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# taz.de -- Wenig Zeit für gute Geburten
> Dass eine Hebamme eine Gebärende betreut – und nicht zwei oder drei
> zugleich –, fordern Hebammen schon lange. Längst nicht überall ist das
> der Fall. Zwei Erfahrungsberichte
Bild: Im Geburtsraum des Simulationslabors der Uniklinik Halle an der Saale
Von Sarah Schubert
Die Frage, ob ihr als [1][Hebamme] manchmal Fehler passieren, weil sie
mehrere Geburten gleichzeitig betreuen muss, bejaht Mia Gruber sofort. Dann
macht sie eine lange Pause, bevor sie erzählt.
Bei ihrer Arbeit sei bisher zum Glück zwar nichts Schlimmes passiert, was
an der Mehrfachbetreuung gelegen hätte. „Ich habe aber schon
Geburtsverläufe miterlebt, die mit mehr Zeit einen besseren Ausgang
gefunden hätten“, sagt Gruber. So würden einige Geburten zum Beispiel
darunter leiden, dass Gruber oft keine Zeit hat, die Gebärenden positiv zu
bestärken. „Wenn ich das nicht machen kann, geben einige Frauen viel eher
auf und sagen, sie schaffen es nicht.“
Mia Gruber, die hier nicht mit ihrem echten Namen genannt werden möchte,
arbeitet seit 32 Jahren als Hebamme, seit 14 Jahren im Marienhaus Klinikum
Mainz. Um Gebärende gut durch die Geburt begleiten zu können, braucht sie
Zeit mit ihnen. Doch die hat sie nicht immer. „Geburtshilfe ist ja nicht
planbar“, sagt Gruber. Hin und wieder komme es vor, dass sie mit zwei
Kolleginnen [2][vier bis sieben Geburten gleichzeitig betreuen müsse].
In diesen Fällen muss Gruber Prioritäten setzen. Über Monitore kann sie die
Herztöne der Kinder überwachen, auch wenn sie nicht im selben im Raum ist.
Zusätzlich muss sie beurteilen, wie gut die Gebärenden jeweils mit der
Situation zurechtkommen. „Jede Frau erlebt eine Geburt anders“, sagt
Gruber. „Manche können mit dem Schmerz gut umgehen, andere brauchen viel
mehr Hilfe“.
Eine kommunikative Ebene mit den Gebärenden zu finden, sei ein wichtiger
Teil von guter Geburtshilfe. „Wir müssen die Frauen immer erst mal lesen“,
sagt Gruber. „Wenn ich die eine Frau mit einem lockeren Spruch gut abholen
kann, kann der bei einer anderen sehr ungut ankommen. Das tut mir dann
unglaublich leid“, sagt sie. Unter Zeitdruck klappe die Kommunikation oft
nicht mehr gut.
Um solche Situationen zu vermeiden, fordert der Deutsche Hebammenverband
(DHV) schon lange eine 1:1-Betreuungsgarantie für Gebärende durch Hebammen.
Die ließe sich mit einem verbindlichen Personalschlüssel für Kliniken
umsetzen. Genügend ausgebildete Hebammen gäbe es dafür, so DHV-Präsidentin
Ulrike Geppert-Orthofer. „Es gab nie wirklich einen Personalmangel.
Kolleginnen bewerben sich nur nicht auf Stellen, auf denen sie nach einem
Vierteljahr verheizt sind.“
Auch Gruber hatte im letzten Jahr Zweifel an ihrer Arbeit in der Klinik.
„Die Arbeit wird immer mehr und mehr, aber es ist weniger Personal da“,
sagt sie. Zusätzlich zu ihren eigentlichen Aufgaben als Hebamme kämen durch
Sparmaßnahmen auch immer mehr bürokratische Aufgaben auf sie zu. „Das nimmt
mir oft noch mehr Zeit, in der ich mich nicht um die Frauen kümmern kann“,
berichtet sie. Aus Überzeugung und aus Mangel an Alternativen hat sie sich
entschieden, trotz allem als Hebamme weiterzumachen. „Mittlerweile habe ich
mir einfach ein dickes Fell angeeignet“, sagt Gruber.
Doch Geburtshilfe sollte im besten Fall anders aussehen – sowohl für
Gebärende als auch für Hebammen. Judith Jeron arbeitet als Hebamme in einer
kleinen Klinik in Wiesbaden, in der die 1:1-Betreuung seit einigen Jahren
garantiert ist. 2016 wurden dort mehr Hebammen eingestellt, nachdem die
Geburtenrate in Deutschland gestiegen war. Mittlerweile ist die Zahl der
Geburten wieder rückläufig. Doch der Personalschlüssel in der Klinik blieb.
