# taz.de -- Nicht immer gut behütet | |
> Die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg behauptet trotzig | |
> 400 Jahre Gegenwart: Sie zeigt, dass es jüdisches Leben im Norden | |
> jenseits der Shoah gibt | |
Bild: Eine Kinderkippa: Den Himmel bevölkern lustige Luftfahrzeuge | |
Von Esther Geißlinger | |
Der goldene Saurier mit den bedrohlich gefletschten Zähnen ist das | |
Prunkstück auf der Festtafel: Der unterarmlange T-Rex ist ein | |
Chanukka-Leuchter, das verraten die Kerzenständer auf seinem Rücken. Auf | |
dem Tisch liegt außerdem ein Plakat, das zu einer Purim-Technoparty | |
einlädt. Die silbernen Weingläser, die danebenstehen, sind mit einem Sensor | |
versehen, über den sich ein Film über weitere jüdische Feiertage starten | |
lässt. | |
Es gibt viel zu entdecken in der neuen Dauerausstellung des Jüdischen | |
Museums, das in der ehemaligen Synagoge der Kreisstadt am Nord-Ostsee-Kanal | |
untergebracht ist. Nach rund einem Jahr Umbauzeit hat das Haus nun neu | |
eröffnet. Unter dem Motto „400 Jahre Gegenwart“ soll jüdisches Leben in | |
Schleswig-Holstein jenseits von Klischees und Holocaust-Gedenken gezeigt | |
werden. | |
„Für uns ist wichtig, dass die Ausstellung zukunftsorientiert ist“, sagt | |
Viktoria Ladyshenski, Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinschaft | |
Schleswig-Holstein. | |
Sie ist gemeinsam mit Igor Wolodarski, dem Landesvorsitzenden der | |
Gemeinschaft, Walter Pannbacker, dem Antisemitismusbeauftragten des | |
Landesverbandes, und Julia Kharytonova aus dem [1][Vorstand der Jüdischen | |
Gemeinde Kiel] zur Eröffnung gekommen. Alle vier waren in die Konzeption | |
eingebunden. Ein langer Prozess und nicht immer einfach: „Ich hatte immer | |
was zu meckern“, sagt Ladyshenski. Nun sei sie beeindruckt vom Ergebnis. | |
Für Museumsleiter Jonas Kuhn und sein Team war die Zusammenarbeit wichtig. | |
Nicht nur Vertreter*innen der Jüdischen Gemeinden, sondern auch | |
Jugendliche oder Menschen mit Behinderung waren einbezogen. | |
Das Kunststück bestand darin, auf nur 240 Quadratmetern mehrere | |
Jahrhunderte des Judentums in Schleswig-Holstein zu zeigen und genug Raum | |
für das Hier und Heute zu lassen: „Eine rein historische Ausstellung | |
funktioniert für uns nicht“, sagt Kuhn. Das Ziel sei, einen | |
„Perspektivwechsel herbeizuführen“. So ist das Gedenken an die Shoah auf | |
einen Raum begrenzt, und dort gibt es weder Horrorbilder aus den KZs | |
[2][noch Informationen über Täter*innen], stattdessen Sessel, in denen | |
über Kopfhörer Lebensgeschichten erzählt werden. | |
Die Biografien stehen stellvertretend für alle Opfer. Die Einzelschicksale | |
sollen „in der Seele ankommen“, sagt Ladyshenski. Kuhn hofft, auf diese | |
Weise besonders Jugendliche zu erreichen: „Wenn sie in ein jüdisches Museum | |
gehen, haben sie das Gefühl, sie müssten betroffen sein und die Antworten | |
geben, von denen sie glauben, die Lehrkräfte wollten sie hören.“ Daher sei | |
der Raum bewusst offen gestaltet und gibt Anstöße, die verkrustete | |
Gedenkkultur infrage zu stellen. Erwartungen brechen und Denkanstöße geben | |
will die Ausstellung auch mit der Botschaft, dass Menschen jüdischen | |
Glaubens nicht nur durch ihre Religion definiert werden. | |
Dazu werden Jüd*innen mit Behinderungen vorstellt, [3][queere | |
Jüd*innen] oder Jüd*innen, die sich ehrenamtlich engagieren oder | |
sportlich betätigen. Als Symbol für den jüdischen Turnverein Makkabi hängt | |
ein Boxsack im Raum. Im Mittelpunkt stehen immer einzelne Menschen. Da ist | |
zum Beispiel der Kieler Jonni Hirsch, der zum ersten Mal in dem Raum | |
erwähnt wird, in dem es um die beginnenden Repressionen gegen jüdische | |
Menschen geht. | |
Hirsch wurde 1936 der Besuch in seinem Stamm-Café untersagt. Andere Gäste | |
hätten sich „beschwert“, schrieb ihm der Café-Besitzer und unterzeichnete | |
„mit deutschem Gruß“. Im Obergeschoss, wo es um die Geschichte nach 1945 | |
geht, wird Hirsch wieder erwähnt – jemand beleidigt ihn antisemitisch, der | |
Täter wurde nicht belangt. Wie die Mehrheitsgesellschaft die NS-Zeit | |
ausblendete, zeigt die Urkunde zum 100-jährigen Bestehen seines | |
Ladengeschäfts, die Hirsch 1956 erhielt. Dabei war der Betrieb, den sein | |
Vater gründete, während der NS-Zeit zwangsgeschlossen gewesen. Rund 1,5 | |
Millionen Euro hat der Umbau des Museums gekostet, rund 900.000 Euro | |
stellte das Land bereit, der Rest stammt aus EU-Mitteln. | |
Ein Drittel wurde für die Ausstellung verwendet, außerdem erhielt das Haus | |
aus dem 19. Jahrhundert einen Fahrstuhl, und der Betsaal der früheren | |
Synagoge wurde saniert. Rendsburg war eine von vier Städten in | |
Schleswig-Holstein, in denen sich in früheren Jahrhunderten Jüd*innen | |
ansiedeln durften. Die Synagoge mit Talmud-Thora-Schule wurde 1845 erbaut. | |
Neben der Dauerausstellung zeigt das kleine Haus regelmäßig Sonderschauen. | |
Geplant ist für die Zukunft, den Betsaal stärker zur Ausstellungsfläche zu | |
machen, etwa durch Kunstausstellungen. Auch die Zusammenarbeit mit den | |
Jüdischen Gemeinden soll weitergehen, versprach Kuhn. Walter Pannbacker | |
freut sich darüber. | |
Denn zurzeit würde erwartet, dass die Gemeinden ständig als Ansprechpartner | |
[4][für Themen wie Antisemitismus, Holocaust, Judentum bereitstünden]. Das | |
aber könnten und wollten die dortigen Ehrenamtlichen gar nicht leisten: | |
„Jetzt haben wir einen Ort im Land, an den wir verweisen können, wenn | |
jemand Fragen zum jüdischen Leben hat.“ | |
„Moin, Mentsh“, Dauerausstellung, Jüdisches Museum, Prinzessinnenstraße | |
7–8, Rendsburg. Täglich außer Montag, 10–16 Uhr | |
16 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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