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# taz.de -- Die Wahrheit: Korrekte Reihung hoch zehn
> Kleines Zug-Einmaleins für künftige Führungskräfte: Die Deutsche Bahn
> lernt die Wahrscheinlichkeitsrechnung für Verspätungen und andere
> Probleme.
Boah, echt schwer wieder mal!“ Stöhnend schaut Malte auf das Aufgabenblatt.
Heute steht an der Führungskräfteakademie der Deutschen Bahn in Bad
Neuenahr-Ahrweiler die Zwischenprüfung im Fach Mathematik an.
Maltes Kommilitonin Julia schaut zu ihm rüber und flüstert ein wenig
maliziös: „Tja, sie haben ja gesagt, dass es viel um
Wahrscheinlichkeitsrechnung gehen wird.“ Sie verkneift sich den Satz, dass
sie sich gründlich vorbereitet hat, während Malte wohl mal wieder
„verspätete Bereitstellung“ gespielt habe. Und Malte vertieft sich in die
erste Aufgabe: „Ein ICE mit 14 Wagen. Wie hoch ist die statistische
Wahrscheinlichkeit, dass die Wagen in korrekter Reihung, also von 1–14
einfahren?“
## Beschiss beim Dreisatz zu den im Januar ungeöffneten Bordbistros
Nach der Klausur stehen Malte, Julia und einige andere Zukunftshoffnungen
des Bahnmanagements zusammen. Malte ist immer noch aufgewühlt: „Ich hab mir
zum Lernen vorher extra die Aufgaben der letzten fünf Jahrgänge besorgt.
Die waren alle vom Prinzip her gleich. Und jetzt? Völlig anders! So ein
Beschiss! Konntet ihr diesen Dreisatz lösen? Wie war das? ‚Wenn im Januar
80 Prozent der Bordbistros geschlossen sind – wie viele öffnen dann
voraussichtlich erst im kommenden Jahr wieder?‘ Wie soll man denn das
überhaupt angehen?“
Allgemeines Kopfschütteln. Julia fragt: „Kennt jemand die ‚Mehdornsche
Unschuldsvermutung‘? Was sind denn das für Fragen?!“ Linus, der ewige
Besserwisser, kennt sich natürlich aus: „‚Minus mal minus ergibt
Kannnixdafür.‘ Das war der Grundsatz von diesem Mehdorn, für den der
Vorname 'Bahnchef’ erfunden wurde. Aber ich …“ Er kann nicht ausreden, we…
Anja sich ebenfalls aufregt: „Was folgt für Bahnreisende aus der Regel
‚Punkt- vor Strichrechnung‘? WTF?!“ Julia: „Na, das fand ich logisch.
‚Punkt‘ steht für Standort, 'Strich’ für Strecke. Man soll also lieber
bleiben, wo man ist, statt mit der Bahn zu verreisen. Aber das ist schon
ganz schöne Nestbeschmutzung. Was ist denn bei denen da oben los?“
Linus grinst: „Wenn ich mal zu Wort komme, erklär ich’s euch. Mein Papa ist
ja bei der Bahn. Der hat mir erzählt, dass der Konzern vor ein paar Monaten
eine Mathematikerkommission damit beauftragt hat, wissenschaftlich
fundierte Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Performance zu
erarbeiten. Leider ging der Schuss irgendwie nach hinten los. Es ist jetzt
naturwissenschaftlich belegt, dass eine grundlegende Verbesserung des
Angebots mathematisch unmöglich ist. So lässt sich das umgekehrt reziproke
Verhältnis von Reiseanlass und Verspätungssumme zwar eindeutig feststellen,
aber weder erklären noch auflösen. Es gilt eben: ‚Wenn’s egal ist, bringen
wir Sie pünktlich ans Ziel. Aber wenn Sie zu einer Beerdigung müssen, ein
Vorstellungsgespräch oder Karten fürs EM-Finale haben, dann haben Sie
leider verloren.‘“
„Ja, und dann?“
„Na, damit das viele Geld für die Kommission nicht ganz rausgeschmissen
ist, haben sie aus den Ergebnissen unsere Aufgaben gebastelt.“ Wütend stößt
Malte hervor: „Diese Schweine!“ Und Julia fragt in die Runde: „Was hattet
ihr bei der Wagenreihung raus?“ Anja sagt etwas unsicher: „So ungefähr 1 zu
90 Milliarden. Sie wollten zum Glück ja nur die Größenordnung wissen.“
Linus weiß: „Gar nicht mal schlecht. Das Ergebnis ist eins zu
siebenundachtzigmilliardeneinhundertachtundsiebzigmillionenzweihundertneunz
igtausend. Es ist also siebentausend Mal wahrscheinlicher, einen Sechser im
Lotto zu haben, als einen ICE mit korrekter Wagenreihung zu finden. Mein
Vater hat erzählt, dass deshalb künftig nicht mehr die geänderte
Wagenreihung durchgesagt wird, sondern die korrekte. Und zwar von Franziska
Reichenbacher, der Lottofee, samstags zwischen ‚Sportschau‘ und
‚Tagesschau‘ in der ARD.“
Linus registriert das plötzliche Schweigen in der Runde und schaut fragend.
