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# taz.de -- Machtmissbrauch an der Uni: Schutzlos in der Sprechstunde
> Machtmissbrauch an Universitäten ist strukturell – und fängt schon bei
> subtiler Übergriffigkeit an. Viele Betroffene fühlen sich alleingelassen.
Bild: Die Macht steckt hier schon in der Architektur: Humboldt-Uni Berlin Unter…
berlin taz | Franca sitzt in einem Besprechungszimmer der
Studierendenverwaltung der Humboldt Universität (HU) auf einem Bürostuhl
und schaut ihrem Gegenüber auf die Brust. Dann blickt sie kurz nach oben
und wieder runter zur Brust. An die zehnmal lässt sie so ihren Blick
wandern – zu Demonstrationszwecken. „Genauso hat er es gemacht“, sagt die
junge Frau.
Er, das ist ein Dozent der HU. Vor zwei Jahren saß Franca, die aus Angst
vor negativen Konsequenzen nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen
will, in seiner Sprechstunde. „Es war Winter und ich hatte meine
Winterjacke auf dem Schoß, so wie jetzt“, erinnert sie sich. Sie will mit
dem Dozenten über ihre Erasmus-Bewerbung reden. Doch der blickt ihr immer
wieder schamlos auf die Brüste. „Irgendwann habe ich meine Jacke ein
bisschen hochgehoben, er hat trotzdem noch geguckt“, erzählt sie der taz.
Das Erlebnis überrumpelt sie. Es steht beispielhaft dafür, wie
Machtmissbrauch an Universitäten aussehen kann und wie Studierende damit
alleingelassen werden.
Die HU-Studierendenverwaltung – der Referent*innenrat – hat kürzlich
die [1][Ergebnisse einer Umfrage zu Machtmissbrauch] veröffentlicht. Aus
den Antworten von 855 aktiven und ehemaligen Studierenden geht hervor, dass
fast die Hälfte der Befragten mindestens einmal mitbekommen hat, wie
Dozierende ihre Macht missbrauchen. 14 Prozent haben selbst Machtmissbrauch
erlebt.
Aus dem Bericht geht auch hervor: Frauen und queere Personen sind
überdurchschnittlich häufig betroffen. Dementsprechend fühlen sich 25
Prozent der weiblichen Befragten und 53 Prozent der Studierenden mit
anderer Geschlechtsidentität an der HU nicht uneingeschränkt sicher.
Was bedeutet es, im universitären Kontext Macht zu missbrauchen? Der
Referent*innenrat nutzt für seinen Bericht die Definition einer
Projekt-Kommission, die sich spezifisch für die Philosophische Fakultät mit
der Prävention von Machtmissbrauch befasst hat. Darin heißt es: „Personen
können Macht im Verhältnis zu anderen auf eine Art und Weise nutzen, die
anderen Zielen als den Zielen der Organisation dient, insbesondere eigenen
Zielen, oder die anderen Personen ungerechtfertigten Schaden zufügt.“
Konkret üben Dozent*innen und Professor*innen Macht aus, wenn sie
Prüfungen bewerten, Promotionen betreuen oder Seminare leiten – eine große
Verantwortung, der nicht alle Autoritätspersonen gerecht werden. Wenn sie
diese Macht falsch nutzen, also miss-brauchen, kann das mit verschiedenen
Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus oder Ableismus verknüpft
sein.
In seinem Bericht zitiert der Referent*innenrat Beispiele für
Machtmissbrauch aus der Umfrage: Dozierende, die kritische Beiträge in
ihren Veranstaltungen ignorieren und andere Studierende bevorzugen,
unsachliches Feedback geben, sich über Fehler von ausländischen
Studierenden lustig machen, bewusst und wiederholt queere Studierende mit
falschem Geschlecht anreden.
Oder Dozierende, die ihre Studentinnen in unangenehme Situationen bringen.
Als Franca in der Sprechstunde sitzt, befindet sie sich in einem
Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Dozenten: Er soll über ihren
Erasmus-Antrag entscheiden und ihr eine Universität zuteilen. Franca
studiert zu dem Zeitpunkt im Bachelor Geschichte. „Ich hatte mit ihm vorher
schon Kontakt und hatte deswegen auch nichts Unprofessionelles erwartet.
Eigentlich hat er sich sonst immer sehr korrekt verhalten“, sagt sie. „Ich
dachte davor auch immer, dass es an Universitäten allgemein professionell
zugeht und man Student*innen nicht auf ihren Körper reduziert.“
## „Richtigen Ekel verspürt“
Franca ist überrascht, wie sehr ihr das Erlebnis zusetzt. Um dem Dozenten
nicht mehr zu begegnen, beantragt sie den Erasmus-Aufenthalt über ihr
Zweitfach. Sie besucht keine Veranstaltungen mehr bei ihm. „Ich wollte ihm
wirklich nie wieder begegnen, weil es so unangenehm war und ich mich so
machtlos gefühlt habe und richtig wütend war.“ Vor ein paar Wochen erst sei
sie ihm im Institut über den Weg gelaufen. „Da habe ich noch mal richtigen
Ekel verspürt vor diesem Mann.“
Seit ein paar Jahren gibt es mehr öffentliche Aufmerksamkeit für
Machtmissbrauch an Hochschulen. Das hängt oft mit prominenten Fällen
zusammen, die für Schlagzeilen sorgen. So auch an der HU: Im Sommer 2023
machte der Referent*innenrat gemeinsam mit Betroffenen auf Andreas K.
aufmerksam. Der Dozent am Geschichtsinstitut war über 20 Jahre lang immer
wieder mit sexistischen Kommentaren, übergriffigem Verhalten und sexueller
Belästigung aufgefallen, bis dahin jedoch ohne Konsequenzen.
Mit der öffentlichen Aufarbeitung des Falls Andreas K. meldeten sich mehr
und mehr Studierende beim Referent*innenrat, die Machtmissbrauch durch
Dozierende erlebt hatten, erzählt Ray Babajew. Der Jura-Student und seine
Mitstreiter*innen gründeten daraufhin in der Studierendenvertretung
eine AG zum Thema Machtmissbrauch. „Wir haben mit Öffentlichkeitsarbeit
dazu angefangen, eine Vollversammlung zu dem Thema gehabt, verschiedene
Plakate gemacht und so versucht, in der Studierendenschaft auf
Machtmissbrauch als flächendeckendes Problem aufmerksam zu machen.“
Franca bekommt davon mit und schildert der AG in einer Mail ihre Erfahrung.
„Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass meine Geschichte nicht so relevant
ist. Aber ich dachte, es ist gut, wenn sie so viele Erfahrungsberichte wie
möglich bekommen.“ Es ist das erste Mal, dass sie sich an eine Anlaufstelle
wendet und ihr Erlebnis in einen strukturellen Kontext setzt. Davor sei ihr
diese Idee nicht gekommen. „Ich wusste gar nicht, was ich mit dieser
Erfahrung machen soll.“ In ihren zwei Jahren an der Universität habe sie
von keinem Angebot mitbekommen, das Studierende über das Risiko und
mögliche Handlungsstrategien im Fall von Machtmissbrauch aufgeklärt hätte.
Sophia Hohmann engagiert sich im Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der
Wissenschaft, kurz Mawi. Sie bestätigt den Eindruck, dass Universitäten
ihre Studierenden selten aktiv auf mögliche missbräuchliche Erfahrungen
vorbereiten. „Man druckst lieber herum und widmet sich dem Thema auf
abstrakte Weise.“ Studierende sollten stattdessen regelmäßig zu
Semesterbeginn auf das Problem hingewiesen und über Anlaufstellen
informiert werden. Dass dies nicht geschehe, zeige, dass Hochschulen
versuchten, das Thema kleinzuhalten „und keine Aufmerksamkeit auf etwas zu
lenken, das es nicht geben darf“, sagt Hohmann.
