| # taz.de -- Die Wahrheit: Angst im Dunkel des Paradieses | |
| > Wenn christliche Gesänge in der Stammkneipe überhandnehmen, dann kann es | |
| > nur um die ganz großen Dinge des Daseins gehen. Ab also Richtung | |
| > Jenseits? | |
| Als Theo hereinkam, dröhnten die Gregorianischen Gesänge der Mönche von | |
| Santo Domingo de Silos so laut durchs Café Gum, dass die Gläser im Regal | |
| vibrierten. Raimund saß mit geschlossenen Augen an der Theke und wiegte | |
| sich ergriffen in den überirdischen Klängen. Man meinte, er würde gleich | |
| Richtung Decke schweben. | |
| „Seid ihr völlig irre?!“, brüllte Theo. Petris, der Gum-Wirt, der wie imm… | |
| stoisch hinter der Theke stand und Gläser polierte, schaute ihn fragend an, | |
| und Raimund machte eine Geste, die wohl bedeutete: „Versteh dich nicht, | |
| Musik zu laut!“ | |
| „Das ist doch keine Kathedrale hier“, schnaufte Theo. Er war hinter die | |
| Theke gesprungen und hatte die Anlage abgestellt. „Na ja, manchmal brauch | |
| ich das“, sagte Raimund. „Es gibt mir Trost, wenn ich down bin, ein Gefühl, | |
| nach Hause zu kommen.“ – „Aber wir sind Atheisten, wir haben das hinter u… | |
| gelassen!“, schnappte Theo. – „Klar“, sagte Raimund kleinlaut. „Klar.… | |
| Er wirkte nicht überzeugend. „Verstehe“, grinste Theo. „Geht ja vielen | |
| alten Knackern so: Wenn sie spüren, dass der Sensenmann ums Haus schleicht, | |
| kriegen sie Schiss und kehren heim in den Schoß von Mutter Kirche. Ewiges | |
| Leben, Wiederauferstehung: Es gibt viele Leckerlis, die die Pfaffen zu | |
| bieten haben, wenn der Friedhof in Sicht kommt.“ | |
| ## Nie mehr das Treppenhaus putzen | |
| „So alt bin ich nun auch wieder nicht!“, schnaubte Raimund empört. „Aber | |
| schön ist das echt nicht“, fuhr er fort, „wenn ich mir vorstelle, die | |
| komplette Ewigkeit in dem kalten, dunklen Grab zu liegen.“ – „Unfug“, s… | |
| Theo: „Jede Wette, wenn du mal tot bist, willst du gar nicht mehr damit | |
| aufhören.“ – „Bist du meschugge?!“ – „Ganz und gar nicht. Du hast … | |
| morgens auch keine Lust aufzustehen, wenn der Wecker klingelt. Stell dir | |
| vor: Nie mehr Zahnweh. Nie mehr das Treppenhaus putzen. Nie mehr | |
| Prostatakrebsvorsorge.“ – „Dazu brauch ich nicht ewig tot zu sein“, pam… | |
| Raimund ihn an: „Im Paradies gibt’s auch kein Zahnweh und keine Urologen – | |
| deswegen ist das Paradies ja paradiesisch!“ – „Tss“, zischte Theo | |
| indigniert: „‚Der Glaube an ein Leben nach dem Tod ist was für Leute, die | |
| Angst im Dunkeln haben.‘ Hat Hawking gesagt.“ – „Na und?“, rief Raimu… | |
| „Was ist schlimm daran, Angst im Dunkeln zu haben?!“ | |
| Auf einmal schlug die Tür auf und ein eiskalter Windstoß zog herein. Wir | |
| erstarrten und niemand hätte sich gewundert, wenn die Uhr jetzt stehen | |
| geblieben und ein knochiger Kapuzenmann hereingeschwebt wäre. Aber dann war | |
| es nur Pastor Dröse, der uns mit einer Miene anguckte, in der etwas lag wie | |
| „Haltet bloß den Schnabel, der gute Hirte hat für heute geschlossen!“ | |
| Es war ganz klar, dass er sich mindestens mit einem Erzengel in die Haare | |
| gekriegt haben musste, und Petris, welterfahren und lebensklug, tat wie | |
| immer das Richtige, indem er ihm erst ein großes Bier hinstellte und dann | |
| die Mönche von Santo Domingo wieder in voller Lautstärke andrehte. | |
| 3 Sep 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Joachim Schulz | |
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