Auch Jeron hatte vorher mit hohem Stress im Berufsalltag zu kämpfen. „Es
gab Dienste, da konnte ich nicht einmal zur Toilette gehen“, sagt sie
Heute kann sie sich voll und ganz auf eine Geburt konzentrieren. Mit zwei
Kolleginnen ist sie in den meisten Diensten für zwei oder weniger Geburten
zuständig. Wenn sie eine Geburt betreut, kann sie bürokratische Aufgaben,
die dabei anfallen, an eine Kollegin abgeben. So kann sie Gebärende
lückenlos durch die Geburt begleiten. „Oft ist es einfach wichtig für die
Frauen, dass ich da bin und ihnen Sicherheit gebe“, sagt Jeron. Auch für
die Partner:innen der Gebärenden sei ihre Anwesenheit wichtig: „Da ist
häufig ein Gefühl von Hilflosigkeit.“
Jeron erlebt außerdem immer wieder, dass Gebärende nicht gut vorbereitet
sind auf die Geburt. Sie führt das unter anderem darauf zurück, dass viele
Frauen, die sie begleitet, Geburtsvorbereitungskurse mittlerweile online
besuchen. „Das macht eine 1:1-Betreuung noch viel wichtiger“, sagt Jeron.
Um auf die individuellen Bedürfnisse von Gebärenden eingehen zu können und
ihrem Job als Hebamme gerecht zu werden, brauche es diese Form der
Geburtsbetreuung. „Es kann so schön sein, diesen wichtigen Moment im Leben
anderer Menschen mitzuerleben. Aber es ist nicht fair, wenn ich mich als
Hebamme nicht voll darauf einlassen kann.“
Eine baldige Reform in der Geburtshilfe ist nicht in Sicht: Die vom DHV
geforderte 1:1-Betreuungsgarantie wird im Koalitionsvertrag von Union und
SPD nicht erwähnt. Auch sonst haben sich die Koalitionäre auf keine
konkreten Ziele für die Geburtshilfe geeinigt. Lediglich der
flächendeckende Zugang zu Geburtshilfe wird mit einem Satz und ohne weitere
Erläuterung versprochen. Das begrüßt der Deutsche Hebammenverband in einer
Pressemitteilung zwar als „positives Signal“ – allerdings auch nur, weil …
im Vergleich zum Sondierungspapier eine Verbesserung ist. Dort wurde das
Thema Geburtshilfe mit keinem Wort erwähnt.
Neben einer 1:1-Betreuung und einer Versorgungsgarantie für Schwangere
hatte der DHV eine Qualitätsgarantie in der Geburtshilfe gefordert. Doch um
gute Qualität garantieren zu können, müsste die erst einmal gemessen
werden. Aktuell gibt es hierzulande zu wenig systematische Untersuchungen,
die das Geburtserleben von Gebärenden oder die Notwendigkeit von Eingriffen
während der Geburt erfassen. Das prangern der DHV und die Elterninitiative
Mother Hood an. „Das ist nicht nice to have, sondern internationaler
Standard“, sagt Katharina Desery von Mother Hood.
Dass es beim Thema Geburtshilfe Handlungsbedarf gibt, wurde bereits 2016 im
Nationalen Gesundheitsziel rund um die Geburt festgehalten. Die
Ampelregierung hatte sich 2021 in ihrem Koalitionsvertrag auf die Umsetzung
dieses Gesundheitsziels geeinigt. 2024 hat das SPD-geführte
Bundesgesundheitsministerium dann einen entsprechenden Aktionsplan
veröffentlicht, um die Lage von Hebammen und Gebärenden zu verbessern.
Umgesetzt wurde dieser jedoch nicht.
Interessenvertreter:innen wie der DHV hielten den Aktionsplan
ohnehin für unzureichend. Dem Gesundheitsziel einer frauenzentrierten
Versorgung wurde er laut Mother Hood nicht gerecht. Die neue Regierung
müsse einen neuen Aktionsplan entwerfen, mit dem sich Ziele wie die
1:1-Betreuungs-Garantie tatsächlich umsetzen ließen, so der DHV. Wie die
Geburt erlebt werde, wirke sich auf die Gesundheit des Kindes und der
Gebärenden aus, sagt Geppert-Orthofe.
Auch Hebammen wie Mia Gruber würde das entlasten. „Ich möchte meine Arbeit
bei jeder Geburt gut machen können und ich möchte so arbeiten, dass es mir
damit gut geht.“
20 May 2025
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## AUTOREN
Sarah Schubert
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