# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Todesängste im Korridor | |
> Die ukrainische Hauptstadt Kyjiw und andere Landesteile sind erneut Ziel | |
> russischer Angriffe. Die Lage im AKW Saporischschja soll fragil sein. | |
Bild: Die Hauptstadt Kyjiw nach russischen Angriffen Ende Dezember | |
KYJIW taz | Der Mittwoch hatte gerade erst begonnen, da heulten in Kyjiw | |
die Sirenen auf. Nichts Ungewöhnliches, dachten sich viele, das hatte es in | |
den vergangenen Wochen öfter gegeben und am Ende war die Hauptstadt im | |
Gegensatz zu anderen Städten in der Ukraine doch wieder einmal verschont | |
geblieben. | |
Dieses Mal erzitterte der Boden mehrmals zwischen sieben und acht Uhr | |
morgens. Kaum jemand hatte die Chance, einen Schutzraum aufzusuchen, also | |
griff die von den Behörden für den Ernstfall empfohlene „Zwei-Wände-Regel�… | |
Sie besagt, dass man bei Luftalarm zwei Wände, eine davon fensterlos, | |
zwischen sich und draußen haben sollte. Das ist nur im Gang, im Bad und der | |
Toilette der Fall. | |
„Ich hätte es wissen müssen“, klagt die 77-jährige Nadja, die nach dem | |
ersten Einschlag zitternd den Gang aufgesucht hatte. An einer Stelle ist | |
die Wand so dick, dass der Mobilfunkempfang nicht funktioniert. Dort wartet | |
sie immer auf Entwarnung, wenn die Stadt mit Raketen und „Mopeds“, wie die | |
Drohnen genannt werden, beschossen wird. | |
„Mein Telegram-Kanal hatte mich vor Raketen am Morgen gewarnt. Aber ich | |
habe gedacht, es würde nicht Kyjiw treffen.“ Zudem hielten sich der Chef | |
der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Grossi und der | |
EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in der Stadt auf. „Auf die würden die | |
Russen ja wohl nicht schießen.“ [1][Insgesamt kamen bei den Angriffen auf | |
Kyjiw mindestens vier Menschen ums Leben, 40 Personen wurden verletzt]. | |
Ziel von Angriffen waren auch andere Städte – darunter Mikolajiw, Charkiw | |
sowie das Gebiet Lwiw. | |
## Größtes AKW in Europa | |
IAEO-Chef Rafael Grossi dürfte zum Zeitpunkt des Angriffs Kyjiw schon in | |
Richtung Enerhodar verlassen haben. Dort befindet sich [2][das von | |
russischen Truppen besetzte AKW Saporischschja]. Es ist das größte AKW in | |
Europa. | |
Dort sei die Lage, so Grossi am Dienstag vor Journalisten, „sehr fragil“. | |
Insbesondere beunruhige ihn, dass die russische Verwaltung des besetzten | |
AKWs seit dem 1. Februar Angestellten, die sich weigerten, die russische | |
Staatsbürgerschaft anzunehmen und für die russische Betreiberfirma zu | |
arbeiten, den Zugang zum Kraftwerk verwehre. Insgesamt, so der ukrainische | |
Energieminister Herman Haluschtschenko, gehe es um 400 lizensierte | |
Mitarbeiter des AKW. | |
Es liege auf der Hand, dass diejenigen, die dieses Personal ersetzen | |
würden, keine Lizenz hätten. Das werde die Arbeit beeinträchtigen, folglich | |
auch den Betrieb dieser Anlage sowie die nukleare Sicherheit im Allgemeinen | |
beeinträchtigen, sagte Haluschtschenko. Nach Angaben der IAEO arbeiten | |
derzeit 4.500 Personen im AKW. Vor dem Krieg waren es 11.500. | |
Laut Grossi sei auch die externe Stromversorgung der sechs Reaktoren ein | |
Problem. Acht Mal sei diese unterbrochen gewesen und das Kraftwerk nur mit | |
Dieselgeneratoren betrieben worden. Der Zustand der Brennstäbe sei | |
bedenklich. Deren sechsjährige Laufzeit werde demnächst enden. Die | |
wichtigsten Fragen im AKW Saporischschja beträfen die technische Bewertung | |
des Zustands des Kernbrennstoffs in den Reaktoren und die Frage des | |
Personals, so Grossi. | |
## Eigene Besonderheiten | |
„Die Frage der Entsorgung von Brennelementen haben wir bei unserem Treffen | |
mit dem Minister und Vorstandsvorsitzenden von Energoatom, Petro Kotin, | |
erörtert. Dieses Thema wird bei meinen Gesprächen mit der Kraftwerksleitung | |
und der russischen Führung in Moskau an erster Stelle stehen“, sagte | |
Grossi. | |
Er betonte, dass jeder Kraftwerksblock seine eigenen Besonderheiten und | |
Laufzeiten des eingesetzten Brennstoffes habe.„Wir werden unsererseits auf | |
einer möglichst gründlichen Bewertung des technischen Zustands bestehen“, | |
sagte der IAEO-Generaldirektor. | |
Seit 2016 werden im AKW Saporischschja neben Brennstäben aus russischer | |
Produktion auch Brennstäbe von der US-Firma Westinghouse, dem weltweit | |
größten Hersteller von Kernbrennstoffen, eingesetzt. | |
Seit September 2022 ist ständig ein Expertenteam der IAEO im AKW vor Ort | |
präsent. Kommende Woche wird Grossi nach Russland reisen. Oberste Priorität | |
bei seinen Gesprächen in Moskau, so Grossi in Kyjiw, habe die Frage der | |
Laufzeit der Brennstäbe. | |
7 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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