Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 20 Jahre Maurefall: Die Migranten: "Die Atmosphäre war vergiftet"
> Einwanderer waren durch den Fall der Mauer mit entfesseltem Rassismus
> konfrontiert - nicht nur in der DDR. Anetta Kahane, damals
> Ausländerbeauftragte in Ostberlin, kämpft bis heute dagegen.
Bild: Das Potential der Nachbarn aus dem Osten wird nicht abgeschöpft.
taz: Frau Kahane, 1989 waren Sie die erste und letzte Ausländerbeauftragte
Ostberlins. Liest man alte Interviews mit Ihnen, hat man das Gefühl, Sie
hätten damals vorausgesehen, was für eine Welle des Rassismus und
Nationalismus über den Migranten in Ost- und Westdeutschland hereinbrechen
würde, wenn die Mauer aufgeht. Woher wussten Sie das?
Anetta Kahane: Weil ich in der DDR gelebt habe! Ich habe gesehen, wie
Ausländer dort behandelt wurden; ich habe die Nazis dort gesehen, die
Stimmung der Menschen wahrgenommen. Deshalb war mir völlig klar: Das Erste,
was passiert, wenn die Mauer aufgeht, ist, dass die Vietnamesen durch die
Straßen gejagt werden.
Kontakte zwischen ausländischen und deutschen Einwohnern waren in der DDR
ja nicht üblich.
Für die sogenannten Vertragsarbeiter in der DDR war es kaum möglich, normal
in ihrer Nachbarschaft zu leben. Wer Kontakt aufgenommen hat, ist ein hohes
Risiko eingegangen. Ich habe in Rostock Lateinamerikanistik studiert. Dort
lebten chilenische Flüchtlinge, sie wurden bewacht und bespitzelt. Uns
wurde damals gesagt, wir dürften keinen Kontakt zu Ausländern haben.
Hatten Sie Kontakte?
Selbst an unserem Institut war der rassistische, von Vorurteilen geprägte
Blick auf diese Fremden normal. Ich kannte eine chilenische Familie, keine
Kommunisten, weshalb sie sowieso als suspekt galten. Mir wurde damals
verboten, sie zu treffen - mir wurde sogar gesagt, ich solle den Bezirk
meiden, in dem sie wohnen. Ich bin dann heimlich mit dem Taxi hingefahren.
Die Bahn war zu gefährlich, jemand hätte mich sehen und mein "Vergehen"
melden können.
In der DDR lebten beim Mauerfall etwa 160.000 AusländerInnen. Woher kamen
sie?
Es gab Gruppen von politischen Flüchtlingen, die in der DDR Schutz gefunden
hatten, kommunistische Flüchtlinge aus Spanien, Griechenland und Chilenen,
unter ihnen auch Sozialisten und Linksradikale. Das war es fast schon. Es
gab ja kein Recht auf Asyl in der Verfassung der DDR, deshalb sind sie sehr
selektiv aufgenommen worden. Und dann kamen die Vertragsarbeiter: Für sie
galten fast menschenverachtende Lebensbedingungen.
Zum Beispiel?
Ihnen wurde Wohnraum von fünf Quadratmetern pro Person gewährt. Sie durften
nicht heiraten, Frauen nicht schwanger werden, sonst mussten sie abtreiben
oder das Land verlassen. Sie arbeiteten meist in eigenen Brigaden, mussten
oft die schlechteste Arbeit machen, die versprochene Ausbildung fand selten
statt und die Vietnamesen wurden zusätzlich zu den DDR-Aufpassern von
eigenem Sicherheitspersonal bewacht. Man kam auch in ihre Wohnheime nur
schwer hinein. Da brauchte man eine Art Passierschein.
Politische Flüchtlinge hatten ja oft ein positives DDR-Bild. Warum?
Flüchtlinge wurden teilweise durchaus als Zeugen für die sogenannte
internationale Völkerfreundschaft benutzt. Sie waren ja selbst Kommunisten
und es ging ihnen gut. Wenn sie die sozialistische Ideologie und ihr System
ohne Freiheit selbst anstrebten, weshalb sollten sie nicht die DDR loben?
Das Gleiche galt für die jüdischen Kommunisten, die mitunter als Kronzeugen
dafür gebraucht wurden, dass in der DDR der Antisemitismus als
"ausgerottet" galt. Wenn DDR-Bürger aber trotz allem zu Ausländern Kontakt
haben wollten, wurde das oft als etwas Unsittliches betrachtet - wenn es
etwa zu Liebesbeziehungen kam, auch als etwas Staatsverräterisches. Ein
Heiratsantrag war gleichbedeutend mit einem Ausreiseantrag, und die Paare
wurden oft jahrelang schikaniert.
Wie ging das zusammen: Völkerfreundschaft und Rassismus?
Wir haben kürzlich eine Ausstellung zum Thema Antisemitismus in der DDR
gemacht. Das ist eines der Projekte, für die wir am meisten Hass geerntet
haben. Mit der alten Argumentation: Das hat es bei uns ja gar nicht geben
können, wir waren ja Antifaschisten. Dass das Gegenteil von Faschismus
nicht Antifaschismus ist, sondern echte, demokratische Vielfalt, das genau
war das Problem. Der Begriff Faschismus wurde in der DDR ja auch deshalb
benutzt, um den Begriff Nationalsozialismus zu vermeiden. Denn national und
sozialistisch waren ja Begriffe, die von der DDR stark in Anspruch genommen
wurden. Darin und im sozialistischen Begriff von Demokratie steckt eine
Lebenslüge, die unbedingt verteidigt werden musste.
