auf | |
| ein paar Quadratmeter zusammengedrückt - regelrecht "vorgeführt". Doch wer | |
| geglaubt hat, dem Strukturwandel würde konsequent nur ein inhaltlich | |
| konservativer folgen, wurde überrascht. In den 1990er-Jahren bespielte das | |
| DHM nationale und europäische Vergangenheit und Gegenwart. Bismarck und das | |
| Kaiserreich, die Ufa oder die Olympischen Spiele, die deutschen Beziehungen | |
| zu den europäischen Nachbarn ließ Stölzl in Einzelausstellungen Revue | |
| passieren. Sammlungsschwerpunkte mit vielen neuen Dokumenten und in sechs | |
| Epochen vom 14. über das 17. und 18. Jahrhundert bis zum NS-Terror und 1989 | |
| aufgereiht, rahmten die Schauen. Das DHM profilierte sich als deutscher | |
| Erinnerungs- und Gedächtnisraum in Europa. | |
| Der Vorwurf, dass man im DHM zwar nicht auf nationale Nostalgietrips | |
| mitgenommen wurde, das Haus aber zur Plattform des historischen "anything | |
| goes" und Teil des Geschichtsbooms avancierte, hat Stölzl nichts | |
| ausgemacht. Im Gegenteil. "Sammeln, Bewahren und Ausstellen", sagt er bis | |
| heute, bildeten die Grundpfeiler des Konzepts für das DHM. "Aufklären" und | |
| "Aufarbeitung" gehörten dazu. "Information" sowie "der Diskurs über die | |
| Vergangenheit ebenso". Die DHM-Truppe, die lange als Jäger und Sammler | |
| spezifisch deutschen Ramsches verulkt wurde, vertrat zugleich den Anspruch, | |
| ein "lebendiges" DHM geschaffen zu haben. Ganz eingelöst wurde das nie, | |
| aber manchmal war man nah dran, etwa als in den 1990er-Jahren zu großen | |
| Ausstellungen und Themen, wie "Aufklärung Kunst" oder "Bohème und Diktatur | |
| in der DDR", auch Streitgespräche stattfanden. | |
| Die Zeit heilte auch Unter den Linden die Wunden. Das DHM befreite sich vom | |
| Geruch der Westeroberung. Seit 2000 steht Hans Ottomeyer, ein echter | |
| Museumsmann und Kulturgeschichtler, an der Spitze des DHM. Ein | |
| Preußenverdacht hat sich bei ihm nicht erhärtet. Weit mehr noch als die | |
| Personalie hat der groß angelegte Umbau des Zeughauses 2001 bis 2004 und | |
| der Neubau des Glaspavillons von Ieoh Ming Pei zur Verwandlung beigetragen. | |
| Das Haus, seine Ausstellungen und Bedeutung sind neu aufgestellt. Heute | |
| geht es im Zeughaus um die Zeugnisse der Geschichte, sicher auch um deren | |
| Interpretation und Mächtigkeit, aber nicht mehr um Niedergang und Aufstieg | |
| eines Geschichtsmuseums nach dem Fall der Mauer. | |
| 26 May 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Rolf Lautenschläger | |
| ## TAGS | |
| Architektur | |
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