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# taz.de -- Plastiksenke im Wald: Wenn Wälder zu Mikroplastik-Speichern werden
> Die Waldböden in Deutschland enthalten 20-mal so viel Mikroplastik wie
> bisher angenommen. Wie gelangt es dorthin und was macht es mit den
> Bäumen?
Bild: Laubwälder sind stärker mit Mikroplastik belastet, denn Blätter haben …
Eher zufällig fand Collin Weber 2022 das erste Mikroplastik in einem
Waldboden nördlich von Darmstadt. Niemand vor ihm hatte [1][nach
Mikroplastik im deutschen Wald gesucht] und so ging Weber davon aus, dort
eine plastikfreie Vergleichsfläche für eine Studie über Äcker und andere
landwirtschaftliche Flächen zu finden.
Collin Weber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte
Geowissenschaften der TU Darmstadt. Auf Äckern hatte er jede Menge
Mikroplastik gefunden. In landwirtschaftlichen Böden reibt es sich von den
Reifen der Landwirtschaftsmaschinen ab, bröselt aus Folien, hängt an
Tröpfchen von Pestiziden. Doch im Wald konnte er sich keine Plastikquelle
vorstellen.
In Wäldern laufen allenfalls Menschen in Fleecepullovern herum und
verlieren dabei feinste Polyamidfasern, Förster ummanteln junge Bäume mit
Plastiknetzen gegen den Biss von Rehen und Hirschen. Diese Plastikquellen
konnten jedoch nicht die Mengen an Mikroplastik erklären, die Weber im
herabgefallenen Laub, im Humus und in den unteren, mineralischen
Waldbodenschichten fand.
Nach den im Beifang entdeckten Mikroplastikmengen entwickelte er mit seinem
Team eine Methode, mit der sie Mikroplastik von Blattfitzelchen,
Spinnenbeinen, Regenwurmkot, Rindenresten und den anderen winzigen
organischen Teilchen im Waldboden abwaschen können, ohne das Mikroplastik
mit der Waschlösung zu verändern. Weber und sein Team verwendeten dabei nur
rostfreien Stahl und DIN-geprobte Glasbehälter, damit nicht etwa der Abrieb
von Plastik die Ergebnisse verfälschen könnte. Mit der Methode konnten die
Wissenschaftler nachweisen, dass der Anteil an Mikroplastik im
mineralischen Waldboden 20 Mal so hoch liegt wie bisher aus anderen Wäldern
bekannt.
## Wälder als Plastiksenke
Wälder sind demnach eine Plastiksenke. Sie sammeln Mikroplastik an, [2][wie
die Meere]. Doch anders als in den Ozeanen kommt das Mikroplastik in
Waldböden nicht aus Müllablagerungen, die sich langsam zerreiben und
zerfallen, sondern fliegt mit der Luft heran. „Das Mikroplastik in
Waldböden stammt aus atmosphärischen Ablagerungen und von zu Boden
fallendem Laub“, sagt Weber, wobei die Blätter und Nadeln der
unterschiedlichen Baumarten das Mikroplastik zuvor aus der Luft gekämmt
haben.
Vielleicht haben auch Regentropfen Plastikteilchen auf den Blättern
abgelagert, die dann mit den Blättern zu Boden segeln, dort zerfallen, von
Springschwänzen, Asseln, Regenwürmern zerkleinert und in den Boden bis in
tiefe Schichten eingearbeitet werden.
Aus Studien aus der Landwirtschaft wissen Forschende, dass Regenwürmer,
Schnecken oder auch die Larven von Schmetterlingen und Käfern Mikroplastik
schlucken und auf der Haut mit sich tragen, wenn sie im Boden unterwegs
sind. Auch Bakterien und andere Einzeller nehmen Mikroplastik auf und
wandern damit im Erdreich herum. „Je mehr Struktur der Boden hat, desto
mehr wird eingetragen“, sagt Weber.
Er hat in typischen Wirtschaftswäldern in Deutschland geforscht, in denen
hauptsächlich Rotbuchen, Kiefern, Fichten und Douglasien angepflanzt
werden. Dabei hat er festgestellt, dass Laubwälder stärker mit Mikroplastik
belastet sind, denn Blätter haben eine größere Oberfläche als Nadeln und
kämmen daher mehr Mikroplastik aus der Luft. Außerdem werfen Buchen und
andere Laubbäume anders als Fichten oder Douglasien jeden Herbst ihre mit
einem Plastikfilm beschichteten Blätter ab.