Wie lautete die?
In der DDR wurde mit der Gründung der SED 1946 die Glasglocke des
Antifaschismus über das ganze Land gelegt. Alle waren entschuldet, es gab
keine Diskussionen über Mitschuld, persönliche Verwicklungen oder
Bereicherungen an Krieg und Holocaust. Der Staat hat sämtliches jüdisches
Eigentum als Staatseigentum praktisch arisiert, ohne Entschädigung. Es
hieß, es gehe um den Klassenkampf und die Juden seien genauso Kapitalisten
wie alle anderen auch. Der Begriff Völkerfreundschaft beziehungsweise
Internationalismus bedeutete etwas Ähnliches wie der Begriff
Ethnopluralismus, den die Nazis heute benutzen: Völker begegnen sich,
diskutieren ihre jeweiligen nationalen Probleme und wo sie international
sein können und gehen wieder auseinander, jeder bleibt - ohne Vermischung -
an seinem Platz. Da steckt ja auch ein starker völkischer Begriff drin. Und
wenn man über 40 Jahre so eine Politik betreibt, wie sollen dann die
Ostdeutschen auf einmal liberale, weltoffene Menschen sein?
Für in der DDR lebende Ausländer bedeutete der Mauerfall nicht nur
rassistische Verfolgung, sondern auch absolute rechtliche Unsicherheit.
Ihr Aufenthaltsstatus war nach DDR-Recht geregelt, das war bei der
Wiedervereinigung ein Problem. Wir haben versucht, für die Vertragsarbeiter
eine Gleichbehandlung mit den westdeutschen Arbeitsmigranten zu erreichen,
also einen Status, der sich verstetigen lässt. Das konnten wir nicht
durchsetzen. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass viele Vietnamesen sich
selbstständig machen können. Von denen sind einige noch da und in der
Gastronomie oder im Handel tätig. Von den etwa 60.000 Vietnamesen ist aber
damals die Hälfte gegangen.
Und die anderen?
Viele der politischen Flüchtlinge waren schon seit Jahrzehnten in der DDR,
hatten dort geborene Kinder. Für sie gab es in der Regel kein Problem -
aber für Studenten und andere. Wir haben uns darum bemüht, dass sie die
deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Das gelang aber nur für einige
wenige. Im Prinzip war die Bundesrepublik damals nicht bereit, die paar
Ausländer, die es in der DDR gab, mit aufzunehmen. Dies gehörte zu den
vielen politischen Fehlern jener Zeit.
Welche Fehler gab es noch?
Der größte war, dass niemals ein Politiker gesagt hat, dass die
Wiedervereinigung alle einschließt. Auch Migranten. Im Gegenteil: Vor dem
Hintergrund der Asyldebatte war die Atmosphäre sehr vergiftet. Das alles
hat zur gesamtdeutschen rassistischen Gewalt, die dann losbrach,
beigetragen.
Wenn man Ostdeutschland heute betrachtet, könnte man meinen, dass sich
nicht viel geändert hat. Gerade gab es in Dresden wieder einen Mord an
einer Ägypterin.
Ja, das ist furchtbar! Die Zahl der Einwanderer hat sich in den neuen
Bundesländern nicht wesentlich erhöht, sie ist von einem auf zwei Prozent
gestiegen. Die Neonazis und ihre noch immer geduldeten No-go-areas sind ein
klares Signal an "nicht-deutsch Aussehende", sich im Osten besser nicht
niederzulassen. Dennoch ist viel geschehen: In Brandenburg, auch in Sachsen
gibt es inzwischen gute Initiativen, viele Leute, die sich gegen
Rechtsextremismus engagieren. Auch auf der Ebene der kommunal
Verantwortlichen gibt es eine Sensibilisierung. Es ist eben ein langer Weg.
Wie bringen Sie die Geduld dafür auf?
Ich kann einfach keinen Ort schön finden, an dem sich meine türkischen oder
schwarzen Freunde nicht wohlfühlen sollen. Wenn sie verachtet werden, sei
es nur mit Blicken, dann ist das für mich kein schöner Ort. Aber wenn ich
sehe, wie viele Menschen sich mittlerweile engagieren, auch junge Leute,
Schüler, freue ich mich. Vor zehn, zwanzig Jahren gab es das noch nicht.
Dann denke ich: Was für ein Glück, diese Arbeit zu machen.
14 Jul 2009
## AUTOREN
Alke Wierth
## ARTIKEL ZUM THEMA
Polen in Berlin: Mäntel, Wurst und Vorurteile
Schon vor dem Mauerfall traf Westberlin 1989 auf den Osten - beim
legendären Polenmarkt. Seither formen die östlichen Nachbarn die Wirtschaft
der Stadt mit. Ihr Potenzial aber wird nicht ausgeschöpft.
20 Jahre Mauerfall: Geschichte restlos abgeräumt
Das DDR-Geschichtsmuseum unterlag im Einigungskarussell seinem westlichen
Pendant. Der Kampf war hart: Immerhin ging es um die Deutungshoheit über
deutsche Geschichte und Gegenwart.
20 Jahre Mauerfall: Das Spiel mit der DDR
Eine interaktive Ausstellung im Freizeit- und Erholungszentrum FEZ will
Kindern die DDR nahebringen. Statt sich mit dem Unrechtsstaat und der
Diktatur zu befassen, sollen sie den Alltag von damals nacherleben - und
Spaß haben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.