# taz.de -- Stadtpolitik im Museum | |
> Das Werkbundarchiv beklagt mit „Profitopolis“ den Zustand der Stadt. Es | |
> ist die erste Ausstellung am neuen Standort in der Leipziger Straße | |
Von Martin Conrads | |
Die Fensterfronten zur Leipziger Straße sind riesig – welch Unterschied zum | |
vorigen Standort in der eher dunklen Werkstattetage auf der Oranienstraße. | |
[1][Das „Werkbundarchiv – Museum der Dinge“] hätte es schlimmer erwischen | |
können, nachdem es 2022 von einem Luxemburger Immobilienfonds gekündigt | |
wurde und – nach 17 Jahren – Ende letzten Jahres aus den Kreuzberger | |
Räumlichkeiten aus- und nach Mitte umziehen musste. Dank eines Mietvertrags | |
mit der WBM (Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte) kann das Werkbundarchiv | |
nun erst einmal so lange wie nötig am neuen, eigentlich einem | |
Interimsstandort bleiben. „Interim“, da man weiterhin auf den endgültigen | |
Umzug in einen der neu zu bauenden Pavillons auf der Karl-Marx-Allee hofft, | |
wie sie unter Rot-Rot-Grün unter anderem für das Werkbundarchiv geplant | |
wurden. Und „eigentlich“, [2][weil dafür im aktuellen Doppelhaushalt keine | |
Mittel vorgesehen sind]. | |
Mindestens einen recht großen Wermutstropfen gibt es: Die Dauerausstellung | |
mit [3][einer Auswahl aus rund 40.000 Objekten] (von der Teetasse zum | |
Tastenhandy), die mit der Geschichte des „Deutschen Werkbunds“ und der | |
Gestaltungs- und Produktkultur des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart | |
verknüpft sind, wird noch weniger Platz haben. „Aus Sicht des Museums ist | |
es nicht attraktiv, zu bleiben“, bekräftigt daher Werkbundarchiv-Volontärin | |
Lotte Thaa. Ziel bleibe der Pavillon. | |
Thaa steht im Sonderausstellungsbereich des neuen Standorts. Mit 129 | |
Quadratmetern fällt er immerhin größer aus als in der Oranienstraße. Bevor | |
die Dauerausstellung am 8. Oktober eröffnet, hat Thaa, gemeinsam mit | |
Werkbundarchiv-Kurator Alexander Renz und der 2023 als Leiterin ans Haus | |
gekommenen Florentine Nadolni, einen ersten Aufschlag an der Leipziger | |
Straße konzipiert. „Profitopolis oder der Zustand der Stadt“ nennt sich die | |
Ausstellung, mit der sich das Werkbundarchiv am neuen Standort vorstellt. | |
Was Nadolni, Renz und Thaa dabei machen, ist nicht weniger als eine | |
Thematisierung der stadtpolitischen Umstände, die [4][zum unfreiwilligen | |
Umzug] geführt haben. Als Institution, die sich seit ihrer Gründung 1973 | |
mit kritischem Abstand der Geschichte des 1907 gegründeten Deutschen | |
Werkbunds widmet, greift das Werkbundarchiv immer wieder Diskurse aus | |
dessen Geschichte auf. Die bis heute existierende Vereinigung suchte im 20. | |
Jahrhundert unter anderem mit dem Motto „Vom Sofakissen zum Städtebau“ der | |
industriellen Produktion in Deutschland die Allgemeingültigkeit einer so | |
funktionalen wie geschmackssicheren Gestaltung in der Tradition eines | |
wiedererstarkten Kunsthandwerks zu sichern. | |
Oft waren es dabei Einzelakteure, die neue Diskussionen initiierten. So | |
auch im Fall von Josef Lehmbrock und Wend Fischer, der eine Architekt, der | |
andere Direktor des Designmuseums „Die Neue Sammlung“ in München, die dort | |
1971 die Ausstellung „Profitopoli$ oder Der Mensch braucht eine andere | |
Stadt“ ausrichteten. Als Ausstellung mit Bildtafeln „über den miserablen | |
Zustand unserer Städte und über die Notwendigkeit, diesen Zustand zu | |
ändern, damit der Mensch wieder menschenwürdig in seiner Stadt leben kann“ | |
war sie so erfolgreich, dass sie an 140 Orten, vor allem Westdeutschlands | |
und im deutschsprachigen Ausland, gezeigt wurde, ergänzt durch eine | |
modifizierte Fassung im Jahr 1979. Schlagworte wie das von der | |
„Unwirtlichkeit der Städte“ untermalten das Konzept. | |
Wenn das Werkbundarchiv nun seinerseits mit „Profitopolis oder der Zustand | |
der Stadt“ auf diese beiden modernekritischen Ausstellungen referiert, dann | |
historisch und gegenwartsbezogen: So teilt sich der Ausstellungsraum in | |
einen Part, der sowohl auf die beiden Ausstellungen aus den 1970ern | |
zurückblickt als auch die Verbindung des Werkbunds mit Fragen des | |
Städtebaus anhand meist grafischer Exponate zeigt. Aus Platzgründen musste | |
aber arg verknappt werden, sodass man sich fragt, ob es dieses Parts | |
bedurft hätte. Für den anderen Part der Ausstellung, der sich anhand von | |
Objekten, Dokumenten und künstlerischen Arbeiten, etwa von Mirja Busch oder | |
[5][Martin Kaltwasser], Aspekten stadtpolitischer Entwicklungen im Berlin | |
der letzten Jahrzehnte widmet (autogerechte Stadt, Instandbesetzungen, | |
kritische Rekonstruktion, klimagerechte Stadt etc.), bleibt so ebenfalls zu | |
wenig Raum. Debatten werden nur angerissen. Zwar verweist man in der | |
Ausstellung auf unzureichendes Bodenrecht, spielt mit dem Bild eines | |
Demoschilds auf dem Ausstellungsplakat, beklagt das „Abschöpfen von | |
Profiten“ durch Immobilienentwickler*innen – wo aber ist eine | |
gestaltungspolitische Forderung? | |
Der didaktische Kniff besteht womöglich darin, das Thema Tourist*innen | |
sowie Neu- und Jungberliner*innen nahezubringen. Für Ersteres spricht, | |
dass der Ort von Hotels umsäumt ist, für Letzteres die kompakte Größe der | |
Ausstellung und ihr Vermittlungsprogramm. Für alle anderen bleibt die | |
Hoffnung, dass sich das am Kulturforum [6][im Bau befindliche Museum | |
„berlin modern“] des Themas Stadtentwicklung womöglich ja in einer so | |
gigantischen wie wegweisenden, wie man gerne sagt, Eröffnungsausstellung | |
annimmt. Dafür könnte sie auch auf der Expertise des Werkbundarchivs | |
aufbauen. | |
„Profitopolis oder der Zustand der Stadt“,Werkbundarchiv, bis 28. Feb 2025 | |
6 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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