# taz.de -- Die Wahrheit: Urlaub auf der Autobahnraststätte | |
> In Großbritannien ist das Essen neben dem Highway wenig genießbar, aber | |
> dort gibt es einen legendären Treffpunkt für Rock- und Popmusiker auf | |
> Tour. | |
Vor 70 Jahren kam jemand im Verkehrsministerium in England auf die Idee, | |
eine Autobahnraststätte bauen zu lassen. Vier Jahre später, am 2. November | |
1959, war es so weit: Der Betreiber der Raststätte Watford Gap auf dem M1, | |
der London mit Leeds verbindet, war Blue Boar, das eine kleine Tankstelle | |
in der Nachbarschaft besaß. Das Hauptgebäude war bei der Eröffnung noch | |
nicht fertig, sodass das Essen in einem provisorischen Schuppen serviert | |
wurde. Die Raststätte soll die Trennlinie zwischen Nord- und Südengland | |
sein. Mehr als vier Millionen Menschen besuchten den Standort im | |
vergangenen Jahr. | |
In den sechziger Jahren wurde der Blaue Eber zu einem Treffpunkt für | |
Rockgruppen, da man in den frühen Morgenstunden eine Mahlzeit einnehmen | |
konnte. Bands wie Pink Floyd, die Rolling Stones, die Beatles, die Hollies | |
und die Kinks hielten am Watford Gap. Chris White von den Zombies | |
bezeichnete die Raststätte als „Futtertrog des Beatbooms“. Jimi Hendrix | |
hörte so viel über den Blue Boar, dass er den Laden für einen Londoner | |
Nachtclub hielt. | |
Eine Sammlung Toilettenpapier eines ehemaligen Mitarbeiters wurde 2021 für | |
1.300 Pfund versteigert, denn Shirley Bassey, Cilla Black, Paul McCartney, | |
Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Dusty Springfield und Cliff | |
Richard hatten das Klopapier signiert. | |
In den siebziger Jahren beeinträchtigte die Kombination aus Rezession und | |
überteuertem Essen von miserabler Qualität die Popularität des Blauen Ebers | |
stark. Der Folkrocksänger Roy Harper schrieb einen Song, in dem er das | |
Essen im Watford Gap auf seinem 1977 erschienenen Album „Bullinamingvase“ | |
anschaulich beschrieb: „Watford Gap, Watford Gap, ein Teller voller Fett | |
und eine Ladung Mist.“ Ein Vorstandsmitglied von Harpers Plattenfirma EMI | |
sorgte dafür, dass der Song in den Neuauflagen des Albums nicht mehr | |
enthalten war. Der EMI-Mann war nämlich gleichzeitig Direktor von Blue | |
Boar. | |
1995 übernahm Roadchef den Laden, und fortan wurde das Essen genießbarer, | |
wenn auch nur knapp. Ich weiß das, denn wir haben vor einigen Jahren einen | |
Tag auf einer Roadchef-Raststätte verbracht, als unser Auto den Geist | |
aufgegeben hatte und wir auf den Abschleppdienst warteten. Beim Bezahlen | |
drückte man uns einen Gutschein für einen Kaffee in die Hand. Als wir ihn | |
einlösen wollten, erklärte uns die Kassiererin, dass er erst beim nächsten | |
Besuch gültig sei. Also verließen wir den Laden und betraten ihn Sekunden | |
später wieder. | |
Es wurde zu einem Ritual. Wir bekamen jedes Mal beim Bezahlen einen neuen | |
Gutschein, mal für eine Suppe, mal für ein Brötchen, mal für eine Tasse | |
Tee. Schließlich knickte die Kassiererin ein und löste die Voucher ein, | |
ohne dass wir das Lokal erst verlassen mussten. Nach sieben Stunden waren | |
wir so gut wie befreundet und bedauerten es beinahe, als der Abschleppwagen | |
eintraf. | |
7 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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