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# taz.de -- Aufdrängende Snooker-Talente: Viel zu viele Gute
> Im Snooker drängen immer mehr Youngster auf die Profi-Turniere der Main
> Tour. Das macht ihre Erfolgsaussichten nicht gerade rosiger.
Bild: Michal Szubarczyk, 14, lebt schon seit zwei Jahren, so heißt es, wie ein…
Vergangenen Samstag kam es in einer Mehrzweckarena im englischen Wigan zu
einem denkwürdigen Snooker-Match. Es führte den 63-jährigen Jimmy White in
der ersten Qualifikationsrunde zu den UK Championships mit dem 14-jährigen
Polen [1][Michal Szubarczyk] zusammen.
Der sechsfache WM-Finalist und neunfache Großvater konnte nur anfangs
mithalten, war danach aber chancenlos. Er schraubte sein Queue schon
auseinander, als der schlaksige Youngster noch Kugel um Kugel zum
6:2-Endergebnis versenkte: Die Miene stets ernst, die volle Aufmerksamkeit
auf sein Spiel gerichtet. Zum Schluss wechselt man einen kurzen Handschlag
und sagte sich Bye-bye.
Die 49 Jahre Unterschied zwischen den Kontrahenten wären in den meisten
Disziplinen kaum vorstellbar. Man denke nur an Leichtathletik, Tennis oder
eine Kampfsportart. In der komplexen, britisch geprägten Billardvariante
liegen die Cracks dagegen altersmäßig oft weit auseinander – wenn auch
selten bis nie so in extremo. Das hat mit den besonderen Anforderungen des
Spiels mit 15 roten und 6 bunten Kunstharzbällen zu tun. Es fordert
absolute Konzentration, eine gute Hand-Auge-Koordination und strategisches
Planen über Stunden hinweg. Aber definitiv keine Muskelberge, besondere
Schnellkraft oder sonst eine ausgeprägte Dynamik.
So haben eingeschworene Fans und Zaungäste die Wahl, für welche
Spielergruppe sie sich auf der globalen Prestigeserie der „Main Tour“ mehr
begeistern wollen. Für die bestens eingeführten Routiniers, an die sie sich
über die Jahre, ja Jahrzehnte wie an Leute aus der Nachbarschaft oder im
Büro gewöhnt haben? Oder für die talentierten Youngster, die zwischen
Sheffield und Shanghai gerade ihre ersten Schritte gehen – und darauf
hoffen, alsbald durchstoßen sowie gutes Geld verdienen zu können?
## Harte Qualifikationskämpfe
Erstere sind einem gut vertraut, weil sie immer wieder im Fenster stehen.
So wie der coole Klassenprimus Judd Trump (nicht verwandt) aus Bristol oder
die „Klasse von 1992“ aus dem Waliser Mark Williams, dem Schotten John
Higgins und [2][dem wechselhaften Charismatiker Ronny O’Sullivan] aus der
englischen Grafschaft Essex, der nächste Woche 50 wird. Alle drei stehen
inzwischen im 33. Betriebsjahr, haben zusammen bereits 14 WM-Titel sowie
34,5 Millionen englische Pfund an Prämien eingefahren und nehmen auf der
Weltrangliste immer noch die Plätze 4, 5 und 6 ein. Da ist aus
Leistungssport eine Lebensleistung geworden.
Letztere dagegen muss man geduldig suchen. Denn wer von den unteren Plätzen
der Weltrangliste startet, muss sich meist erst durch eine Qualifikation
kämpfen, um an den Ranglistenturnieren teilnehmen zu können – während die
16 Bestplatzierten gewöhnlich für die erste Hauptrunde gesetzt sind (bei
Einladungsturnieren sind Hinterbänkler ohnehin nicht dabei). Und damit sind
wir wieder in Wigan. Hier standen für Michal Szubarczyk unter der Woche
noch drei weitere Partien an. Nur wenn er auch die gewinnen sollte, dürfte
er in York starten. Dort beginnen am Samstag die UK Championships. Die
gehören mit dem Masters (Januar) und der WM (April/Mai) zu den
Triple-Crown-Turnieren mit dem höchsten Prestige und lukrativen Prämien.