## Mit jedem Atemzug Mikroplastik aufnehmen
Die Erkenntnisse aus dem Wald bedeuten auch: Wenn Bäume mit Blättern das
Mikroplastik aus der Luft kämmen, fliegen die winzigen Plastikteilchen in
und mit der Luft herum, schweben unbemerkt in der Atemluft aller Lebewesen
an Land, die vermutlich mit jeden Atemzug Mikroplastik aufnehmen.
Die gute Luft in Wäldern ist damit noch keine Illusion. Aber: „Wälder sind
gute Indikatoren für die atmosphärische Mikroplastikverschmutzung“, sagt
Weber. „Eine hohe Konzentration von Mikroplastik in Waldböden deutet auf
einen hohen diffusen Eintrag der Partikel aus der Luft in diese Ökosysteme
hin.“ Das bedeutet, dass Menschen das Plastik gar nicht in der Natur
verbreiten müssen, damit es dort zu Mikroplastik zerfällt.
Das Mikroplastik ist bereits atmosphärisch im Umlauf, es ist überall, ob in
Luft oder Wasser gelöst. Weber stützt diesen Befund auf einen Vergleich mit
den Mengen der Plastikproduktion in Europa seit 1950. Und siehe da: Die
Plastikmengen in Waldböden und der Industrie korrelieren.
## Was richtet Mikroplastik im Boden an?
Erstaunlicherweise ist Weber der erste Wissenschaftler in Deutschland, der
den mikroskopisch kleinen Teilchen aus Polypropylen, Polyamid und anderen
Plastikverbindungen zwischen Buchenblättern und Springschwänzen methodisch
nachging. Was genau das Mikroplastik im Boden anrichtet, kann er noch nicht
sagen.
Da es jedoch nicht wieder verschwindet, sondern sich ansammelt, fürchtet
Weber, dass „das Mikroplastik die Umsetzung von Kohlenstoff und anderen
Nährstoffen beeinträchtigt“. Das würde bedeuten, dass [3][Wälder mehr als
bisher schon als Kohlenstoffsenke in der Klimakrise] ausfallen. Wir
erinnern uns: Bäume wandeln CO2 aus der Luft in den Blättern mithilfe der
Photosynthese in Sauerstoff (= O2) und Kohlenstoff (= C) um. Der Sauerstoff
dient allen Lebewesen als Atemluft, den Kohlenstoff lagern Böden und Bäume
ein. Daher die Begriffe Kohlenstoffsenke beziehungsweise
Kohlenstoffspeicher Wald.
„Die Umwandlung von Lichtenergie ist gestört, wenn vermehrte
Konzentrationen von Nanoplastik in den Zellmembranen sind“, sagt Arthur
Gessler, Leiter der Forschungseinheit Wald- und Bodenökologie an der
Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft der Schweiz.
Der Organismus der Pflanze braucht mehr Sauerstoff, wenn Mikro- oder
Nanoplastik in den Zellen vorhanden ist. Auch die Atmung der Wurzeln im
Boden ist gestört, hat Gessler im Labor gemessen – gibt aber zu bedenken,
dass die Laborexperimente mit Schösslingen von Birken, Buchen oder Fichten
nichts mit der Realität im Wald zu tun haben. „Wir haben keine guten
Experimente, die Aussagen über die Effekte von Mikroplastik im Waldboden
zulassen.“
Aber eines sei klar: Mikroplastik trägt zum „multiplen Stress der immer
heißeren Zeiten bei“. Aus den Forschungen zum atmosphärischen Stickstoff
wisse man, dass die Bäume bei dem üblichen Überangebot an Stickstoff im
Boden geringere Wurzeln entwickeln. Die Bäume müssen sich nicht so stark
anstrengen, um an den für sie lebensnotwendigen Stickstoff zu gelangen. Die
wenigen und kürzeren Wurzeln reichen dann jedoch in extremen Trockenzeiten
nicht aus – die mit dem aus der Luft einfliegenden Stickstoff gedüngten
Bäume kommen nicht ans Wasser und vertrocknen. „Jeder Stressor schädigt die
Bäume“, sagt Gessler. Und Stress haben die Bäume bereits mit Hitze,
Stürmen, Trockenheit – den Folgen der Klimakrise.
7 Nov 2025
## LINKS
[1] https://www.nature.com/articles/s43247-025-02712-4
[2] /Fazit-der-UN-Ozeankonferenz-/!6094001
[3] /Klimawandel/!5990314
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
Mikroplastik
Wald
Boden
Schwerpunkt Klimawandel
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