# taz.de -- Freikirche macht Platz | |
> Die jüdische Gemeinde Kiel hat nach jahrelanger Suche eine neue Synagoge | |
> gefunden: In dem Haus war 100 Jahre lang eine Freikirche, davon kündeten | |
> bis vor Kurzem die Inschriften an der Fassade. Im Dezember soll es | |
> bezogen werden | |
Bild: „Gott ist Liebe!“: alter Zustand der Fassade des Hauses, in das die j… | |
Von Esther Geisslinger | |
Die Jüdische Gemeinde Kiel wächst: Im Jahr 2004 wurde sie von 18 Personen | |
gegründet, heute gehören ihr 250 Menschen an, darunter viele jüngere. Lange | |
hat der Vorstand nach einem neuen Haus für Synagoge, Kulturarbeit und | |
Gemeindeleben gesucht. Schließlich halfen das Land, die Stadt und die | |
evangelische Kirche bei der Suche und beteiligten sich an den Kosten. | |
Aktuell wird umgebaut, im Dezember findet der Umzug in ein | |
denkmalgeschütztes Gebäude in der Waitzstraße statt. | |
Eigentlich sollte es schon im Sommer so weit sein, aber – typisch Altbau – | |
„man macht eine Wand auf, dann ergibt sich eines aus dem anderen, und der | |
Denkmalschutz muss auch mitreden“, sagt Walter Joshua Pannbacker, | |
Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Kiel. Dafür, dass er gerade | |
mitten im Umzugs- und Umbaustress steckt, klingt er bemerkenswert gelassen. | |
Die Mitglieder vor 15 Jahren neu gegründeten Gemeinde rechnen sich dem | |
liberalen Flügel des Judentums zu, sie setzen damit die städtische | |
Tradition fort: Die Kieler Gemeinde, die bis zu ihrer Zerstörung am 9. | |
November 1938 in der Synagoge in der Goethestraße betete, gehörte ebenfalls | |
dem liberalen Judentum an. | |
Ein Unterschied zur Orthodoxie ist, dass Frauen als Rabbinerinnen | |
zugelassen sind. Pannbacker zählte zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe. | |
Als diese sich 2004 bildete, gab es bereits ein jüdisches Zentrum in Kiel, | |
das an die orthodoxe Gemeinde in Hamburg angeschlossen war. Im Mittelpunkt | |
der Gemeindetätigkeit stand die Sozialberatung für Mitglieder, von denen | |
viele aus ehemaligen Sowjetstaaten stammten. | |
„Wir wollten gern ein lebendigeres und vielfältigeres Gemeindeleben | |
aufbauen und auch Gottesdienste abhalten“, sagt Pannbacker. Heute finden | |
unter dem Dach der liberalen Gemeinde zahlreiche Aktivitäten statt, | |
darunter Jugend- und Seniorengruppen, Religionsunterricht, eine koschere | |
Küche, die Veranstaltungen mit Essen versorgt und Informationen über die | |
Regeln der jüdischen Kochtradition vermittelt, bis hin zum Chor | |
„Nordlicht“. | |
Schnell wurde die jetzige Synagoge am Schrevenpark zu klein, auch baulich | |
ist das Hause nicht in bestem Zustand. Seit rund zehn Jahren suchte die | |
Gemeinde ein neues Zuhause. Zentral, ausreichend groß und bezahlbar – es | |
war nicht leicht, so ein Gebäude zu finden. Schließlich gründete sich ein | |
„runder Tisch“, an dem die grüne Finanzministerin von Schleswig-Holstein, | |
Monika Heinold, ihre für Bildung und Kultur zuständige Kabinettskollegin | |
Karin Prien (CDU), Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer und der evangelische | |
Bischof Gothart Magaard saßen. | |
„Vorher hatte alle gesagt, sie wollten etwas tun, wüssten aber nicht recht | |
was“, sagt Pannbacker. „Als wir alle zusammengeholt hatten, gab es eine | |
Lösung.“ Stadt und Land schlugen Immobilien vor, darunter wären auch freie | |
Bauplätze gewesen. Am Ende entschied sich die Gemeinde für ein historisches | |
Gebäude, das einer Privatperson gehört. Die Gemeinde hat mit dem | |
Mietvertrag eine Option erworben, das Haus eines Tages kaufen zu können. | |
„Die gemeinsamen Bemühungen haben Früchte getragen“, sagte Monika Heinold. | |
„Es ist wichtig, dass das jüdische Gemeindeleben in Kiel wieder eine feste | |
Heimstätte bekommt.“ Dabei hilft ein finanzieller Zuschuss aus dem | |
„Impuls“-Programm des Landes über 50.000 Euro, aber auch der „Vertrag zur | |
Förderung des jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein“ zwischen dem Land und | |
den jüdischen Landesverbänden, der 2018 geschlossen wurde und mit dem der | |
jährliche institutionelle Zuschuss von 500.000 auf 800.000 Euro erhöht | |
wurde. | |
„Der Vertrag gibt uns Sicherheit“, sagt Pannbacker. Dennoch muss die | |
Gemeinde selbst für einen Teil der Kosten aufkommen. Mit 250 Mitgliedern, | |
viele davon im Rentenalter und als Zugewanderte wenig begütert, ist das | |
schwierig. Die Gemeinde wirbt daher um Spenden. Ein Teil des Geldes wird | |
für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben werden müssen – die Erfahrungen in | |
Halle haben das gerade mehr als deutlich gezeigt. | |
Das Haus in der Waitzstraße gehörte anfangs einer Burschenschaft – „keiner | |
schlagenden!“, betont Pannbacker – und wurde von 1919 bis 2019 von einer | |
Freikirche genutzt. Die Fassadeninschrift „Jesus Christus gibt ewiges | |
Leben“ erinnert noch daran, sie musste entfernt werden, bevor die jüdische | |
Gemeinde einziehen würde. Im Garten ist Platz für ein Ritualbad zur | |
religiösen Reinigung – bisher müssen Mitglieder der jüdischen Gemeinde nach | |
Bad Segeberg reisen, wo sich die zurzeit einzige Mikwe in | |
Schleswig-Holstein befindet. „Aber das ist die mittelfristige Planung, wenn | |
wir aus dem gröbsten heraus sind“, sagt Vorstandsmitglied Pannbacker. | |
Mittelfristig könnte sogar ein eigener Rabbiner die Gemeinde betreuen: Der | |
Landesverband wird im Dezember entscheiden, ob eine Stelle geschaffen | |
werden kann. Ein Kandidat stünde mit einem Studenten, der während seiner | |
Ausbildung zum Rabbiner bereits in Kiel tätig ist, wohl zur Verfügung. | |
Und Pannbacker rechnet mit weiteren Eintritten, wenn die neue Synagoge | |
bezogen ist: „Bisher haben sich in jedem November und Dezember Leute | |
gemeldet.“ | |
Spenden: Förde Sparkasse, IBAN DE782105 0170 1002 7459 56; Stichwort | |
„Synagoge für Kiel“ | |
9 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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