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# taz.de -- Die Wahrheit: Leuchtfeuer der Bildungsrepublik
> Zu Hause lernen bei einer ganz normalen Familie wie den Hempels: die
> Heim-Universität als neuer Bildungstrend in alten Wissensschläuchen.
Bild: Wichtige deutsche Bildungsstätte: Hempels Sofa
Die Hempels sind eine ganz normale Familie – ganz anders aber als zum
Beispiel diese Geissens. Denn bei den Hempels steht seit Jahrzehnten
Bildung im Vordergrund. Schon in den neunziger Jahren, als ihre sieben
Kinder eigentlich reif für den Kindergarten waren, übernahmen Karl-Heinz
und Lieselotte Hempel die Erziehungsgeschicke ganzheitlich und richteten
dafür ihr Zuhause entsprechend kindgerecht zu. Ein
Holzklötzchen-Sattelschlepper sorgte dafür, dass es quasi keine
Trittflächen gab.
Mit dem Einschulungstermin der beiden Ältesten, den Zwillingen Jens und
Heike, mussten Karl-Heinz und Lieselotte dann entscheiden: Grundschule, ja
oder nein?! Sie entschieden sich schließlich für „ach was!“ und bauten ihr
Heim zu einer Bildungsstätte aus, in dem fremde Werte keinen Zutritt
hatten. Gottesfurcht, Elternliebe und Fleischzwang beim Mittagessen waren
Dinge, die die Kleinen im öffentlichen Bildungswesen niemals so
unverfälscht mitbekommen hätten. Täglicher Unterrichtshöhepunkt war dabei
nach dem Mittagessen jeweils das Darts-Spiel auf eine Zielscheibe mit
Darwin-Bildnis – und anschließendem Gebet.
Vor allem aber stand neben der Vorliebe der Eltern für die Grundwerte des
Lebens eine Ausrichtung auf eine Universitätslaufbahn der Zöglinge im
Vordergrund. Nur mussten sich die Hempels schon früh die Frage stellen, ob
die staatlichen Universitäten in der Lage sein würden, ihre
Bildungskonzeption bruchlos fortzusetzen. Besonders der Bruch mit der
mittelalterlichen Lehrweise, die über Jahrhunderte die sogenannten Septem
Artes liberales, also die sieben freien Künste, umfasste, war den Hempels
ein Dorn im Lehrplan.
Und so entschlossen sich Karl-Heinz und Lieselotte kurzerhand, sich
gegenseitig zu habilitieren und ihr bescheidenes Reihenhaus in Hegelstätten
zur ersten deutschen Heim-Universität umzubauen. Schon von Weitem sieht man
daher an ihrer Hausfassade ein Ganzwandgemälde mit dem Porträt des großen
europäischen Antisemiten Erasmus von Rotterdam. So ist man Teil des
Bologna-Prozesses und erkennt doch gleich, dass bei dieser Anknüpfung an
das europäische Bildungsprogramm kein Banksy seine Finger im Spiel hatte.
## Absage an Zeitgeist
Gerade die jüngsten Vorfälle an staatlichen Universitäten haben den Hempels
vorgeführt, wie recht sie mit ihrer Absage an den öffentlichen Zeitgeist
hatten, der unbescholtene Jungstudierende auf dem Campus einfängt und der
Lehranstalt verweist. So etwas würde es bei den Hempels niemals geben.
Schließlich gilt: nulla salus extra ecclesiam Hempelorum.
Gern gibt das selbsternannte Hochschulpaar auch bildungsfernen Besuchern
Einblick in den Unialltag. Jede Ausbildung beginnt wie an den großen
Vorbildern Oxford und Cambridge mit dem Trivium, der grundlegenden
Gedankenformung durch Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Die Dialektik
stellt danach so etwas wie das Zentrum des heimischen Denkens dar. Die
Selbstgewissheit eines jeden Vorurteils bildet bei jeder Behauptung die
Grundlage, wird im nächsten Schritt antithetisch kurz in Zweifel gezogen,
um danach sofort zur Rückbesinnung auf die eigene Meinung zu führen, denn
jeglicher Einwand kann nur von Unbefugten kommen.
## Entzug des Taschengelds
Eventuelles Fehlverhalten wird bei den Hempels streng geahndet, denn das
Auswendiglernen der „Dialektik der Aufklärung“, diesem Schundroman der
Moderne, ist weit mehr als nur der Entzug des Taschengeldes. Gänzlich dem
Meinungsbildungsprozess dient zum Schluss die Rhetorik. Laute Vorträge vom
Balkon mit Megafon weit in die Nachbarschaft hinein, bedeuten einen klaren
Abgesang an die Sprachlosigkeit der heutigen Wissenschaft.
Nach dem Abschluss des Triviums, dem Bakkalaureus, geht es dann mit
Quadrivium weiter, das aus den Fächern Arithmetik und Musik, Astronomie und
Geometrie besteht. Die Grundrechenarten können bei den sieben
Hempel-Kindern, die alle noch ihre zehn Finger haben, allerdings als
beherrscht vorausgesetzt werden. Das große Einmaleins wird mit dem
Zusammenspiel aller siebzig Finger berechnet. Beim Zeichnen von Dreiecken
und Kreisen in Geometrie kommt das haptische Geschick der angehenden
Akademiker zum Tragen, haben sie doch ihre Eltern bei mangelhafter
Folgsamkeit des Öfteren im Dreieck springen sehen. Die Musikausbildung
findet per Kassettenrekorder, einem Telefunkengerät von 1979, statt. Im
Wechsel kommen gregorianische Gesänge, Oswald von Wolkenstein und der
Badenweiler Marsch zum Vortrag.
Bald nun bereiten sich die sieben Sprösslinge auf ihre Abschlussprüfungen
vor. Die einen in Jurisprudenz, andere in Medizin und die dritte Gruppe in
Untersofa-Malerei. Der erfrischend neue Weg, den die Hempels beschritten
haben, könnte mehr als nur eine Einbahnstraße in die Sackgasse sein. Denn
am Ende des Weges steht da für alle mahnend: Hempels Sofa – mit Schmidts
Katze auf der Lehne.
15 May 2024
## AUTOREN
Reinhard Umbach
## TAGS
Bildungssystem
Familie
Universität
Die Wahrheit
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Papst
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