# taz.de -- Katharina J. Cichosch High & Low: Neue Allianzen zwischen Kunst und… | |
Der White Cube kann ein okayer Ort für den Kunstfilm, die Videokunst oder | |
den Experimentalfilm sein. Aber oft ist er das nicht: Bisweilen hapert es | |
schon an den technischen Grundvoraussetzungen Sound und Licht | |
beziehungsweise Verdunkelung und Filmformat; genügend Sitzgelegenheiten | |
wären sinnvoll, damit man sich längere Arbeiten auch bei Andrang in Ruhe | |
anschauen mag und so weiter. Was für einen Gewinn der Kinosaal demgegenüber | |
darstellt, lässt sich heute meist allenfalls noch zu Filmfestivals und | |
ähnlichen Sonderveranstaltungen erleben: Hypnotisch zogen da die | |
Endlosalgorithmen des spanischen Videokünstlers Daniel Canogar zur B3 | |
Biennale über die Leinwand, und hätte man im Ausstellungsraum womöglich | |
längst die Geduld verloren, schaute man ihnen hier sehr lang konzentriert | |
zu. | |
Während gerade mit den E-Kinos wieder ein alteingesessenes | |
Publikumslichtspielhaus in der Frankfurter Innenstadt schließt, wäre | |
ähnliches für einen Ausstellungsraum vergleichbarer Präsenz kaum ohne | |
größeren Skandal denkbar. So wird allenfalls müde geseufzt. Kino ist halt | |
in dieser Logik Kommerz, Kunst ist (Hoch-)Kultur. Geringe Besucherzahlen | |
können im Ausstellungshaus noch als anspruchsvolles Programm positiv | |
gedeutet werden; dem Kino hingegen gilt der Untergang als naturgegeben im | |
Streaming-Zeitalter. Als ob Landwirtschaft, Museen, Theater allesamt unter | |
realen Marktbedingungen bestehen könnten. Selbst Kaufhausketten werden ja | |
mit Staatsgeldern gerettet, auch wenn ihre CEOs geradezu fahrlässig | |
unwirtschaftlich gehandelt haben. | |
Damit wäre diese Kolumne erstmals bei ihrem Titel angekommen: Kaum irgendwo | |
lässt sich die Willkür einer Teilung zwischen High und Low-Kultur derzeit | |
so ablesen wie im Umgang der Kulturpolitik mit Film gegenüber Bildender | |
Kunst. Die Orte der heute artifiziell getrennten Bereiche haben wenige | |
Schnittmengen, scheint es (aus Filmsicht hat hierüber 2020 der Leiter der | |
[1][Kurzfilmtage Oberhausen,] Lars Henrik Gass, für den Filmdienst | |
energisch geschrieben). Die Zuordnung verläuft verständlicherweise auch | |
strategisch. Sobald die Filmemacherin eine Filmkünstlerin ist, werden ihre | |
Arbeiten von einem anderen Publikum und einem anderen Markt aufgenommen. | |
Nicht automatisch ist, was sich Kunstfilm nennt, interessanter als die | |
Filmkunst. Viel Geld gibt es hier wie dort eher selten zu machen, aber die | |
Rahmenbedingungen, Freiheiten und das Selbstverständnis wandeln sich. | |
Dabei entspricht ironischerweise ein durchschnittlicher Ausstellungsbesuch | |
viel eher dem (gerade unter Kunstmenschen) vielgeschassten „neo-liberalen“ | |
Kulturkonsum als der Besuch einer Filmvorstellung im auch sozial | |
durchmischten Treffpunkt Kino, der ja immerhin noch gemeinschaftlich und | |
mit ungeteilter Aufmerksamkeit absolviert werden muss. In | |
Gruppenausstellungen hingegen sieht man das bildhungrige Publikum nicht | |
selten weiterziehen, sobald eine Leinwand oder ein Bildschirm aufgestellt | |
stehen. | |
Immerhin bekommt man so heute überhaupt noch Filme wie [2][Stan Brakhages] | |
„Window Water Baby Moving“ (2012 in der Kunsthalle Schirn) oder auch | |
diverse Filme [3][Kenneth Angers] zu sehen (der ebenfalls von der Kunst | |
wiederentdeckt und hier ausgiebig gezeigt wurde – er selbst befand übrigens | |
beide Orte gleich gut geeignet für ein Filmscreening). Aber Brakhages | |
gefilmte Geburt eines Babys, wie seinerzeit 1959 in einem Double Feature | |
auf der Kinoleinwand zu sehen, gemeinsam mit einem Saal voll entsetzter | |
Verwunderung, das muss schon eine ganz andere Erfahrung gewesen sein. | |
Bevor nun weiterhin Kinohäuser für immer geschlossen werden, könnten neue | |
Allianzen aus den heute separierten Ökonomien Kunst und Kino geschmiedet | |
werden: Warum nicht Videokunst im Filmsaal zeigen? Kulturpolitisch | |
geförderte Kooperationen mit Museen und Kunstakademien eingehen? Allein | |
werden sie die Lichtspielhäuser nicht retten. Dafür bräuchte es ein | |
radikales Überdenken der Geringschätzung für den Kulturort Kino. Eine | |
mutigere Filmförderung wäre damit ebenso noch nicht genannt wie eine | |
angemessenere Unterstützung ehrenamtlich betriebener Filmräume und | |
Filmclubs, die immer schon der Kunst im bewegten Bild ein Forum geboten | |
haben. | |
3 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!5928740&SuchRahmen=Print | |
[2] /!5184615&SuchRahmen=Print | |
[3] /!5936855&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |