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# taz.de -- Was ist erlaubt?
> Till Lindemanns Zensurkampagne gegen die Medien ist erfolgreich. Von
> „sexuellem Missbrauch“ darf aber weiterhin gesprochen werden
Bild: Die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn bleiben
Von Johannes Eisenberg
Die Petition „Keine Bühne für Rammstein“, die sich gegen die Auftritte der
Band in Berlin richtet, darf laut Landgericht Berlin weiter verbreitet
werden. Und das auch mit der Formulierung, dass der Rammstein-Sänger Till
Lindemann „junge Frauen bei Konzerten reihenweise und systematisch sexuell
missbraucht haben“ soll. Nach dem Beschluss des Landgerichts hat der Sänger
seinen Verbotsantrag zurückgenommen.
Das Landgericht Hamburg indessen verbietet den Medien weiterhin die
Darstellung von Frauen, die berichten, auf den Rammstein-Konzerten nach dem
Verzehr psychoaktiver Stoffe (dazu zähle ich ausdrücklich auch Alkohol) aus
partieller Amnesie erwacht zu sein und festgestellt zu haben, dass es zu
sexuellen Kontakten gekommen ist, denen zugestimmt zu haben sie nicht
erinnern. Was also ist erlaubt, was ist verboten?
Das hängt derzeit davon ab, ob sich ein Rammstein an das Landgericht
Hamburg oder Berlin wendet. Das Landgericht Hamburg verbietet kleinteilig
und skrupulös alles, was nicht konkret belegt ist: Erklärt eine Frau, sich
nicht vollständig erinnern zu können, hält es aber für möglich, einem
Sex-Kontakt unerinnert zugestimmt zu haben, dürfen die Medien nicht
schreiben „die Frauen würden von sexuellen Handlungen mit dem Sänger
berichten, denen sie nicht zugestimmt hätten“. Man wisse schließlich nicht,
ob die Frauen in den erinnerungslosen Geschehensinseln nicht doch
zugestimmt hätten. Es darf zudem nicht der Verdacht transportiert werden,
die Frau sei vergewaltigt worden oder es seien sexuelle Handlungen an ihr
ohne ihre Einwilligung vorgenommen worden. Dabei konzediert das Landgericht
Hamburg erneut, dass ein Berichterstattungsinteresse an dem Sexualverhalten
des Sängers besteht, er sich nicht auf den Schutz seiner Intimsphäre
berufen kann. Allerdings verbietet das Gericht jede Vermutungsdarstellung,
die Frauen seien mittels Drogen oder gezielter Verabreichung von Alkohol in
einen wehrlosen Zustand versetzt worden.
Das Landgericht Berlin wiederum hat die Darstellung in der Petition deshalb
für zulässig gehalten, weil es der Meinung ist, der Begriff „sexueller
Missbrauch“ sei vor dem Hintergrund der „unstreitigen sexuellen Kontakte
des Antragstellers im Zusammenhang mit seinen Konzerten“ eine zulässige
Meinungsäußerung. „Sexueller Missbrauch“ entspreche keinem konkreten
Straftatbestand: „Die Bezeichnung als ‚Täter‘ eines sexuellen Missbrauchs
ist damit nicht mit der Behauptung gleichzusetzen, der Antragsteller sei
strafrechtlich verurteilt oder müsse sich auch nur gegen strafrechtliche
Vorwürfe verteidigen.“
Das ist bekanntes Presserecht: Wer substanzlos berichtet, aber
Berichtsanlasstatsachen hat, äußert eine Meinung. Sexueller Missbrauch ist
nicht die Behauptung einer Straftat, sondern – so nenne ich das –
beschreibt eine Asymmetrie zwischen dem 60 Jahre alten Prominenten und der
noch jungen und wenig erfahrenen, zudem intoxinierten Frau.
Verboten ist den Medien nach wie vor seitens des Landgerichts Hamburg, zu
schreiben, dass auf Rammstein-Konzerten K.-o.-Tropfen, Alkohol oder Drogen
verabreicht werden, mit dem Ziel die Frauen willfährig zu machen oder in
einen bewusstlosen Zustand zu versetzen, um sie dann sexuell zu
missbrauchen. Auch nicht geschrieben werden darf, dass es Sexkontakte ohne
Zustimmung der Frauen gegeben hat. Tatsächlich ist Lindemann also mithin
erfolgreich mit seiner Zensurkampagne gegen eine kritische
Berichterstattung.
Am Ende aber wird das Landgericht Hamburg seine Rechtsprechung aufgeben
müssen: Wenn eine Mehrzahl von Zeuginnen unabhängig voneinander über
sexuelle Kontakte berichtet, denen sie nach Erinnerungslage nicht
ausdrücklich zugestimmt haben, wird daraus mehr geschlussfolgert werden
dürfen, als das Gericht derzeit gestattet. Dieses übergeht nämlich bislang
ebendiese Mehrzahl unabhängig voneinander ähnlich lautender Aussagen von
Frauen über Erinnerungsverluste im Zusammenhang mit sexuellem Kontakt mit
Till Lindemann.
18 Aug 2023
## AUTOREN
Johannes Eisenberg
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Rammstein
Musik
Presse
sexueller Übergriff
sexueller Missbrauch
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