Einen Rekord hat der Teenager aus dem niederschlesischen Lubin bereits
aufgestellt: Er ist seit letztem Sommer der jüngste Profi, der je auf die
Main Tour kam. Seit dem 6. Lebensjahr hat er regelmäßig im Verein
trainiert, und ab 12 wurde er zielstrebig von Vater Kamil aufgebaut. So
erreichte Michal sehr früh besondere Marken: Das erste Maximum Break
(Aufnahme mit sämtlichen 147 Punkten) im Alter von 12, der erste WM-Titel
in der U21 mit 13. Beobachter versichern, dass er schon seit zwei Jahren
wie ein Profi lebt und trainiert.
Verblüffend ist vor allem, welche Spielballkontrolle Szubarczyk bereits am
Tisch zeigt. Aber das gilt auch für andere Youngster, die in diesen Tagen
nach vorne drängen. So wie den 19-jährigen Artemijs Žižins, der vor zwei
Jahren lettischer Meister und als erster Spieler seines Landes Profi wurde.
Selbstbewusst und unterkühlt spielte er sich im August bei den Saudi Arabia
Masters in die dritte sowie bei den Wuhan Open in die erste Hauptrunde
hinein. Das schob ihn zum Herbst auf Ranglistenplatz 78 (von 129).
## Auffälliger Teenager aus der Ukraine
Oder den 20-jährigen Julian Boiko aus Kyjiw, der schon vor dem russischen
Überfall die Ukraine verließ. Er war mit 15 Jahren der jüngste Spieler, der
bis zu dem Zeitpunkt auf die Main Tour kam, half dem Kölner Snooker-Club
zum Aufstieg in die Bundesliga und konnte sich mit dem Sieg bei der U21-EM
in diesem Jahr erneut für die Prestigeserie empfehlen. Dort steht er,
spielerisch verbessert, inzwischen auf Platz 90.
Doch hat wohl kein anderer Teenager einen so großen Sprung gemacht wie Stan
Moody alias „The Action“. Das 19-jährige Milchgesicht aus Yorkshire hat
diesen Herbst den Arrivierten das Fürchten gelehrt. An den British Open
warf er die Top-Profis Kyren Wilson und Ali Carter aus dem Turnier, um es
ins Viertelfinale zu schaffen. Zwei Wochen später schlug er Carter erneut
und zeigt sich dabei von Drucksituationen unberührt. So ist er mittlerweile
auf Platz 50 geschossen.
Der steile Aufstieg ist auch das Resultat einer aufwendigen Förderung. Als
Moodys Eltern sein Talent erkannten, suchten sie ihm nicht nur einen
eigenen Trainer, sondern gleich noch einen Mentalcoach aus. Außerdem
engagierten sie mit Ex-Weltmeister Shaun Murphy, aktuell Nummer 9 der Welt,
einen erfahrenen Mentor. Auch das mag dazu beigetragen haben, das „The
Action“ heute mit so viel Ruhe und Selbstbewusstsein agiert, als wäre er
schon immer dabei.
„Man kann sehen, dass er das Spiel einfach liebt“, lobte Ronnie O’Sullivan
den Jungprofi vergangenes Jahr, „und er hat ein erstaunliches Temperament
dafür.“
## „Flaschenhals-Effekt“
Solche Erfolgsgeschichten sind jedoch die Ausnahme. In der Regel mühen sich
die meisten Youngster damit ab, auf den Ranglistenturnieren zunächst mal
ein, zwei Matches zu gewinnen. Das bringt ihnen maximal 3.000 Pfund ein,
abzüglich Reisekosten, und lässt sie in der Rangliste ein paar Plätze
steigen. Doch nur wer diesen Trick oft genug wiederholt, schafft es, am
Ende der Saison unter dem Cut zu bleiben – also unter den besten 64, die
automatisch auf der Tour bleiben. Alle anderen müssen dafür kämpfen oder
fallen wieder heraus.
