| # taz.de -- Schlangenbisse: Wo bleibt das Gegengift? | |
| > Jährlich sterben 100.000 Menschen an den Folgen von Schlangenbissen. | |
| > Trotz mehr Geld für die Entwicklung von Gegengiften ist keine Lösung in | |
| > Sicht. | |
| Bild: Die gifige Gaboon Viper kommt vor allem in Wastafrika vor | |
| Schon die offiziellen Zahlen sind alarmierend: Jährlich werden weltweit | |
| über 5,5 Millionen Menschen von Schlangen gebissen. Etwa die Hälfte dieser | |
| Menschen entwickelt Symptome einer Vergiftung. Bei etwa 100.000 führt der | |
| Biss zum Tod. Weitere 400.000 Menschen erleiden lebenslange Einschränkungen | |
| wie Amputationen oder Erblindung. Die Dunkelziffer dürfte drei- bis viermal | |
| so hoch sein, da viele Betroffene nie ein Krankenhaus erreichen und somit | |
| in keiner Statistik auftauchen. | |
| Besonders betroffen sind die Ärmsten der Armen in abgelegenen Regionen | |
| Afrikas, Asiens und Südamerikas. Dort leben nicht nur die meisten der 50 | |
| für Menschen potenziell tödlichen Giftschlangenarten, sondern es mangelt | |
| auch an medizinischer Versorgung und Antiseren. | |
| Die WHO reagierte 2017 und [1][erklärte Schlangenbisse zu einer | |
| vernachlässigten Tropenkrankheit], verbunden mit dem Versprechen, mehr | |
| Mittel für Aufklärung und Gegengift-Entwicklung bereitzustellen. Das | |
| ambitionierte Ziel damals: Bis 2030 soll die Zahl der Todesfälle halbiert | |
| werden. „Dieses Ziel werden wir verpassen. Auch wenn es einige positive | |
| Tendenzen gibt, stehen wir bei der Lösung des Problems immer noch am | |
| Anfang“, sagt Tim Lüddecke, Tiergift-Forscher am Fraunhofer-Institut für | |
| Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Gießen. | |
| Das größte Hindernis sei das Geld. Die finanziellen Mittel zur Erforschung | |
| von Schlangengiften sind sehr begrenzt, besonders im Vergleich zu | |
| Krankheiten wie Malaria, HIV oder Krebs. Große westliche Pharma-Konzerne | |
| haben ihre Produktion längst eingestellt und zeigen bislang wenig Interesse | |
| an der Entwicklung neuer Gegengifte. Die Gewinnaussichten in den | |
| betroffenen Ländern sind zu gering, und Subventionen gibt es kaum. | |
| An finanziellen Mitteln mangelt es auch an anderer Stelle. „Eine wichtige | |
| Maßnahme gegen Schlangenbisse ist Aufklärung und Prävention. Schon einfache | |
| Mittel könnten Leben retten“, betont Lüddecke. Viele Menschen werden | |
| gebissen, weil sie mit nackten Füßen durchs hohe Gras laufen, mit bloßen | |
| Händen auf den Feldern arbeiten oder sogar dort übernachten. Auch eine | |
| fehlende Müllentsorgung zieht Ratten an, denen die Schlangen folgen. In den | |
| oft zugigen Blechhütten der Betroffenen sind die Vorratskammern ebenfalls | |
| ein Anziehungspunkt für Schlangen. | |
| Könnten sich alle Menschen Schuhe leisten, ihre Felder mit mechanischen | |
| Erntemaschinen bearbeiten oder hätten sie Zugang zu sicheren Toiletten, | |
| gäbe es weniger Unfälle mit Schlangen. Eine bessere Schulbildung könnte | |
| ebenfalls Leben retten, indem sie über das Verhalten der Tiere aufklärt. | |
| Besonders Kinder sind eine sehr vulnerable Gruppe, da ihr geringeres | |
| Körpervolumen verhältnismäßig geringe Giftmengen sehr gefährlich macht. | |
| Doch ohne Verbesserung der sozio-ökonomischen Verhältnisse in den | |
| betroffenen Ländern ist all das schwer umsetzbar. | |
| Auch die medizinische Versorgung ist ein kritischer Punkt. Nach einem | |
| Schlangenbiss ist schnelles Handeln entscheidend. Das Gift wirkt, indem es | |
| entweder die Muskulatur lähmt oder die Durchblutung massiv stört. Der Biss | |
| einer Puffotter, einer der wichtigsten Giftschlangen Afrikas, verursacht | |
| starke Blutungen, nicht nur an der Bissstelle, sondern überall im Körper. | |
| Eine Schwarze Mamba lähmt ihre Opfer so stark, dass selbst bei | |
| rechtzeitiger Gabe des Gegengiftes oft noch eine zeitweilige Beatmung nötig | |
| ist. | |
| „In den entlegenen Gebieten Afrikas oder Asiens gibt es kaum | |
| Gesundheitsstationen mit Beatmungsgeräten oder Vorräten von passenden | |
| Gegengiften. Deshalb werden die Menschen entweder gar nicht oder erst sehr | |
| spät richtig behandelt“, erklärt Benno Kreuels, Leiter der Arbeitsgruppe | |
| Vernachlässigte Krankheiten und Vergiftungen am Bernhard-Nocht-Institut für | |
| Tropenmedizin. | |
| Stattdessen vertrauen die Gebissenen oft traditionellen Heilerinnen und | |
| Heilern, teils wegen der weiten Wege zum nächsten Krankenhaus und hohen | |
| Kosten, teils aus Aberglaube und Unwissen. Leider sind deren Methoden oft | |
| wirkungslos bis gefährlich – auf stark blutende Wunden werden Pasten aus | |