Malte zischt: „Du … du … kanntest die Fragen?! Dann hat dein Alter dir do…
sicher auch die Lösungen gegeben!“
Linus lacht überlegen: „Seh ich aus, als bräuchte ich die? Ich hab doch
schon den 1A-Vermögenstipp. Wenn man in eine Bahncard 100 investiert,
bekommt man für alles, was schiefgeht, Erstattungen. Da macht man Jahr für
ein Jahr ein fettes Plus.“
Und dann lenkt er schnell ab: „Bei manchen Aufgaben gibt es ja gar nicht
die eine Lösung. Da geht es um offene Antworten. Und um Fantasie. Nicht
meine Stärke. Hat jemand was bei Verspätungsdurchsage in mathematischer
Form?“
Jetzt haut Matteo, der Klassenclown, endlich mal einen raus: „Sind
wahrscheinlich meine einzigen Punkte. Ich hab geschrieben: 'Wegen einer
defekten y-Achse vergrößert sich t um den Faktor x.“'Beifälliges Kichern.
Malte ergänzt: „Ich hab geschrieben, dass man die Ausreden künftig einfach
per Zufallsgenerator kombinieren sollte, damit es nicht so langweilig wird:
‚Das defekte Signal vor uns ist noch nicht da, weil es in einem verspäteten
Zug sitzt.‘“
„Und hat jemand was bei der Frage ‚Welche simple mathematische Regel man
bei der zeitlichen Planung von Bahnreisen immer beachten soll, statt sich
stur auf Fahrpläne zu fixieren?‘“
## Spaß mit den Zugnamen von berühmten Mathematikern
Julia nickt: „Ich weiß nicht, ob sie das meinten, aber ich hab: ‚Immer eins
im Sinn.‘ Wobei die Eins bei Entfernungen unter 50 Kilometer für 1 Stunde
steht, darüber für 1 Tag. Aber sind euch Mathematikernamen für neue ICEs
eingefallen? Mit Begründungen?“
„Ja, das hat wenigstens noch Spaß gemacht“, meint Matteo. „Ich hab
Heisenberg (mit unscharfem Fahrplan), Schrödinger (Die Klimaanlage macht es
gleichzeitig brüllend heiß und bitterkalt) und natürlich Archimedes (Jeder
Zug verliert unterwegs so viel Zeit, wie die von ihm zurückgelegte Strecke
im Bau war).“
Linus haut sich auf die Schenkel: „Also, wenn die Prüfer Humor haben, hast
du bestanden! Aber …“ – lange Kunstpause – „… es ist sowieso niemand
durchgefallen. Weil die Prüfung nämlich ungültig ist.“
Malte fährt herum. „Du verarschst mich doch! Wieso ungültig? Dann hätte ich
ja noch Hoffnung!“ Linus grinst: „Es gab eine Frage, in der wir die Chancen
auf erfolgreiches Umsteigen in Kassel-Wilhelmshöhe berechnen sollten. Und
die ist nicht erlaubt.“
„Wieso das denn?“
„Tja. Da ist ihnen was durchgerutscht. Die Prüfungskommission hat nämlich
die Begriffe ‚Deutsche Bahn‘ und ‚Anschlusszug erreicht‘ für logisch
inkompatibel erklärt. Sie zu kombinieren sei eine genauso unzulässige
Operation, wie durch null zu teilen. Das ist seither ein mathematisches
Gesetz. Also kann jetzt jeder die Prüfung anfechten. Wieder mal ’ne Panne
bei der Bahn, schätze ich.“
3 Aug 2024
## AUTOREN
Oliver Domzalski
## TAGS
Deutsche Bahn
Verspätung
Mathematik
FDP
Die Wahrheit
Brand
Alphabet
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