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# taz.de -- Ministerin stellt Pflegepläne vor: Jetzt mal ernsthaft, Frau Prien!
> Mit ihrem Pflegegeld will CDU-Ministerin Karin Prien die Pflege in die
> private Verantwortung der Familien zurückverlagern. Wie könnte eine
> ernsthafte Pflege-Politik aussehen?
Bild: Offenbart mit ihren Pflegeplänen ihr antiquiertes Familienbild: Bundesfa…
## „Es wird mit unserer demographischen Entwicklung nicht möglich sein,
dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird. Deshalb müssen wir einen
Einstieg in ein Pflegegeld als Lohnersatz für pflegende Angehörige
schaffen.“
Karin Prien, CDU-Bundesfamilienministerin, am 20. Mai.
[1][taz FUTURZWEI] | Die neue Ministerin will auffallen. Dazu braucht es
Knaller. Die Medien lieben Knaller. Ganz gleich, ob sie als Problemlösungen
taugen oder nicht. Für eine Abgeordnete im Wahlkampf wären letztere noch
hinzunehmen, bei einer neuen Ministerin ist ein Knaller-Auftritt pure
Kraftmeierei.
## Überfrachtung der Familien
Die Ansage von Karin Prien, Pflegegeld für Angehörige schaffen zu wollen,
klingt für Fachfremde erstmal gut, ist aber eine Absage an alle Versuche,
die [2][Pflege] der Alten in staatlicher Verantwortung so zu organisieren,
dass jeder Alte, effizient organisiert, die Hilfe bekommt, die er für ein
würdevolles Leben braucht.
Ministerin Prien will die Verantwortung für die Pflege dagegen in die
private Verantwortung der Familien zurückverlagern, obwohl die Familien
heute dafür gar nicht mehr aufgestellt sind.
## Ignoranz der Demografie
Zur Fundierung der Debatte hier einige Hinweise auf demografische
Tatsachen, die auch für Frau Prien die Pflege bestimmen werden. Bis etwa
2060 wird es eine hohe Überzahl an Alten geben. 2022 betrug der Anteil der
15- bis 24-Jährigen an der Bevölkerung etwas über 16 Prozent. Bis 2050 wird
er auf etwa 12 Prozent sinken. Der Anteil der über 65-Jährigen betrug 2022
etwa 23 Prozent, er wird bis 2050 auf etwa 39 Prozent ansteigen.
Die Lebenserwartung der Alten nimmt zu, was die Kosten ihrer Versorgung
zusätzlich ansteigen lässt. Heißt: In den nächsten 40 Jahren müssen immer
weniger Junge immer mehr Alte in deren späten Jahren mit
Pflege-Dienstleistungen versorgen.
Für die Finanzierung der Pflege der Alten bis 2050 werden sich, wenn der
heute geltende Qualitätsstandard gehalten werden soll, die heute zu
zahlenden 3,4 Prozent vom Brutto nach Schätzung des Statistischen
Bundesamtes auf etwa 6 Prozent verdoppeln.
Die Sozialabgaben insgesamt, die sich heute auf etwa 21 Prozent vom Brutto
belaufen, werden nach der gleichen Schätzung auf mindestens 40,9 Prozent
und mehr vom Brutto anwachsen. Das bedeutete für viele Jahre viel weniger
Netto vom Brutto für die Jungen.
Daraus könnte ein veritabler Generationenkonflikt Junge gegen Alte
entstehen, der die nächsten Jahrzehnte mit der Frage prägt: Warum sollen
wir Jungen die Alten, die zu wenige Kinder in die Welt gesetzt haben, durch
Einschränkungen unserer Lebensbedürfnisse finanzieren?
## Karin Prien ist wirklichkeitsfremd
Die Vorstellung von Karin Prien, mit dem Pflegelohnersatz könnte die Pflege
zurück in die Familien verlagert werden, ist wirklichkeitsfremd. Sie
verstärkt den ohnehin starken Mangel an Facharbeitskräften weiter.