Nur gibt es unterhalb der Main Tour keine zweite oder dritte Profiliga,
sondern bloß das weite Land der Amateure. Was Thomas Hein,
Snooker-Bundestrainer und -Sportwart in der Deutschen Billard-Union (DBU),
mit einem griffigen Slogan auf den Punkt bringt: „Es gibt nur die Tour.
Danach ist Bartender.“
Der 59-Jährige bildet in der „15 Reds Snookerakademie“ in Oberhausen seit
Jahr und Tag junge Spieler mit Leistungssport-Perspektive aus. Dabei betont
er immer wieder, wie steinig der Weg nach ganz oben ist – schon, damit
seine Eleven nicht sämtliche Bildungswege schleifen lassen. Außerdem ist er
gut im Rechnen und Analysieren. „Wer in die Top 32 will, muss annähernd
100.000 Euro erspielen“, sagt Hein. Aber das werde „jedes Jahr schwerer“,
weil das Leistungsniveau immer weiter steige.
„Das ist so, als hättest du 300 Bewerber für 30 Wohnungen“, so Hein. „E…
Flaschenhals-Effekt.“
## Große chinesische Konkurrenz
Der Bundestrainer, der auch als Co-Kommentator für Eurosport arbeitet, hat
über die Jahre immer wieder mal einen Hoffnungsträger ins Haifischbecken
geworfen. Nachhaltig behaupten konnte sich darin bisher keiner. Aktuell
versucht der 25-jährige Umut Dikme aus Ludwigsburg sein Glück: Der deutsche
Meister von 2024 darf als Nummer 1 der Nachrücker-Liste (Order of Merit) an
einem Main-Tour-Turnier teilnehmen, wenn einer der Top 129 absagt. Auf
diese Weise hat Dikme in diesem Jahr bislang einmal die zweite Hauptrunde
erreicht und insgesamt 9.000 Pfund an Prämien gewonnen. In Wigan ist er
diese Woche in der ersten Runde der Qualifikation an Julian Boiko
gescheitert.
Der Ansturm der Youngster war eben noch nie so massiv. Aber das hat nicht
nur mit dem Königreich und Europa, sondern vor allem auch [3][mit dem Boom
in China zu tun.] In der Volksrepublik ist Snooker Schulfach, hier werden
Sichtung und Entwicklung von Talenten systematisch betrieben. Also drängen
immer mehr junge Cracks aus dem Reich der Mitte auf die Tour. Sie haben mit
den Vorreitern Ding Junhui (Nummer 8) [4][und Zhao Xintong (Nummer 10)]
inzwischen 33 Plätze auf der Weltrangliste erobern können – also fast 26
Prozent. Dieser Anteil dürfte weiter steigen, denn wie sagt Hein: „Wenn die
Europäer mit zwei, drei großen Talenten in der Saison kommen, kommen die
Chinesen mit Bussen.“
Diese Entwicklung hat die World Professional Billards and Snooker
Association (WPBSA) über ihren kommerziellen Ableger „World Snooker Tour“
vor etwa 15 Jahren bewusst vorangetrieben. Sie wollte dem auf der Insel
stagnierenden Interesse für das „Slow Burning Drama“, wie es gern genannt
wird, eine globale Perspektive verleihen. Darum machte sie ihre Rangliste
durch abgeänderte Regeln durchlässiger und erhöhte sowohl die Preisgelder
wie die Anzahl der Turniere. Das hat ihr neue TV-Märkte zugeführt – und
neue Himmelsstürmer aus viel mehr Ländern.
In York könnte von den genannten Youngstern aber allenfalls Artemijs Žižins
mitspielen. Der hellblonde Lette hat als Einziger die ersten drei
Quali-Runden überstanden und war am Donnerstag gerade noch ein Match von
den UK Championships entfernt (Ergebnis nach Redaktionsschluss). Aber das
gilt für seinen englischen Gegner David Lilley genauso.
28 Nov 2025
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/szubisnooker/
[2] /Snooker-WM-in-Sheffield/!6003240
[3] /Billiard-Boom-in-China/!5183001
[4] /Snooker-WM-in-Sheffield/!6083418
## AUTOREN
Bertram Job
## TAGS
Snooker
Konkurrenz
China
Snooker
Snooker
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