| # taz.de -- Künstler Rocko Schamoni zu Gentrifizierung: "Wir sind Mitauslöser" | |
| > Rocko Schamoni hat einen neuen Roman geschrieben: "Tag der geschlossenen | |
| > Tür". Der Hamburger Kultur-Allrounder über fehlende Filter, | |
| > Gentrifizierung und das Risiko des Ruhms. | |
| Bild: "Es gibt auch ehrliche Mainstreamkünstler." | |
| taz: Herr Schamoni, Sie komponieren, schauspielern, schreiben Bücher. Mit | |
| "Studio Braun" spielen Sie am Deutschen Schauspielhaus "Rust - ein | |
| deutscher Messias", seit dem 3. Januar ist Ihr vierter Roman in den Läden. | |
| Woher kommt so viel Schaffensdrang? | |
| Rocko Schamoni: Ich vermute bei mir ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Ich | |
| war als Kind und Jugendlicher hyperaktiv. Informationen strömen ungefiltert | |
| auf mich ein, gleichzeitig spüre ich in den Dingen, die ich über die Medien | |
| erfahre, Heuchelei, Verlogenheit und Lüge. Wo andere sagen, "das ist doch | |
| normal, das ist doch nur der Kerner", geht es mit mir sofort an die Decke, | |
| weil da so viel Gebrochenes, Verrücktes und Verkehrtes steckt. Meine | |
| fehlenden Filtersysteme sind meine Fundgrube. | |
| Woran erkennen Sie Wahrheit oder Authentizität? | |
| Authentisch sind für mich Zusammenhänge, die nicht den Verpflichtungen | |
| einer Veräußerung unterliegen – wo es nicht um kommerzielle Interessen | |
| geht. Gehe ich in eine Fernsehsendung, weiß ich, es geht um Verkaufbarkeit, | |
| um Kernsätze und lautes Gebaren. Es gibt aber Situationen, da weiß ich, es | |
| geht um das Menschliche – zumindest nicht um veräußerbare Inhalte. In | |
| solchen Zusammenhängen passieren Dinge, die glaubhaft und ehrlich sind. | |
| Können Künstler noch ehrlich sein, wenn sie Mainstream geworden sind? | |
| Es gibt auch ehrliche Mainstreamkünstler. Ich selbst bin an den | |
| Mainstreamebenen abgeprallt, weil die Begegnungen dort nicht ernsthaft | |
| sind. Da will jemand mein Lautestes, um sein Format, seine Sendung | |
| möglichst weit in den Vordergrund zu bringen. Es geht nie um menschliche | |
| Interessen, nur um stupide Oberflächlichkeiten. | |
| Wird "Studio Braun" auch zum Kommerz? Schließlich sind Sie mit Ihren | |
| Theaterstücken erfolgreich. | |
| Dadurch, dass die Stücke gut besucht werden, hat sich ein Mainstream-Effekt | |
| einstellt, der nicht unproblematisch ist. Wenn man aber nicht möglichst | |
| viele Leute erreichen will, braucht man nicht ins Schauspielhaus zu gehen. | |
| Wir haben in diesem Fall eine Grenzgängersituation. Ich hab den Effekt bei | |
| Helge Schneider erlebt, als er unbekannt war. Viele waren Fans, dann wurde | |
| er bekannter, und als "Katzenklo" kam, sagten alle, er sei total öde | |
| geworden. Ich kann da nur widersprechen. Sie haben ihn zum fünften Mal | |
| gesehen und sein Stil, mit Humor umzugehen, wurde ihnen bewusst. So ist das | |
| auch bei "Studio Braun". Ich erkenne es an, wenn Leute sagen: Ich fand euch | |
| beim ersten Mal besser, es war roher, es war spezieller. Ja, es war das | |
| erste Mal. Das erste Mal ist immer am speziellsten. | |
| Was sagen Sie zu alten Fans, die Ihnen vorwerfen, Sie seien kommerziell | |
| geworden? | |
| Dagegen kann man sich nicht wehren. Ich könnte mich verteidigend hinstellen | |
| und sagen: Ich bin weder reich, noch besitze ich eine Luxusyacht. Was ich | |
| mache, mache ich nur zu meinen Bedingungen. Ich lass mich nicht auf Werbung | |
| ein. Ich verweigere jedes Interview mit der Bild. Angebote für Formate wie | |
| "Super Nanny" oder "Promidinner" oder Ähnliches lehne ich ab. Mein Gewissen | |
| ist rein vor mir selber. Was ich mache, mache ich gerne. Und wenn das | |
| erfolgreich ist, werde ich das nicht verhindern. | |
| Sie feierten kürzlich das 21-jährige Bestehen des Pudel Clubs. War auch der | |
| Club anfangs nicht subversiver? | |
| Sicherlich. Anfangs gab es ein altes schrottiges Haus, ein paar Kästen | |
| Bier, ein paar Flaschen Schnaps und keine Systeme. Irgendwann mussten wir | |
| anerkennen, dass wir Steuern zahlen mussten, weil wir sonst die Polizei ins | |
| Haus kriegen. Die Idee des Aufbegehrens in der versteckten Ecke – kein | |
| Verdienst, kein Gewinn, kein Kommerz - geht nicht mehr, wenn du die Steuer | |
| und das System an der Hacke hast. | |
| Ist der Pudel Club in St. Pauli nicht ohnehin ein Opfer der | |
| Gentrifizierung? | |
| Wir sind nicht nur Opfer, wir sind Mitauslöser. Wir sind wie alle Künstler, | |
| die in die dreckigen Viertel gehen, immer Mitverursacher der | |
| Gentrifizierung. Das ist schrecklich, aber man kann es nicht verhindern. | |
