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# taz.de -- Schloss Gottorf dekolonisiert
> Mit Videokunst von Yinka Shonibare und Voluspa Jarpa belebt das
> Landesmuseum Schleswig-Holstein seine Prunksäle. In den Blick rückt so
> die Frage nach der Herkunft der Sammlungsstücke
Bild: Die historischen Räume des Museums wirken wie die Verlängerung der Spie…
Von Esther Geißlinger
In höchsten Tönen trauert Frances Nisbet um ihren untreuen Gatten Lord
Nelson. Während die Lady in bunten Roben durch Schlossräume und Gärten
schlendert und dabei eine Arie aus der Oper „La Traviata“ schmettert, wird
immer wieder der britische Seeheld selbst eingeblendet, wie er –
festgebannt in lebenden Bildern – mit seiner Geliebten feiert, aber auch
Gift schluckt, bleich auf dem Bett liegt oder erschossen danieder sinkt.
Ein Spektakel aus Ton und Bild mit Raumwirkung: Denn der nach Friedrich
III. von Schleswig-Holstein benannte Saal im Landesmuseum Schloss Gottorf,
in dem dieser Film in Dauerschleife läuft, sieht mit seiner gewölbten Decke
mit blauem und weißem Stuck fast wie eine Verlängerung des Videos aus.
Aber nein, er habe das Kunstwerk „Addio del Passato“ des britischen
Künstlers Yinka Shonibare [1][keineswegs passend zur Inneneinrichtung
ausgewählt], betont Thorsten Sadowsky, wissenschaftlicher Vorstand und
Direktor des Landesmuseums. Vielmehr gehe es darum, in den historischen
Räumen des Schlosses Störungen unterzubringen, den Besucher*innen damit
eine neue Perspektive zu geben und so „das alte Gottorf im neuen Licht“
darzustellen, sagt Sadowskys Stellvertreter Carsten Fleischhauer.
„Performing History – Postkoloniale Identität in der zeitgenössischen
Kunst“ heißt der Titel der Schau. Sie ist bewusst nicht in den Abteilungen
für moderne Kunst zu sehen, sondern im Hauptgebäude mit der historischen
Sammlung in Szene gesetzt. Im prunkvoll mit Tierfiguren dekorierten
Hirschsaal stoßen Museumsbesucher*innen auf ein weiteres Werk von
Shonibare: „Un ballo in maschera“ zeigt das Attentat auf den Schwedenkönig
Gustav III. im Jahr 1792 bei einem Maskenball als Tanzperformance.
Verkörpert werden die Rollen des Königs und des Mörders von Frauen, und
einige Tanzende sind Schwarz, wie auch die Sängerin, die Lord Nelsons
Gattin spielt. Alle Personen tragen, typisch für Shonibares Werke,
farbenfrohe Kleidung, deren Muster als „typisch afrikanisch“ gelesen werden
könnten. In Wahrheit aber ist die bunte Batik-Optik stark durch westliche
Firmen wie die holländische Vlisco geprägt, die die Produktion solcher
„Dutch-Wax“-Stoffe im 19. Jahrhundert industrialisierte.
Was ist Ursprung, was die Folge von Kolonialismus, was gehört zur einen,
was zur anderen Kultur, wer darf welche Rolle einnehmen? Mit solchen Fragen
befasst sich Shonibare, der nigerianische Wurzeln hat und sich als „Hybrid“
beider Kulturen versteht. Bereits 1998 inszenierte er sich als „Victorian
Dandy“: Auf einer Reihe von Plakaten, die damals in der Londoner U-Bahn
hingen, ist er als feiner Herr im Kreis von Dienstboten oder Aristokraten
zu sehen und lieferte so das Vorbild für heutige popkulturelle Phänomene
wie die Serie „Bridgerton“, in der Personen der englischen Oberschicht von
Schwarzen Schauspieler*innen verkörpert werden.
Postkolonialismus, das Infragestellen üblicher Geschichtsbilder,
Klimawandel oder Nachhaltigkeit: „Wir müssen Themen von Relevanz in den
musealen Kontext bringen“, sagt Sadowsky, der d[2][as Landesmuseum seit
Herbst 2022 leitet]. Es schwingt mit, dass das bisher zu wenig geschah.
Immerhin hat das Museum schon einmal in die eigenen Bestände geschaut und
[3][keine offensichtliche Raubkunst gefunden], berichtet Fleischhauer. Alle
Werke aus Afrika seien erst in jüngerer Zeit regulär gekauft worden.
Genauer untersucht werden müssen noch Gegenstände aus China aus der Zeit
des Boxeraufstandes. „Wir werden bei der Neueröffnung einen Raum haben, der
sich mit solchen Fragen befasst“, kündigt Fleischhauer an.
Denn Schloss Gottorf steht vor einer Umwandlung: Die Dauerausstellungen zu
Kunst- und Kulturgeschichte sowie Archäologie sollen komplett neu
ausgerichtet werden. Für den Totalumbau wird das Museum von 2025 bis etwa
2028 geschlossen. Umso wichtiger findet es Sadowsky, vorher noch einen
Akzent zu setzen.
Dazu trägt auch das dritte Video-Werk bei, das von der Chilenin Voluspa
Jarpa stammt. „The Emancipating Opera“ war 2019 Chiles Beitrag auf der
Biennale, berichtet Sonja E. Nöckel, zurzeit Volontärin des Landesmuseums
und Teil des Kuratoren-Teams. Der Film zeigt mit eindrucksvollen Bildern
und durch einen Wechselgesang mehrerer Chöre die Folgen des Kolonialismus,
die Zerstörung des Landes und der ursprünglichen Kultur durch die
Einwanderung. Dieses Video ist das einzige, das in einem neutralen Raum
gezeigt wird: eine Vorgabe [4][der Künstlerin], die eine bestimmte Größe
für die Leinwand vorschrieb.
Ausstellung „Performing History“, Schloss Gottorf, im Rahmen des
Museumsrundgangs. Bis April 2024
4 Dec 2023
## LINKS
[1] /!5008548&SuchRahmen=Print
[2] https://schloss-gottorf.de/de/der-masterplan-fuer-gottorf
[3] /!5955077&SuchRahmen=Print
[4] https://www.youtube.com/watch?v=MoIc8xuIuVk%E2%80%8B
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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