Vor allem aber: Familien als Generationen übergreifende Lebensverbünde, und
Hausfrauen als Verantwortliche für alle [3][Care-Arbeiten], gibt es nicht
mehr. Realität ist, dass die Alten und ihre Kinder mit deren Berufsbeginn
und Familiengründung in der Regel weit voneinander entfernt leben.
Die Alten bleiben allein zurück, zuerst als Paare, dann in der
überwiegenden Mehrheit als alte, alleinlebende Frauen, mit viel zu
niedrigen Renten in einer für sie zu großen Wohnung, gequält von
Altersarmut, weit weg von ihren Kindern.
Irgendwann verlassen sie aus Armutsscham ihre Wohnungen nicht mehr, werden
vom Essen auf Rädern versorgt, leiden an ihrer Einsamkeit vor sich hin.
## Verkümmerung der Pflege-Infrastruktur
Für diese Frauen gibt es überhaupt keine realistische Chance für einer
qualitätssichere Familienpflege, sie sind auf die öffentliche, ambulante
und stationäre Pflege angewiesen.
Was sie brauchen, ist eine flächendeckende, öffentliche ambulante und
stationäre Pflegeversorgung für alle Alten. Doch die gibt es nicht. Die
dafür notwendigen öffentlichen Investitionen in die Strukturen der
ambulanten und stationären Pflege, deren feste Verknüpfung mit allen
Institutionen des Gesundheitssystems, in die Ausbildung des
Pflegepersonals, dessen angemessene Bezahlung, sind bisher ausgeblieben.
Einen Mechanismus, der die allgemeinen Kostensteigerungen in der ambulanten
und der stationären Pflege (angemessene Löhne, steigende Sachkosten und
gedeckelte Kostenanteile der Angehörigen) ausgleichen könnte, gibt es
nicht.
Die Leistungen der Pflegeversicherung, die nach Pflegegraden festgelegt
werden, bilden heute nur ein schmales Fundament der öffentlichen und
privaten, ambulanten und stationären Pflege. Mehr nicht. An ihrem Ausbau
wird auch nicht gearbeitet.
Ein Pflegelohnersatz würde an der Pflegekrise der nächsten Jahrzehnte
nichts ändern. Damit würden die zu pflegenden Alten der
nichtprofessionellen Pflege durch ihre Angehörigen ausgeliefert, was nur zu
vermehrten Krankenhauseinweisungen in immer kürzeren Abständen führen und
neue Kostenexplosionen auslösen würde.
Wie die Jungen mit ihren Alten umgehen, daran zeigt sich der
menschenfreundliche oder altersrassistische Charakter einer Gesellschaft.
## Öffentliche Investitionen sind unausweichlich
Selbst wenn sie wollten, könnten die Familien auch mit dem Pflegelohnersatz
die notwendige Pflege nicht hinbekommen. Die Pflege der Alten kann nur als
öffentliche Vollversorgung sichergestellt werden, dann könnte sie insgesamt
auch kostengünstiger organisiert werden.
Sie muss aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden. Wenn dazu der
Beitrag zur Pflegeversicherung verdoppelt werden muss und die Sozialabgaben
insgesamt auf über 50 Prozent vom Brutto ansteigen, dann werden die Bürger
diese Lastenteilung nicht ablehnen, weil dafür die Sicherheit einer
professionellen Pflege als dauerhafter Bestandteil der öffentlichen
Daseinsvorsorge garantiert wird. Natürlich müssen auch die Alten einen
eigenen Beitrag leisten.
Der Beschluss des dänischen Parlaments in dieser Woche, die
Lebensarbeitszeit auf 70 Jahre zu erhöhen, weist den richtigen Weg. Frau
Prien ist ein Bildungsausflug zu ihren dänischen Kollegen dringend zu
empfehlen, ein wenig mehr dänische Hygge anstelle von Ankündigungstheater
könnte ihr beim grundsätzlichen Reformieren der Pflege in Deutschland
helfen.
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26 May 2025
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## AUTOREN
Udo Knapp
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