| # taz.de -- Abtreibungen in Brandenburg: Illegal, legal, und was ist mit der Mo… | |
| > Die Stettiner Staatsanwaltschaft wirft zwei in Brandenburg | |
| > praktizierenden Ärzten Beihilfe zur Abtreibung in Polen vor. Das Ziel: | |
| > Einschüchterung. | |
| Bild: Wut in Warschau: Demonstration für die Legalisierung von Abtreibungen im… | |
| Das mit dem Gesetz und der Moral ist so eine Sache: Nicht alles was legal | |
| ist, ist auch moralisch, und nicht alles was illegal ist, ist unmoralisch. | |
| Die Rechtsprechung sollte eigentlich die Moralvorstellungen der | |
| Öffentlichkeit widerspiegeln, doch darin versagt sie häufig – auf Kosten | |
| mutiger Einzelpersonen. Besonders deutlich wird das an den | |
| Abtreibungsgesetzen, sowohl in Polen als auch in Deutschland. | |
| Zu den Betroffenen zählen der Deutschpole Janusz Rudzinski und die Polin | |
| Maria Kubisa. Die zwei Gynäkolog*innen mit Sitz in der Uckermark | |
| stehen derzeit im Visier der Stettiner Staatsanwaltschaft. Rudzinski wird | |
| Beihilfe zur Abtreibung vorgeworfen, auf welcher Beweisgrundlage, ist | |
| bislang unklar. [1][Kubisa werden sechs Fälle vorgeworfen, in denen sie | |
| während der Corona-Pandemie Schwangerschaftsabbrüche in Polen durchgeführt | |
| haben soll.] Am Donnerstag begann am Amtsgericht Stettin in Polen das | |
| Verfahren gegen die Leiterin der Gynäkologie im Krankenhaus Prenzlau. | |
| Die Rechtslage ist kompliziert: Rudzinski berät aus Schwedt an der Oder | |
| telefonisch polnische Patientinnen und vermittelt ihnen Termine im | |
| Krankenhaus Prenzlau. Nach polnischem Recht gilt das bereits als Beihilfe | |
| zum Schwangerschaftsabbruch. Nach deutschem Recht ist das legal. Auch | |
| Kubisas Tätigkeit am Krankenhaus in Prenzlau ist legal. | |
| In Deutschland ist die Abtreibung zwar grundsätzlich rechtswidrig, bleibt | |
| aber unter bestimmten Bedingungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche | |
| straffrei. Die Polin betreibt jedoch eine weitere Praxis in Stettin, wo | |
| Abtreibungen nur in Ausnahmefällen erlaubt sind: bei Inzest, Vergewaltigung | |
| oder wenn die Frau in Lebensgefahr ist. | |
| Die Grundlage, auf der die Stettiner Staatsanwaltschaft die Ärzt*innen | |
| strafrechtlich verfolgt, wirkt wackelig: Nach eigenen Angaben führte Kubisa | |
| in ihrer Stettiner Praxis zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Vorfälle gar keine | |
| Schwangerschaftsabbrüche durch. Seit 2020 behandele sie dort generell keine | |
| Schwangeren mehr und verfüge auch nicht über die erforderlichen | |
| medizinischen Geräte, sagte sie der Welt. Ihr Rechtsanwalt teilte am | |
| Donnerstag mit: „Meine Mandantin bekennt sich nicht schuldig, da sie die | |
| ihr zur Last gelegten Handlungen nicht begangen hat.“ | |
| ## Einschüchterung durch Hausdurchsuchungen | |
| Das erscheint glaubwürdig, da auch bei keiner der 5 Razzien, die die | |
| Gynäkologin in den vergangenen Jahren über sich ergehen lassen musste, | |
| entsprechende Instrumente gefunden wurden. Zuletzt stürmten im Januar | |
| dieses Jahres sechs Beamte der Sonderbehörde zur Korruptionsbekämpfung ihre | |
| Praxis und beschlagnahmten 6.000 Patient*innenakten. Das Ziel: | |
| Einschüchterung. | |
| Erst Monate nach dem Vorfall, als ihr Anwalt Beschwerde gegen das Vorgehen | |
