# taz.de -- Deutsche Tennisüberraschung: Qualifikant mit großer Qualität | |
> Jan-Lennard Struff überrascht beim Tennisturnier in Madrid und verlangt | |
> auch Finalsieger Alcaraz alles ab – und geht mit erhobenem Kopf weg. | |
Bild: Ein Kämpfer: Struff gibt keinen Ball verloren | |
Als Jan-Lennard Struff am 24. April in Madrid auf Nebenplatz 3 gegen den | |
Italiener Luca Nardi antrat, interessierten sich nur ein paar wenige | |
Zaungäste für die Partie der ersten Qualifikationsrunde. Struff (33) konnte | |
in seinen kühnsten Träumen nicht ahnen, was ihm in den beiden folgenden | |
Wochen bevorstehen würde. | |
Nachdem er sein Qualifikationsspiel gegen den Russen Karatsev verlor, saß | |
er schon auf gepackten Koffern. Dann aber rückte er durch den Ausfall des | |
Italieners Fabio Fognini plötzlich doch ins Hauptfeld nach und gewann als | |
sogenannter Lucky Loser sage und schreibe fünf seiner sechs nächsten | |
Partien über drei Sätze. Und schließlich zeigte er im bisher größten Match | |
seines Lebens, dem Finale gegen den neuen Superstar des Tennis, [1][den | |
20-jährigen Spanier Carlos Alcaraz], am Sonntag eine herausragende Leistung | |
– bevor er in drei Sätzen 4:6, 6:3, 3:6 verlor. | |
„Es war ein unfassbares, unglaubliches und verrücktes Abenteuer. Ich bin | |
stolz und glücklich, was ich hier geleistet habe“, sagte Struff, als sich | |
der Finaltag in Spaniens Hauptstadt so langsam dem Ende zuneigte, „ich gehe | |
mit erhobenem Kopf hier weg.“ | |
Nichts weniger als den besten Turnierauftritt eines deutschen Profis seit | |
[2][Alexander Zverevs] schließlich von dramatischem Verletzungspech | |
überschattetem Roland-Garros-Gastspiel 2022 hatte die Tenniswelt bei diesem | |
Masters-Spektakel erlebt. Und mit Jan-Lennard Struff hatte sich ein oft | |
unterschätzter, zuweilen sogar etwas belächelter Veteran der Branche ins | |
Rampenlicht gespielt, der eindrucksvoll zeigte, wohin lebenslanges Lernen | |
und Arbeiten führen kann – zu außergewöhnlichen Erfolgen auch im | |
vorgerückten Alter. | |
## Aufstieg in der Tennisrangliste | |
„Es freut mich wahnsinnig für Struffi. Denn er ist einer, der hart an | |
seinem Spiel feilt. Der immer besser werden will, Tag für Tag“, befand | |
Bundestrainer Michael Kohlmann. Struffs Auftritte in Madrid machten ihn, | |
den Fast-2-Meter-Riesen aus dem beschaulichen Warstein, zum zweiten | |
deutschen Weltklassespieler neben Alexander Zverev. In der aktuellen | |
Weltrangliste trennen den Hamburger und den Westfalen gerade nur noch | |
schlappe sechs Plätze – Zverev rangiert auf Position 22, Struff auf | |
Position 28. | |
Wie sehr Struff auf der Höhe seiner Tenniskunst auch dem Establishment | |
Angst einjagen kann, bewies das Titelduell von Madrid. Manche hatten | |
geglaubt, dass der hünenhafte Deutsche mit dem kahlgeschorenen Haupt nur | |
leichte Beute für Alcaraz sein würde. Doch Struff war nicht gekommen, um | |
lediglich gut auszusehen. Er war da, um zu siegen. Und er wirkte trotz all | |
seiner strapaziösen Matches zuvor nicht im Geringsten müde, sondern höchst | |
unternehmungslustig. | |
„Es hat einfach Spaß gemacht, da draußen auf dem Court zu sein“, sagte | |
Struff, der mit der Größe der Herausforderung wuchs und auch den | |
Parteigängern von Alcaraz immer wieder Szenenapplaus abrang. Struff könne | |
„mächtig stolz“ sein auf das Finalmatch, aber auch auf den gesamten | |
Auftritt in Madrid, so Coach Marvin Netuschil: „Da kann man nur den Hut | |
ziehen.“ | |
## Er landete in den Geschichtsbüchern | |
Als sich Struff bei den offiziellen Siegeszeremonien noch dicke Komplimente | |
von Stargast Björn Borg abholen durfte, war irgendwie auch die Krönung | |
eines atemraubenden Comebacks vollendet – die Rückkehr Struffs in Regionen | |
seines Sports, die noch zu Jahresbeginn utopisch schienen. Doch der | |
33-Jährige, in der Saison 2022 arg von Verletzungspech und Krankheiten | |
gebeutelt, zeigte Nehmer- und Kämpferqualitäten wie nie zuvor, rackerte | |
sich als zwischenzeitliche Nummer 167 in der Tennis-Hitparade über | |
Challenger-Auftritte vor, malochte sich über Qualifikationen in die | |
Tour-Hauptfelder. | |
„Geschenkt bekommen habe ich gar nichts“, sagte Struff in Madrid. Als er | |
dort ausnahmsweise einmal vom Glück geküsst war, mit dem Einzug ins | |
Masters-Turnier als „Lucky Loser“, nutzte er die Chance so vortrefflich wie | |
nie. Und mit seiner Marathonanstrengung, mit sechs Dreisatzmatches sogar | |
hintereinander, landete er augenblicklich auch in den Geschichtsbüchern – | |
so etwas war bisher noch nie in der professionellen Tennisära vorgekommen. | |
Struff, besser und kompletter als je zuvor, nahm nun zunächst die | |
Grand-Slam-Bewährungsprobe in Paris ins Visier. Dort, [3][im Stade Roland | |
Garros], wird er ab Monatsende nun gesetzt sein. Hinzu kommt das | |
Selbstbewusstsein, das er gewonnen hat. „Ich spüre Rückenwind“, sagt | |
Struff, „ich will so entschlossen weitermachen jetzt.“ | |
8 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jörg Allmeroth | |
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