# taz.de -- Regimekritik im russischen Sport: Abschied von einem Sportreporter | |
> Der Tod von Wassily Utkin löst tiefe Trauer unter den Sportfans in | |
> Russland aus. Hunderte Moskauer wohnen seiner Beerdigung bei. | |
Bild: Abschied von einem Sportreporter: Beerdigung in Moskau | |
Russland trauert. Nach dem Terroranschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau, | |
dem über 130 Menschen zum Opfer gefallen sind, ist die Internetpräsenz | |
vieler Medienhäuser in Trauerfarben gehalten. Auf den Sportportalen des | |
Landes war schon zuvor viel Schwarz-Weiß zu sehen. Es wurde um Wassily | |
Utkin getrauert, einen Sportjournalisten, der am 19. März im Alter von 52 | |
Jahren in einem Moskauer Krankenhaus gestorben ist, nachdem er schon länger | |
mit massiven Herzproblemen zu kämpfen hatte. | |
In unzähligen Artikeln berichteten Kollegen von Begegnungen mit Utkin. Bei | |
Sportveranstaltungen im ganzen Land wurden die Wettkämpfe mit | |
Schweigeminuten für den Kommentator begonnen. Und als Utkin am Samstag in | |
Moskau beerdigt wurde, kamen neben einer Vielzahl von Prominenten aus der | |
[1][Sport- und Medienbranche] Hunderte Menschen, um sich von der TV-Ikone | |
zu verabschieden. | |
In den zahlreichen Nachrufen wird Utkin als Erneuerer des russischen | |
Sportfernsehens bezeichnet. Seine Art, Fußballspiele zu kommentieren, | |
setzte Maßstäbe. Als er in den 1990er Jahren begann, für die Sender NTW und | |
Match.tv zu arbeiten, zogen Witz und Intellekt in die | |
Sportberichterstattung ein. Und doch verschwand er relativ früh wieder vom | |
Bildschirm. Seit 2013 trat er nur noch sporadisch in den großen Sendern | |
auf. Bei der Heim-WM 2018 wünschten sie viele Fans ein Comeback von Utkin. | |
Doch dazu ist es nicht gekommen. Dem Starkommentator blieb nicht viel mehr | |
als sein eigener Videokanal, den er als Vlogger regelmäßig bespielt hat. | |
Und doch blieb er beliebt. Wenn die großen Sportportale ihre User nach | |
ihrem Lieblingskommentator fragten, landete Utkin meist auf Platz eins – | |
vor dem omnipräsenten Dmitri Gubernjew, der gerne auch mal Propagandashows | |
für Wladimir Putin oder die Krim-Annexion moderiert. Auch die große | |
Anteilnahme nach Utkins Tod zeigt, dass man ihn nicht vergessen hat. | |
Nun wird viel darüber spekuliert, wer für seinen Rückzug aus der ganz | |
großen Öffentlichkeit seit 2013 verantwortlich ist. Eines steht jedenfalls | |
fest: Utkin war dem Kreml ein Dorn im Auge. So lange das noch möglich war, | |
trat er regelmäßig bei Oppositionsmedien wie dem TV-Sender Doschd auf. In | |
seinem Videokanal kommentierte er immer wieder die aktuelle Politik. | |
## Ein Kritiker, der nicht verstummte | |
Als er die erratische [2][Coronapolitik] in Russland kritisiert hat, wurde | |
er zum Thema in der sonntäglichen Propagandashow von Wladimir Solowjow, der | |
Utkin empfahl, sich umgehend in eine psychiatrische Behandlung zu begeben. | |
Der forderte Solowjow daraufhin zu einem öffentlichen Battle-Rap auf. Und | |
weil der Kremlpropagandist das ablehnte, ging der Punkt nach dieser | |
Auseinandersetzung in den Augen der Öffentlichkeit an Utkin. | |
Er sei ein Liberaler, meinte Utkin, wenn er auf seine politische Gesinnung | |
angesprochen wurde. Er war einer der wenigen Promis in Russland, die nach | |
dem Mord an Alexei [3][Nawalny] öffentlich ihre Trauer bekundet haben. 2011 | |
war Utkin Moderator der großen Protestkundgebungen in Moskau gegen die | |
Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl. Er war es, der Nawalny unter dem | |
Applaus der Menge auf die Bühne gerufen hat. | |
Als am 24. Februar 2022 Russland die Ukraine überfallen hat, sprach er vom | |
„schlimmsten Tag in meinem Leben“. Dass sein Engagement als Bürger zu | |
seiner Popularität beigetragen hat, ihr zumindest nicht geschadet hat, | |
gehört zu den Geschichten aus dem finsteren Russland, die ein wenig | |
Hoffnung transportieren. | |
26 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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