Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zum Tod Chris Markers: Kleinteilig, riesig, unübersichtlich
> Der französische Filmemacher, Individualist, Aktivist und spielerische
> Cat-Content-Produzent ist 91-jährig gestorben. Er hinterlässt ein
> umfangreiches Werk.
Bild: Guillaume-en-Égypte: Chris Markers musikhörende Katze (2006).
„Unstillbare Neugierde“ trieb Chris Marker an, so hat er es selbst
beschrieben, in einem der wenigen Interviews, die er gab. Sie trieb ihn
hinaus in die Welt, als Journalist zuerst und Autor. Er gab eine Buchreihe
heraus, die die Länder der Erde in Monografien vorstellte, mit dreißig, da
war er selbst schon weit herumgekommen.
Über die Olympischen Spiele 1952 in Helsinki drehte er seinen ersten kurzen
Dokumentarfilm, der nächste entstand während einer Reise durch China,
„Sunday in Peking“. Dabei hatte er zunächst Philosophie studiert, im
Widerstand gekämpft, mit André Bazin über Film geschrieben, einen Roman
übers Fliegen und eine Monografie über Jean Giraudoux veröffentlicht,
dazwischen mit Alain Resnais, einem Weggefährten fürs Leben, für dessen
berühmte KZ-Dokumentation „Nacht und Nebel“ recherchiert.
Es folgten Filme aus Sibirien, Kuba, Israel, Korea, Japan, Berlin, Guinea
Bissau, von anderswo, überall. Die Neugier blieb nicht aufs Geografische
beschränkte, er probierte alle Formen, balancierte und sprang zwischen
Doku, Fiktion und Essay, nichts lag ihm ferner als das Streben nach
Reinheit, sein berühmtestes Werk „La Jetée“, ist ein
Science-Fiction-Fotoroman, zugleich ein Essay, eine Meditation, entstanden
eigentlich am Rand eines größeren Films, „Le joli Mai“, der auch wunderbar
ist, eine melancholische Betrachtung über den Mai 1968 in Paris. 1990 war
Marker übrigens auch in Berlin, drehte "Berliner Ballade", er musste sich
selbst ein Bild machen vom Fall der Mauer.
1999 veröffentlichte er eine CD-Rom, „Immemory“, gelockt durch die
Potentiale der sich verzweigenden Pfade und möglichen Links zwischen den
Elementen. Später, in den letzten Jahren, da war er schon über achtzig,
besiedelte Marker einen virtuellen Ort im Second Life, veranstaltete ein
Ausstellung dort, lud zu Chats, hatte als Kosinki einen eigenen Kanal bei
Youtube, veröffentlichte dort zuletzt noch Videocollagen zu Steve Jobs und
zum Skandal um Dominique Strauss-Kahn.
## Zukunft und Erinnerung
Wenige seiner Filme wurden berühmt, „Sans Soleil“ von 1982 gehört dazu, e…
weit ausgreifender Essay zu Japan, ein fantastisch wucherndes, springendes,
gewaltiges, aber auch leichtfüßiges Gegenstück zu Roland Barthes' „Reich
der Zeichen“, nur dass Marker Nippon nicht mit der Seele des Semiotikers
suchte, sondern neben der Theorie auch an tausend Dingen interessiert war,
der Zukunft und der Erinnerung, elektrischem Graffiti, takenoko und Rock,
daran „wie eine Ankündigung über Kurzwelle von Radio Hongkong, die auf
einer Kap-Verde-Insel aufgeschnappt wird, auch Tokio erreicht; und wie die
Erinnerung an eine ganz bestimmte Farbe auf der Straße in ein anderes Land
springt, eine andere Distanz, eine andere Musik, endlos.“
Außerdem ein langer Exkurs zu Hitchcocks „Vertigo“, einem Fetischfilm
Markers, der aber auch Andrej Tarkowskij bewunderte wie kaum einen andern
und einen klugen Film über ihn drehte, wiederum irgendwo zwischen Essay,
Interpretation, persönlicher Begegnung kurz vor dem Tod.
Es gibt kaum Fotos von Chris Marker, der bei seiner Geburt Christian
Francois Bouche-Villeneuve hieß, der die Legende in die Welt setzte, er sei
in Ulan Bator geboren. Er tritt gelegentlich in Filmen der Freunde Agnès
Varda oder Alain Resnais auf, aber versteckt hinter Masken oder als Katze
Guillaume-en-Égypte, die er sich als Symbol und Avatar wählte.
Überhaupt Katzen: Lieblingstiere, sie sitzen und blinzeln in seinen Filmen,
sie sind an Häuserwände gesprüht, sie hören Musik, sie grinsen wie bei
Lewis Carroll, Chris Marker war ein spielerischer Cat-Content-Produzent
über Jahrzehnte. Daneben gab es, he contained multitudes, den linken
Aktivisten, der als Individualist, der er war, das Kollektiv propagierte
und mit den Gruppen SLON und Groupe Medvedkine Arbeitern Kameras als
Produktionsmittel in die Hand gab und ihnen beim Filmen ihrer Verhältnisse
zur Seite stand.
## Prinzip Zerstreuung
Sein eigenes Prinzip war nicht die Verdichtung zur Weißen-Elefant-Kunst
(wie Manny Farber den Drang zum allzu Bleibenden nannte), sondern das
Termitische, die Zerstreuung. Kleinteilig, riesig, unübersichtlich ist sein
Werk, das aus zig längeren, kürzeren, ganz kurzen Filmen, Videos, Clips und
aus tausenden Fotos besteht; in großen Teilen ist es wieder und noch zu
entdecken, viel zirkuliert inzwischen im Netz, wo sich auch die in alle
Welt zerstreuten Verehrer versammeln.
„Wird es einen letzten Brief geben?“ ist die Frage, mit der „Sans Soleil�…
schließt. Wenn es einen gibt, der auch im Jenseits weiterdreht und aus
dieser anderen Distanz mit einer anderen Musik über die kapverdischen
Inseln Kassiber zu uns Sterblichen schmuggelt, dann Chris Marker.
31 Jul 2012
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.