# taz.de -- Porno-Reflexion im Wiener Filmmuseum: Schließlich ficken sie | |
> Sodomie, Subversion und Underground-Sexfilme. Die Reihe "Kino wider die | |
> Tabus" im Wiener Filmmuseum zeigt, dass die Kunst des Tabubruchs in der | |
> Form liegt. | |
Bild: Gewalt und Beischlaf in "Baise-moi": Eine neue Politik des Sexuellen in d… | |
Ein Mann lebt allein in einem klosterartigen Bau mit vielen Tieren. | |
Close-ups von skeptischen Rebhühnern, diskutierenden Gänsen, einem Pfau, | |
liebevolle Studien eines streunenden Schweins. Der Mann läutet eine Glocke | |
und spricht ein Gebet, bevor er aus einem archaischen Topf sein Essen | |
schlürft. Und er versucht seinen Tauben die Plastikköpfe von Puppen auf den | |
Kopf zu setzen. Immer häufiger sehen wir ihn zusammen mit seiner Sau. Sie | |
toben und spielen, er streichelt sie lange. Schließlich ficken sie. Man | |
sieht das nicht sehr deutlich, aber deutlich genug. Vor allem aber hört man | |
seinen immer schwerer werdenden Atem und eine ziemlich eindrucksvolle | |
Veränderung in ihrem Grunzen. Nach gewisser Zeit gebiert sie drei Ferkel. | |
Er hilft bei der Geburt und betrachtet den Nachwuchs lange. Später geht ihm | |
dessen Lärm auf die Nerven. Er tötet die drei. Nicht wie ein Genervter, | |
sondern rituell wie alles in seinem Leben. Als die Mutter die drei | |
erhängten Ferkel sieht, stürzt sie sich verzweifelt quiekend in einen | |
Tümpel. Der Landmann birgt ihre Leiche und beerdigt sich dann mit ihr | |
zusammen. Irgendwann steigt er allerdings wieder aus dem gemeinsamen Grab. | |
Thierry Zeno hat "Vase de Noces" 1974 gedreht. Der Film ist absolut irre. | |
Nichts von dem eben Beschriebenen wird als Effekt herausgestellt. In einem | |
beiläufigen, zarten schwarz-weißen Bildgeschehen überwölbt eine prächtige | |
Klangarchitektur, alte sakrale Vokalmusik aus Renaissance und Frühbarock | |
oder neue analoge Synthesizerschleifen, die tabubrecherischen Taten. Die | |
Musik ist von dem handelnden Menschen genauso weit weg, genauso nahe wie | |
die immer wieder vermenschlichten Tiere. In absoluter existenzieller | |
Einsamkeit zwischen seinen unerreichbaren tierischen Mitgeschöpfen und dem | |
ebenso fernen, heiligen Musikuniversum stiefelt er dennoch ruhig und | |
unaufgeregt durch seine feuchte Erde. Einmal imitiert der Synthesizer das | |
Schnattern der Gänse: Genau diese Verfremdung ist das Maximum an | |
Verständnis, das ein Mensch für ein Tier hat. Die namenlose Figur versucht | |
die Nähe zu steigern. | |
Der Tabubruch ist heute nicht mehr das, was er einmal war. Er ist | |
weitgehend zu einer rein technischen Verrichtung und einer ziemlich dumpfen | |
Legitimationsstrategie heruntergekommen. Ersteres im Glauben, dass in einer | |
richtigen Öffentlichkeit nichts unenthüllt bleiben darf, Letzteres meistens | |
als Versuch Rechter und Konservativer, sich einer wohlbeleumundeten | |
Strategie der Aufklärung zu bedienen, um ihr trübes Restaurations- und | |
Diskriminierungsgeschäft zu betreiben. Die ehrgeizige Filmreihe "Kino wider | |
die Tabus" im Wiener Filmmuseum verfolgt ganz andere Ziele und bezieht sich | |
auf eine andere Zeit. | |
Dabei verbeugt sich das Unternehmen auch vor dem Lebenswerk eines großen | |
Wiener Cineasten. Amos Vogel, Jahrgang 1921, floh vor den Nazis 1938 nach | |
New York. Seit 1947 ist er als Kinobesitzer, Autor und Aktivist im Dienste | |
des Experimental- und Undergroundfilm auffällig. Sein enzyklopädisches | |
Standardwerk "Film As Subversive Art" von 1974 wurde zunächst unter dem | |
Titel "Kino wider die Tabus" auf Deutsch veröffentlicht. An diesem Werk | |
orientiert sich die Reihe, konzentriert sich aber auf die Filme, die in | |
erster Linie sexuelle Tabus gebrochen haben, und unter diesen wiederum auf | |
