# taz.de -- Kommentar zu Joschka Fischers Ideen einer neuen Weltordnung: Europa… | |
> Joschka Fischer beschreibt in seinem neuesten Buch eine neue | |
> machtbasierte Weltordnung. Ist eine Rückkehr ständiger kriegerischer | |
> Auseinandersetzung denkbar? Leider ja, meint unser Kolumnist. | |
Bild: Zeigt einen möglichen Weg in die Zukunft: Ex-Außenminister Joschka Fisc… | |
[1][taz FUTURZWEI] | [2][Joschka Fischer] beginnt seine neueste | |
weltpolitische Diagnose mit einer Beschreibung „des Übergangs von einer | |
regelbasierten zu einer machtbasierten Weltordnung“, das meint „eine | |
Rückkehr in die Vergangenheit ständiger kriegerischer Auseinandersetzung | |
konkurrierender Mächte.“ | |
Die große Frage, die der Außenminister der rot-grünen Jahre in seinem | |
jüngsten Buch stellt: „In welcher Weltordnung werden mehr als acht | |
Milliarden Menschen zukünftig leben? Ohne Ordnung, im Chaos der Rivalität | |
mehrerer großer Mächte und deren widersprechenden Interessen, Wertesysteme | |
und irrationaler Ambitionen, allerdings im Gegensatz zu früheren | |
Jahrhunderten, ausgerüstet mit [3][Atomwaffen], digitaler Technik und | |
künstlicher Intelligenz?“ | |
## In welcher Weltordnung leben wir (noch)? | |
Die Eckdaten der heutigen Weltordnung sind für Fischer: | |
[4][Putin] hat den zaristischen Großmachtchauvinismus zu seiner politischen | |
Direktive erhoben, ist ohne eigenes Zukunftsmodell in Abhängigkeit von | |
[5][China] geraten, kann zwar Europa destabilisieren, hat aber nur als | |
Juniorpartner Chinas noch Anteil an Weltmacht-Perspektiven. | |
[6][Xi Jinping] knüpft an die neomaoistischen Zeiten der chinesischen KP | |
an. Er hat China wirtschaftlich, technologisch und militärisch in den Rang | |
der Weltmacht Nummer zwei geführt. China ist eine sich kommunistisch | |
nennende Diktatur. Das Allgemeininteresse der Gesellschaft ist hier | |
Staatsräson – jeder individuellen Freiheit übergeordnet. | |
US-Präsident [7][Donald Trump] knüpft mit „make America great again“ an d… | |
US-Isolationismus an. Das kann er sich leisten, denn Amerika ist | |
ökonomisch, technologisch und militärisch nach wie vor die Weltmacht Nummer | |
eins. Trump wird die amerikanischen Interessen mit einem auf die ganze Welt | |
bezogenen rationalen oder irrationalen Führungsanspruch mit – ausdrücklich | |
– allen Mitteln durchsetzen. | |
## Europa und der globale Süden | |
Europa und die [8][EU] sind machtpolitisch und militärisch schwach, dazu | |
noch demografisch vom Rückgang seiner Bevölkerung betroffen und intern | |
zerstritten. Wenn es im transatlantischen Verbund an der Seite eines – auch | |
ohne die EU – starken Amerika eine weltpolitische Rolle spielen will, dann | |
muss die EU eine zentralisierende Machttransformation hinbekommen. | |
Gelingt das nicht, wird es einen transatlantischen, freien Westen nicht | |
mehr geben. Europa wird dann weltpolitisch keine Rolle mehr spielen. Das | |
gilt umso mehr für den Fall, dass es Europa nicht gelingen sollte, auch | |
ohne massive amerikanische Hilfe, die Ukraine als selbstständigen Staat zu | |
sichern. | |
Der globale Süden drängt nach der Überwindung der Folgen des Kolonialismus, | |
auch der mentalen, auf Anerkennung und Weltgeltung. | |
Der Krieg im [9][Nahen Osten] um die Zukunft [10][Israels] zeigt, so | |
Fischer, die Schwäche der heutigen Weltordnung, verbindliche | |
Rahmenbedingungen für das Miteinander zerstrittener Nationen zu setzen. Nur | |
deshalb kann die Mittelmacht [11][Iran] die ganze Region destabilisieren | |
und weltweit religiös ideologisch aufgeladene Konflikte lostreten. | |
## Die neue Teilung der Welt | |
Schließlich ist festzuhalten, dass sich die Zweiteilung der Welt in | |
Demokratien und Autokratien verfestigt hat. Beide Seiten kämpfen um Macht | |
und Einfluss. Die bisherige Weltordnung, die auf den „liberalen Prinzipien | |
Amerikas, seiner Macht und Kreativität und der westlichen Vorherrschaft | |
gegründet war“, sagt Fischer, „hat vor diesem globalen Machtgefüge an Kra… | |
und Akzeptanz verloren.“ | |
Ohne einen neuen globalen Ordnungsrahmen würden Chaos und Kriege die | |
Weltpolitik destabilisierend bestimmen, würden Regionalmächte die | |
Gelegenheiten nutzen, um ihre Interessen in Kriegen und mit Terror | |
durchzusetzen. | |
In dieser geopolitischen Lage sieht Fischer im Interesse eines weltweiten | |
Friedens nur eine Möglichkeit. „Die beste Option für die Weltgemeinschaft | |
wäre ein zu gleichen Teilen auf Kooperation gründender chinesisch | |
amerikanischer Frieden, garantiert durch diese beiden globalen Supermächte. | |
Damit würde die Welt aufs Neue zu globaler Stabilität finden.“ | |
## Realpolitik und universalistische Demokratie | |
Diese Idee setzt auf die realpolitische Vernunft des „Duopols | |
Amerika-China“ und geht von deren Verzicht auf eine weltweite politische | |
und geistige Hegemonie ihres eigenen Gesellschaftsmodells aus. | |
Fischer reduziert damit die demokratische und rechtsstaatliche Idee des | |
liberalen Westens, ihren universellen Anspruch auf die Geltung von | |
Freiheits- und Menschenrechten, auf eine bloß machtpolitische Entität, die | |
nur in ihrem eigenen Herrschaftsbereich gesichert ist. Die Welt würde in | |
machtpolitisch zugeordnete Einflusszonen aufgeteilt, für die strikte | |
Vereinbarungen der Nichteinmischung gelten würden. | |
Für mehrere Milliarden Menschen wäre Demokratie nicht mehr als eine nie | |
erreichbare Luftnummer, im Interesse eines für sie abstrakten Weltfriedens | |
würden Willkür und Unterdrückung hingenommen. Die große Tradition des | |
Westens, liberale Freiheitsbewegungen subversiv und notfalls auch mit | |
Gewalt zu unterstützen, wäre Geschichte. | |
Das ist hart, aber Joschka Fischer gibt andererseits Europa als | |
transatlantischen Partner Amerikas als gemeinsamen Anker westlichen Denkens | |
und Handelns nicht einfach auf. Er sieht in einer von Deutschland | |
durchgesetzten Vertiefung der EU die Chance, den Westen insgesamt auf | |
universalistischem Kurs zu halten. | |
Er zeichnet das deutsche Staatwerden nach – auf seinem Weg heraus aus dem | |
preußischem Machtgebaren und in seinen Versuchen, mit den zwei | |
angezettelten Weltkriegen selbst zur Weltmacht aufzusteigen. | |
Er beschreibt den von den Alliierten patriarchalisch begleiteten Aufstieg | |
der Bundesrepublik nach 1945 zur demokratischen Zentralmacht in der EU, mit | |
Adenauers Westbindungspolitik bis zur Wiedervereinigung, als demokratische | |
Selbstermächtigung, die nur wegen des bewussten Souveränitätsverzichtes | |
zugunsten der EU erfolgreich war. Deutschland muss aus Eigeninteresse und | |
als Selbstverpflichtung für einen freiheitlichen Westen eintreten, offensiv | |
für eine Vertiefung der EU und gegen den auch in Europa sich ausbreitenden | |
Neonationalismus. | |
Die EU, sagt Joschka Fischer, könnte Amerika trotz Trump auf freiheitlichem | |
Kurs für die ganze Welt halten. Das ist eine Rolle, die durchaus Europas | |
historischem Gewicht entspricht. Und es ist eine deutliche Ansage Fischers | |
an die deutsche Politik. | |
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22 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Udo Knapp | |
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