| Man kann sich höchstens tarnen, die Spuren verwedeln, versuchen, das | |
| verrottete Biotop, in das man zieht, nicht in seinem Verrottungsprozess zu | |
| stören. Denn das brauchen Städte wie Hamburg: einen gesunden | |
| Verrottungsprozess. | |
| Hat sich mit Ihrem Erfolg das Publikum im Pudel Club verändert? | |
| Wir haben am Wochenende das Problem, dass aus der ganzen Republik Styler | |
| einfallen. Die Leute, die rumnerven, bleiben eine Zeit und suchen sich | |
| irgendwann einen anderen Laden, weil wir auch zu verstehen geben, dass es | |
| keinen Spaß bringt, wenn sich so nerdige Dämlack-Gruppen festsetzen. | |
| Sie haben mit dem Pudel Club schon vor etwa 15 Jahren Veranstaltungen im | |
| Schauspielhaus gemacht. Wie kam es eigentlich zur künstlerischen | |
| Zusammenarbeit? | |
| Ja, der kleinste schrottigste Laden hat im größten, prunkigsten von Hamburg | |
| Abende veranstaltet. Wir haben denen unsere Gala-Abende angeboten, weil das | |
| Schauspielhaus das Wohnzimmer Hamburgs ist - da müssen auch mal die Köter | |
| auf den Tisch springen dürfen. Schließlich hat der damalige Intendant Tom | |
| Stromberg uns angeboten, ein eigenes Stück zu machen: das war Heinz Strunks | |
| "Fleisch ist mein Gemüse" mit dem Titel "Phönix - Wem gehört das Licht?". | |
| Der Start ist beim Intendanten Baumbauer gewesen. | |
| Ist "Studio Braun" damit in die Sphäre der Hochkultur vorgedrungen? | |
| Wir haben das Gefühl, dass wir mit der Hochkultur Katz und Maus spielen – | |
| wer da die Katze und wer die Maus ist, kann sich jeder selber überlegen. | |
| Wir dringen in diese heiligen Hallen der Hochkultur vor, um darin | |
| herumzufuhrwerken und dann wieder zu verschwinden. Es gab bei uns nie die | |
| Absicht, sich dort fest einzurichten. Wir haben auch nicht vor, die | |
| Hochkultur zu verjüngen. Eigentlich ist die Hochkultur ein in sich | |
| geschlossenes System, in dem man immer wieder über die gleichen Themen | |
| stolpert, das bestimmten Standards verpflichtet ist und immer das Gleiche | |
| will. Schaut man sich das Durchlaufprogramm der Theater der Hochkultur an, | |
| sind es immer die gleichen klassischen Autoren, die gebetsmühlenartig | |
| gespielt werden. Der Begriff der Hochkultur interessiert mich weniger, als | |
| die Orte der Hochkultur ab und an zu entweihen. | |
| Ihre Theaterstücke und der Humor von "Studio Braun" erinnern an die | |
| englische Künstlergruppe Monty Python. Könnten Sie, Heinz Strunk und | |
| Jacques Palminger eine deutsche Version sein? | |
| Monty Python war der wichtigste Einfluss am Beginn meiner | |
| Entertainerkarriere. Der Unterschied ist, dass sie im Gegensatz zu uns | |
| tatsächlich Comedians sind. Wir sind weder Schauspieler noch Komödianten. | |
| Wir sind Grenzgänger zwischen etwas, was Humor auf der einen Seite | |
| beinhaltet und auf der anderen Seite Tragik, in einem trockenen lakonischen | |
| Sinne. Mein Hauptbereich ist nicht der Humor, der ist höchstens Teil meiner | |
| Kunst. Ich wünschte, ich könnte nur halb so gut schauspielern wie John | |
| Cleese, aber keiner von uns kann das. Deswegen können wir uns auch mit | |
| denen nicht vergleichen. Ich weiß, dass sie uns alle beeindruckt und | |
| beeinflusst haben. Wir sind auch nicht so englisch wie die. Wir sind | |
| deutsch, wir sind viel verkrampfter. | |
| Sie haben vor vier Jahren Ihr letztes Album angekündigt. Haben Sie keine | |
| Zeit mehr für Musik? | |
| Es war ein ernsthafter Abschied – was nicht heißt, dass ich aufhöre, Musik | |
| zu machen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Lust mehr, dieses ewige | |
| Karussell zu fahren: Platte rausbringen, Interviews geben, auf Tournee | |
| gehen und dann wieder Proben vorbereiten. Das ist sehr öde und langweilig | |
| auf Dauer. Letztendlich habe ich mich entschlossen, Musik nicht mehr aus | |
| dem konkreten Ziel einer Veröffentlichung oder einer Tournee zu machen. | |
| Jetzt ist die Musik wieder frei geworden. | |
| Ihr neuer Roman "Tag der geschlossenen Tür" ist die Fortsetzung der | |
| Geschichte über einen antriebslosen Arbeitslosen. Was ist das Hauptthema | |
| des Buchs? | |
| Es geht um schlechte Laune auf höchstem Niveau. Es geht um einen Typen, der | |
| sich nicht anpassen will und kann. | |
| Was kann man in diesem Jahr von "Studio Braun" erwarten? | |
| Wir bereiten uns ab Februar, März auf unseren "Studio Braun"-Spielfilm vor. | |
| Ein Film über eine Musikband, die wieder entdeckt wird – aber ich darf | |
| nicht so viel darüber verraten. | |
| 6 Jan 2011 | |
| ## TAGS | |
| Rocko Schamoni | |
| Helge Schneider | |
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