die Jahre 1963 bis 1976. Dieses Interesse ist, das wird auch in der Auswahl | |
innerhalb der Reihe klar, ebenso stark von aktuellen Diskussionen | |
("Alternativer Porno", neuer queerer Underground) bestimmt wie von der | |
Würdigung Vogels. Vogel hatte, das war das Bemerkenswerte an seinem Ansatz, | |
sich weder auf reine Avantgarde- und Underground-Kultur beschränkt, noch | |
sich nur am tabuisierten Gegenstand orientiert. Der "Angriff auf die | |
Montage" oder "Triumph und Tod der beweglichen Kamera" waren Themen, die | |
mit Bildern von Sex oder Toten gleichberechtigt behandelt, in seine Theorie | |
der Subversion eingetragen wurden. | |
Diese erstaunlich vielseitige und in unterschiedliche Richtungen | |
argumentierende Theorie verdankte sich Vogels Erfahrung einer | |
Gleichursprünglichkeit thematischer wie formaler Tabubrüche im | |
amerikanischen Kino-Underground der Vierziger und Fünfziger. Dieselben | |
Leute, die sich thematisch mit der Darstellung von (Homo-)Sexualität oder | |
riskanten ethnografischen Gegenständen beschäftigten, waren auch an neuen | |
filmischen Formen interessiert. Film und Fotografie waren schon technisch | |
die Tabubrecher, weil sie im Nu klare Bilder von dem lieferten, das man im | |
Text mühselig hätte beschreiben müssen, darin immer in der Gefahr nur von | |
den eigenen Intentionen, Bedürfnissen zu sprechen. Film erlaubte einerseits | |
die Idee des direkten Realitätszugriffs zu hegen, der zurückgenommenen | |
Dokumentation (wie in Stan Brakhages einschlägigen Studien einer Geburt, | |
eines Geschlechtsverkehrs und von Obduktionen) und zwang andererseits dazu, | |
sich erneut über Fragen der Darstellung, des Mediums und der eigenen | |
Verwicklung neu Rechenschaft zu geben (es ist nämlich Brakhages Ehefrau, | |
die gebiert). | |
Anders als bei Filmen, die thematisch dem von Bühne und Literatur | |
Überlieferten folgten, zwangen die neuen Gegenstände und die Tabubrüche den | |
Film zur Selbstreflexion. Dies ist der Hintergrund von Vogels | |
materialreicher Studie. Der Titel von Brakhages Film aus dem | |
Leichenschauhaus, "To See With Ones Own Eyes", die wörtliche Übersetzung | |
des Begriffs Autopsie, ist zugleich ein hypernaturalistisches Programm, das | |
sich dem Enthusiasmus darüber verdankte, wie genau ein Film zeigen konnte, | |
was die eigenen Augen nicht sehen können. Die Gewalt der Genauigkeit, oft | |
auch ihre Unangemessenheit initiierten natürlich sofort Gegen-Ästhetiken | |
innerhalb der Tabubruch-Filme: medienreflexive ebenso wie poetische | |
Schulen. Gemeinsam blieb ihnen das Interesse an bestimmten Themen. | |
Die Orgie ist vielleicht das wichtigste Paradigma aller Filme, die jetzt im | |
Filmmuseum laufen. Orgie heißt ja nicht nur, dass viele sexuelle Handlungen | |
ausgeführt werden, Orgie heißt auch, dass die Narration kollabiert, die ja | |
nur den Mühen von Kennenlernen, Konventionen und Missverständnissen sich | |
verdankt. Handlungsabläufe beschleunigen sich rasant, gehen durcheinander, | |
und ein Exzess von Nichtmissverständnis bringt die ganze Idee, etwas | |
erzählen zu wollen, zum Einsturz. | |
Es ist daher stimmig, dass die Wiener Reihe historisch mit Orgienfilmen | |
beginnt, "Christmas On Earth" von der damals 18-jährigen und mysteriösen | |
Barbara Rubin und "Flaming Creatures" von Jack Smith, einer nicht weniger | |
mysteriösen, aber wenigstens mittlerweile hinlänglich berühmten und | |
diskutierten Figur. Rubins 29-minütiger Film mit Doppelprojektion und | |
Farbfiltern ist ein zugleich brillanter wie hilfloser Ausdruck des | |
transgressionslogischen Problems, dass gerade so, wie der Film nach der | |
Darstellung des Ungesehenen verlangt, das Ungesehene schlechthin, etwa die | |
Orgie, nach mehr als nur einer filmischen Beschreibung ruft. Auch Smith hat | |