| Asche aufgetragen [2][oder Steine gelegt], in der Hoffnung auf Linderung. | |
| Diese stellt sich in vielen Fällen nur ein, weil die Menge des Giftes | |
| harmlos oder die Schlange für den Menschen ungefährlich war. | |
| Trotzdem müsse man die traditionellen Heiler einbeziehen, empfiehlt | |
| Kreuels. „Gezielte Aufklärungsarbeit könnte dafür sorgen, dass sie bei | |
| akuten Fällen schneller zum Gang ins Krankenhaus raten und traditionelle | |
| Methoden eher bei vermeintlich harmlosen Fällen anwenden.“ Doch auch wenn | |
| es ein Patient mit Bisswunde ins Krankenhaus schafft, ist die richtige | |
| Behandlung noch lange nicht gewährleistet. Besonders die Wahl, Dosierung | |
| und Verabreichung von Gegengiften stellt die Mediziner:innen und | |
| Pflegekräfte regelmäßig vor Probleme, wie eine Studie des | |
| Bernhard-Nocht-Instituts im afrikanischen Malawi nahelegt. | |
| In den untersuchten Krankenhäusern waren oft Gegengifte vorrätig, die kaum | |
| bis gar nicht gegen die im Land vorkommenden Schlangengifte wirkten. Kein | |
| Einzelfall, wie der Tropenmediziner erklärt. „In Afrika werden so gut wie | |
| keine eigenen Gegengifte produziert, sondern zum Beispiel aus Indien | |
| importiert. Diese Gegengifte sind nicht in klinischen Studien an Menschen | |
| untersucht, und oft ist unklar, wie wirksam sie überhaupt sind.“ Um das | |
| Gift im Körper eines Patienten zu neutralisieren, braucht es oft höhere | |
| Dosen als in den Packungsbeilagen angegeben. Einheitlichere Regelungen für | |
| klinische Studien und Zulassungen sowie lokale Produktionen könnten helfen | |
| – doch auch das kostet viel Geld. | |
| Ein weiterer Punkt im Katalog der Gegenmaßnahmen ist [3][die Entwicklung | |
| neuer, breiter wirksamer Antiseren]. Die meisten Gegengifte werden noch | |
| genauso hergestellt wie vor 150 Jahren. Großen Säugetieren wie Pferden | |
| werden kleine Dosen des Giftes über mehrere Wochen gespritzt und dann die | |
| Injektionsmenge langsam gesteigert. Ähnlich wie bei einem Impfstoff bildet | |
| das Immunsystem des Tieres Antikörper, die dann nach etwa zehn Wochen aus | |
| dem Blut der Tiere gefiltert werden können. Diese Methode ist wirksam und | |
| rettet jedes Jahr viele tausend Menschenleben. | |
| Aber es gibt auch Nachteile: Die Gegengifte sind nur begrenzt haltbar und | |
| müssen gekühlt gelagert werden. Außerdem sorgen die Proteine aus dem | |
| Pferdeblut immer wieder für allergische Reaktionen. „Besser wären | |
| synthetisch im Labor hergestellte Antiseren, die gegen die Gifte von ganzen | |
| Schlangenfamilien einer Region oder sogar eines Kontinents wirken und an | |
| den menschlichen Körper angepasst sind“, erklärt Kreuels. | |
| ## Hoffnung durch bereits existierende Medikamente | |
| Erste Erfolge gibt es bereits: Ein internationales Forscherteam hat den | |
| künstlichen Antikörper 95Mat5 entwickelt, der in Tierversuchen wirksam | |
| gegen das Nervengift vieler Giftnattern wie Kobras oder Mambas ist. Der | |
| Antikörper blockiert ihr Toxin gezielt und könnte so ein breit einsetzbares | |
| Gegengift werden. Da 95Mat5 noch nicht gegen alle Schlangengifte, etwa von | |
| Vipern, wirkt, suchen die Forschenden nun nach weiteren Antikörpern, um | |
| möglichst alle wichtigen Giftkomponenten abzudecken. | |
| Ein weiterer vielversprechender Ansatz kommt aus Großbritannien. Forschende | |
| haben herausgefunden, dass bestimmte bereits zugelassene Medikamente wie | |
| Dimercaptopropansulfonsäure (DMPS) Enzyme im Schlangengift blockieren und | |
| so in Tierversuchen Leben retten können. Diese Wirkstoffe werden bisher bei | |
| Schwermetallvergiftungen eingesetzt und binden Zink-Ionen, die viele | |
| Schlangengifte für ihre toxische Wirkung benötigen. | |
| „Da die Medikamente bereits auf dem Markt sind, könnten sie schneller als | |
| neue Antiseren eingesetzt werden“, sagt Kreuels. Sie sind außerdem | |
| günstiger, in guter Qualität verfügbar und müssen im Gegensatz zu | |
| Schlangengiften nicht gekühlt werden. Theoretisch könnten die Tabletten | |
| damit auch zu den Heilern in entlegene Dörfer gebracht werden und dort | |
| Menschenleben vor Ort retten. Die ersten hoffnungsvollen Ergebnisse sollen | |
| nun in klinischen Studien am Menschen bestätigt werden. | |
| 31 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Weltweiter-Medikamentenmangel/!5996819 | |
| [2] /Toedliche-Schlangenbisse/!5527712 | |
| [3] /Studie-aus-den-USA/!6084250 | |
| ## AUTOREN | |
| Birk Grüling | |
| ## TAGS | |
| Schlangen | |
| Forschungsförderung | |
| Medizin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |