# taz.de -- 10 Jahre Literaturfestival „Sprachsalz“: Wie der Beat in die Be… | |
> Lesen in Tirol: Seit zehn Jahren gibt es in Hall das Literaturfestival | |
> Sprachsalz. Zum Jubiläum kam auch Altmeister Martin Walser. | |
Bild: Aus Liebe zur Literatur – Das Festival Sprachsalz funktioniert strikt e… | |
Einerseits ließe sich fragen, ob Literatur Festivals braucht. Lesen kann | |
man gut allein; es braucht nicht den Autor, die Autorin in Person, um | |
Buchstaben in Sprache zu verwandeln. Andererseits entsteht in dem Moment, | |
da die Sprachkunst direkt über das Ohr zur Rezipientin kommt, etwas | |
anderes. Etwas, das eigentlich gar keine Literatur ist, denn die definiert | |
sich, wie schon ihr Name sagt, über den Buchstaben. In dem Moment, da sie | |
gesprochen und gehört wird, befreit sie sich von ihrem Medium und wird | |
zurückgeführt auf ihren Ursprung: die Sprache an sich. | |
Dafür sind Festivals, unter anderem, gut: Um am eigenen Leibe zu erfahren, | |
was das gesprochene Wort vom gedruckten unterscheidet. Zur zehnjährigen | |
Jubiläumsausgabe des Festivals Sprachsalz im österreichischen Hall kamen | |
viele AutorInnen, die dazu interessante Belege lieferten. | |
Sprachsalz ist als Festival insofern einzigartig, als es strikt | |
ehrenamtlich von einer Handvoll enthusiastischer Literaturmenschen | |
betrieben wird, die lieber den AutorInnen ein ordentliches Honorar zahlen | |
als sich selbst und sich dafür auch den einen oder anderen Großliteraten | |
leisten können. So auch heuer. | |
Als Stargäste fungieren im Jubiläumsjahr Altmeister Martin Walser und der | |
noch ältere, 88-jährige Amerikaner William H. Gass, dessen vor 16 Jahren | |
erschienenes Mammutwerk „Der Tunnel“ letztes Jahr in deutscher Übersetzung | |
herauskam und die Kritiker in eine Art Ehrfurchtstarre verfallen ließ. | |
Natürlich kann eine Lesung (man ist stolz darauf, dass der Tiroler Auftritt | |
der einzige sei, den der Amerikaner in Europa absolviert) Gass’ Riesenroman | |
nicht annähernd gerecht werden. Doch auch wer die übrigen 1.100 Seiten von | |
„Der Tunnel“ nicht kennt, kann bei Gass’ Lesung immerhin feststellen, dass | |
dieser nicht nur ein Autor von finsterem Humor, sondern auch von | |
beträchtlichem Rhythmusgefühl ist. | |
Wer will, kann sich überhaupt in diesen Tiroler Tagen tragen lassen vom | |
Beat der englischen Sprache. Da die Auswahl der Sprachsalz-Gäste sich aus | |
den radikal subjektiven Vorlieben der OrganisatorInnen speist, und da | |
Festivalgründer Heinz D. Heisl sehr viele gute Bekannte in San Francisco | |
hat, kommt in Hall eine Art US-amerikanischer Klassenausflug der Lyriker | |
zusammen. | |
## Die Dominanz der Alten | |
Lyrik, das zeigen die dichtenden Amis, macht sich oft am besten in der | |
Performance. Auch in dieser Disziplin führen die Alten, der 83-jährige Sam | |
Charters, als unterhaltsamer Didaktiker unter den Dichtern, und vor allem | |
die 84-jährige Beat-Poetin Ruth Weiss, in ihrer einstigen Jugend enge | |
Trinkkameradin von Jack Kerouac. Weiss’ grüngefärbte Haare, rauchige Stimme | |
und immense Bühnenenergie lassen völlig vergessen, was für eine fragile, | |
winzige alte Frau da auf dem Podium steht. Musikalisch wird sie begleitet | |
von ihrem Lebensgefährten, der zu diesem Zweck einen hohlen Baumstamm aus | |
Kalifornien importiert hat. Er dient als Percussioninstrument. Das ist so | |
liebenswert freakig, und der Beat dieser Lyrik geht so direkt ins | |
Rückenmark, dass es darüber schon fast ein bisschen egal wird, ob man die | |
Texte in Gänze versteht oder nicht. Lesen kann man ja ein andermal. | |
Aber auch dafür sind Literaturfestivals gut: Dass man sich irgendwann, nach | |
sehr vielen gesprochenen Worten, wieder nach der kontemplativen Stille | |
bedruckten Papiers sehnt. Dass Literatur auch abseits der Performance, nur | |
aus sich selbst heraus, Wirkung haben kann, zeigen, natürlich, die | |
Deutschen. Der stille Schwabe Walle Sayer etwa, der mit hochempfindlichem | |
poetischem Instrumentarium winzige Momente von überraschender Schönheit aus | |
dem Alltagsleben liest. Oder Barbara Bongartz, die in ihrer Prosa sorgsam | |
Erinnerungsfäden nachspürt. Ja, auch jüngere AutorInnen treten übrigens | |
auf, die Schweizerin Daniela Dill ist gar erst dreißig, und ein paar | |
andere, wie der Slam-Poet Bas Böttcher, dessen Zunft ja im Grunde den Beat | |
beerbt hat, immerhin unter vierzig. Die ganz Jungen aber fehlen, und da auf | |
der anderen Seite eben etliche ganz Alte da sind, ist das | |
Durchschnittsalter deutlich überdurchschnittlich. | |
Das wiederum passt zum Städtchen Hall, dessen Ortskern aus dem Mittelalter | |
stammt und wunderschön ist. Der eigentümliche Name des Festivals kommt | |
übrigens daher, dass Hall einst das Salzrecht besaß. Mit dem Salz wurde die | |
Stadt damals reich. Dafür lässt man sich heute die Literatur etwas kosten. | |
17 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Beat | |
Roman | |
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