nach "Flaming Creatures" nur noch Filme hergestellt, die seine | |
Live-Performances unterstützten und während ihrer Aufführung umgearbeitet, | |
neu geschnitten und mit Dia-Shows ergänzt wurden. Rubin, die Gerard Malanga | |
den Peitschentanz beigebracht hat und Warhol mit John Cale und Lou Reed | |
bekannt machte, schloss sich einer fundamentalistischen hassidischen Sekte | |
an und starb mit 35 bei der Geburt ihres fünften Kindes. | |
Die Orgie wurde aber auch zum Standard des industriellen Pornos. Als | |
solcher ersetzt sie die Erzählung durch ein neues Regime. Als Gang-Bang | |
folgt dies streng User-orientierten Regeln, die Verfügbarkeit und | |
Vergegenständlichung des Sex-Objekts gewährleisten sollen. Die so genannte | |
sexuelle Befreiung hatte ja nicht zu Unrecht eine schlechtere Presse als | |
andere Befreiungsmodule von 68. An ihr konnte man deutlicher erkennen, | |
dass, wenn eine Befreiungsforderung von ihrem politischen Kontext isoliert | |
als Ware beantwortet wird, sich die Verhältnisse nicht nur nicht | |
verbessern, sondern massiv verschlechtern. Der Industrieporno | |
veranschaulichte das hinlänglich. | |
Heute gibt es ein neues Interesse von meist queerer und polysexueller | |
Seite, oft in einer politisierten Sprache, die Geschichte der Pornografie | |
neu zu sichten. Zwischen "Baise-moi", "Shortbus", Animal Collective und | |
GirlsWhoLikePorn entsteht langsam eine neue Politik des Sexuellen in den | |
Künsten. Das ironische Verhältnis zur eigenen Geilheit in der 90er Nerd- | |
und Lounge-Kultur mit ihrer Begeisterung für schrille Siebziger-Pornos war | |
dafür nur ein ungeeigneter Vorläufer. In der Wiener Reihe gibt es eine | |
Reihe von Filmen, die in den frühen Siebzigern am Rande der frühen | |
industriellen Pornowelt oder des Mainstreamkinos entstanden sind. Hier | |
zeigt sich, wie die Ritualisierung sexueller Darstellungen mit dessen | |
sexistischer Industrialisierung ebenso viel zu tun hat wie mit einer | |
Tendenz des Sex zum Ritual und zum Skript. In Jean-François Davys | |
großartigem Meta-Porno "Exhibition" (1975) etwa sind die Beteiligten schon | |
eher Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen als befreite Beatniks, die Akte sind | |
auch am (Hetero-)Publikum orientiert. | |
Dennoch gibt es auch hier noch den Charme einer eher befreiten | |
Beiläufigkeit, während Joe Sarnos beinahe beklemmender "Abigail Lesley Is | |
Back In Town" aus demselben Jahr, mit seiner fast Fassbinderhaften | |
melancholischen Darstellung des verwickelten Sexlebens einer Küstenstadt, | |
auch schon latent von der Tristesse berichtet, die mittlerweile im | |
Performen von Sex vor der Kamera überhaupt liegt. Meine große Konstante | |
dieser Retro ist der unerwartete Zusammenhang zwischen Sexkino und | |
psychedelischer Synthesizermusik. Bei mehr als der Hälfte der Filme | |
schwelgen, schwirren und sirren die Töne großer analoger Monster durch die | |
Chateaus, Beach-Häuser und City-Appartments, in denen hier gevögelt wird. | |
Kein Porno-Funk, kein Schnauzbart-Disco, kein Ficker-Techno, sondern | |
beatlose Kathedralen. | |
Das heutige linke, queere, feministische und Indie-Interesse an den | |
Ambivalenzen des Sexfilms kann von diesem Schatz an | |
Darstellungsmöglichkeiten nur profitieren. Viele Fragen, die heute offen | |
sind, dürften sich bei diesem Rückblick beantworten lassen. Neue kommen | |
auf, wie die, was aus einem wie Thierry Zeno eigentlich geworden ist, den | |
das Programmheft als "auch für belgische Verhältnisse exzentrisch" | |
charakterisiert. Nun, er leitet eine Kunstakademie. Unglaublich, was diese | |
Institutionen für die Integration von Exzentrikern mit Interesse an | |
transspeziellem Sex leisten. | |
26 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
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