| der Staatsanwaltschaft einreichte, erhielt Kubisa die Akten zurück. Danach | |
| entschied das Gericht, dass die Durchsuchung nicht verhältnismäßig und die | |
| Mitnahme der Krankenakten aller Patient*innen unzulässig war. | |
| Ebenso rechtlich bedenklich ist Kubisas derzeitige strafrechtliche | |
| Verfolgung sowie die von Janusz Rudzinski. Denn nachdem Ministerpräsident | |
| Tusk mit seinem Gesetzesentwurf zur Liberalisierung der Abtreibungsgesetze | |
| im Parlament scheiterte, wies der Justizminister die Staatsanwaltschaften | |
| an, keine Verfahren gegen abtreibende Ärztinnen mehr einzuleiten. Das | |
| Problem? [2][Die Staatsanwaltschaften sind noch immer mit erzkonservativen | |
| Jurist*innen besetzt], die unter der PiS-Regierung ernannt wurden und | |
| nun ihre Machtpositionen nutzen, um abtreibende Ärzt*innen unter Druck zu | |
| setzen. | |
| Die Gesetze, die sie vehement verteidigen, sind lebensbedrohlich. Seit 2020 | |
| sind in Polen mindestens sechs schwangere Frauen gestorben, weil eine ihnen | |
| zustehende Abtreibung verweigert wurde. Weder Politiker*innen noch | |
| Verfassungsrechtler oder Ärzt*innen wurden dafür je zur Verantwortung | |
| gezogen. | |
| Die Einschüchterungstaktiken der PiS-nahen konservativen Staatsanwälte sind | |
| in Polen bereits rechtswidrig und verwerflich. Doch mit der justiziellen | |
| Verfolgung von in Deutschland praktizierenden Ärzt*innen erreicht die | |
| Stettiner Staatsanwaltschaft einen neuen Tiefpunkt der Perversion. Während | |
| sie in ihrem Land bereits Frauen sterben lassen, versuchen sie nun mit | |
| vorgeschobenen Fällen aus Polen als Anklagegrundlage, Ärzt*innen auch | |
| über die eigenen Landesgrenzen hinaus einzuschüchtern und davon abzuhalten, | |
| Abtreibungen durchzuführen. | |
| ## Auch deutsche Gesetze beschneiden die Freiheit | |
| Damit handelt es sich um polnisches Rechtsgebiet, der deutschen Justiz | |
| lässt das kaum Handlungsspielraum. Doch selbst wenn Fälle auf deutschem | |
| Boden zur Anklage kämen, bleibt offen, wie stark die deutsche Justiz | |
| einschreiten würde. Denn auch hierzulande ist das Abtreibungsrecht alles | |
| andere als fortschrittlich, und der [3][Zugang zu sicheren Abtreibungen ist | |
| nach wie vor stark eingeschränkt.] | |
| Die Rechtsprechung wird auch ihrer Aufgabe, gesellschaftliche | |
| Moralvorstellungen widerzuspiegeln, nicht gerecht. Eine repräsentative | |
| Umfrage, die im Auftrag des Bundesfrauenministeriums (BMFSFJ) im April | |
| durchgeführt wurde, zeigt, dass 80 Prozent der Bevölkerung die | |
| Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen für falsch halten. Deutsche | |
| Politiker*innen und Vertreter*innen der Justiz zeigten sich | |
| weitgehend unbekümmert, passiert ist seitdem nichts. | |
| Der Fall der Gynäkolog*innen Kubisa und Rudzinski verdeutlicht, was | |
| geschehen kann, wenn Moral und Recht so stark divergieren: Menschen, die | |
| aus ethischen Überzeugungen handeln und durch ihr Engagement sogar Leben | |
| retten, werden verschmäht, eingeschüchtert und verfolgt. Im schlimmsten | |
| Fall droht Kubisa eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. | |
| 19 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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