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# taz.de -- In der Tradition von Samisdat
> Das Exilmagazin „Rodina“ versammelt russische Texte, die in Russland
> nicht publiziert werden können
Von Katja Kollmann
Rodina heißt Heimat. Rodina heißt auch eine kleine feine Zeitschrift, die
seit Kurzem in Berlin erscheint und an [1][die große Tradition der
sowjetischen Samisdat-Literatur] anknüpfen will. Texte, die in Russland
nicht publiziert werden können, sollen in Berlin veröffentlicht werden. Auf
Russisch.
Beeindruckend ist, wie transparent [2][Rodina Press] den Entstehungsprozess
macht. Auf Instagram und Telegram wird die kleine Rodina-Community (es gibt
etwa 1.000 Follower) über den Open Call für Texte und Fotos rund um das
Thema Heimat, die AutorInnen-Shortlist, und sogar Schrifttype sowie Farbe
der ersten Ausgabe informiert. Herausgekommen ist eine 112 Seiten starke
Nullnummer mit einem eleganten, luftig-leichten Layout. Es scheint, als
würden die in Mittelblau gehaltenen Buchstaben auf dem mattweißen Papier
tanzen. Stilistisch und inhaltlich bleiben die Texte der zwölf ausgewählten
AutorInnen, eine erfrischend heterogene Gruppe, leider oft im
Konventionellen stecken.
Zwei Texte aber ragen wie Leuchttürme heraus. So lässt Christian Gorski in
seinem Text „Gefangener Null“ einen Chatbot, den man mit Wissen über den
russischen Gefängnisalltag gefüttert hat, in der Figur des naiven
Gefangenen Null auf die Gefangenen Eins, Zwei und Drei treffen. Dem
Petersburger Mediendesigner reichen zwölf Seiten, um die im russischen
Strafvollzug von Grund auf vorhandenen Gewaltstrukturen an konkreten
Fallbeispielen darzustellen. Deutlich wird: Das russische Gefängnis ist per
se eine rechtsfreie Zone, in der jeder Neuzugang der Gewalt von
Mithäftlingen und Gefängnispersonal schutzlos ausgeliefert ist.
Bei Grigorij Komlev ist etwas aus den Fugen geraten. Die Buchstaben sind
nicht mehr an ihrem gewohnten Platz. Als hätte es innerhalb der Worte
kleine Erdbeben gegeben, die die Vokale und Konsonanten durcheinander
gewirbelt haben. Das Auge muss Worte und somit Verse wie ein Puzzle
zusammen setzen – und trifft immer wieder auf drei kleine Kreuze. [3][Ein
Antikriegs-Gedicht]: „Jeder Stein ist ein Vorwurf … Der Stein und sie
stehen dem Tod gegenüber. Irgendwo steht: Du sollst nicht töten. Es gibt
nur das Neue, das brennt ohne je angezündet worden zu sein.“ Der Versuch,
das Gedicht „Dsieklisja“ vorzulesen, scheitert an einem Abend im August,
als im Hof des Buchladens Motto Berlin die neue Exilzeitschrift vorgestellt
wird. Die Gedichtzeilen sind entweder unverständlich oder werden beim
Vorlesen automatisch verfälscht.
Eigenartig berührend ist diese anachronistisch anmutende Vorstellung einer
analogen, nicht kommerziellen Zeitschrift in einem Kreuzberger Hinterhof in
Zeiten des allgegenwärtigen Internets. Initiator des Ganzen ist Stas
(seinen Nachnamen nennt er nicht), ein schlaksiger Mann mit langen Haaren.
Er hat sein ganzes Stipendiengeld in den Druck der ersten Hundert
Rodina-Exemplare gesteckt. Inzwischen wurde Rodina auch in der georgischen
Hauptstadt Tiflis, [4][einem Zentrum der russischen Emigration], gelauncht.
Auch in Paris, der traditionellen russischen Exilhauptstadt, ist die
Zeitschrift erhältlich. Und die zweite Ausgabe ist in Vorbereitung. Der
Open Call läuft noch bis zum 1. Oktober. Stas wird den Paragrafen 29 der
russischen Verfassung wieder auf die erste Seite drucken lassen: „Jeder hat
das Recht, frei nach Informationen zu suchen, sie zu erhalten und sie
weiterzugeben. Pressefreiheit wird garantiert. Zensur ist verboten.“ Auf
der nächsten Seite wird stehen: „Rodina. Die Samisdat-Zeitschrift der
freien Literatur“. Und auf Seite 6 nur zwei Worte: „Net Voinje! – Nein zum
Krieg!“
28 Sep 2023
## LINKS
[1] /!5839407&SuchRahmen=Print
[2] http://rodina.press/
[3] /!5846776&SuchRahmen=Print
[4] /!5938761&SuchRahmen=Print
## AUTOREN
Katja Kollmann
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