Ohnehin kämen Studierende in den Debatten um Machtmissbrauch in der
Wissenschaft oft zu kurz, so Hohmann. „Sie machen zahlenmäßig die größte
Gruppe an der Uni aus, werden aber trotzdem nicht als Teil des
Wissenschaftsbetriebes betrachtet.“ Oft drehten sich die Debatten um
missbräuchliche Arbeitsverhältnisse zwischen Doktorand*innen und den
ihn vorgesetzten Professor*innen.
Um Machtmissbrauch gegenüber Student*innen sichtbarer zu machen,
entschied sich der Referent*innenrat im Herbst 2023 dazu, die eigene
Umfrage auf Studierende zu fokussieren. „Es wird sonst immer wie ein
Einzelphänomen behandelt“, sagt Babajew. Die Ergebnisse der Umfrage
entsprechen den Befragungen von Promovierenden und Personen im
universitären Mittelbau, wo je nach Studie ebenfalls 10 bis 15 Prozent von
Missbrauchserfahrungen berichten. Sophia Hohmann kritisiert, dass es
überhaupt von Studierenden selbstorganisierte Umfragen braucht, um die
Universität zum Handeln zu bewegen. „Ich finde es bedenklich, dass das
wieder von Ehrenamtlichen gemacht werden muss“, sagt sie.
## Zu wenig Sichtbarkeit
Neben dem fehlenden Problembewusstsein kritisiert der
Referent*innenrat auch die universitären Hilfsstrukturen. Viele der
Befragten hätten eine „bessere Sichtbarkeit“ der Anlaufstellen gefordert.
An der Humboldt-Universität gibt es ein Netzwerk verschiedener Beauftragter
– die richtige Stelle zu finden, kann kompliziert sein. Hinzu kommt: Manche
Anlaufstellen sitzen direkt am Institut, die Missbrauchsbeauftragten müssen
also im Zweifelsfall mit Vorwürfen gegen Kolleg*innen umgehen. So auch
an der HU. Für sexualisierten Machtmissbrauch bieten die Frauen- und
Gleichstellungsbeauftragten eine niedrigschwellige Beratung an. Doch in der
Umfrage berichten Studierende, dass sie sich dort nicht uneingeschränkt
unterstützt gefühlt hätten.
Die Pressestelle der HU weist darauf hin, dass sich Betroffene auch an
Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte anderer Institute wenden können. Das
Mawi-Netzwerk fordert hingegen eine zentrale Anlaufstelle, die strukturell
unabhängig von der Universität arbeitet. Eine externe Stelle für alle
möglichen Fälle von Machtmissbrauch würde Betroffenen den Weg zur richtigen
Hilfe vereinfachen und möglichen Interessenkonflikten vorbeugen.
Neben all den möglichen Stellschrauben braucht es einen Kulturwandel, da
sind sich das Mawi-Netzwerk und der Referent*innenrat einig.
„Universitäten müssen Räume schaffen, wo man sich mit den
universitätsspezifischen Problemen auseinandersetzt“, sagt Hohmann. „Man
sollte mal überlegen, ob man dieses universitäre Feudalsystem erhalten
will. Wie kann man das radikal erneuern, sodass es gar nicht erst zu
Abhängigkeitsverhältnissen kommt?“, fragt Ray Babajew. Und Franca sagt:
„Die Personen in Machtpositionen müssen wissen, welche persönlichen
Konsequenzen hat, wenn man von Machtmissbrauch betroffen ist. Dieses Gefühl
der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins ist ganz, ganz schlimm. Ich
glaube, das ist vielen gar nicht bewusst.“
11 Mar 2025
## LINKS
[1] /Machtmissbrauch-an-der-HU-Berlin/!6065537
## AUTOREN
Nora Noll
## TAGS
Machtmissbrauch
Humboldt-Universität
Studierende
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