# taz.de -- Vorgezogene Wahlen in Griechenland: Mitsotakis hat sich entschieden | |
> Griechenlands konservativer Premierminister kündigt vorgezogene Neuwahlen | |
> im Mai an. Ursprünglich waren sie für Juli geplant. | |
Bild: Der ursprüngliche Wahltermin war wegen des Zugunglücks im Tempital vers… | |
Athen taz | In einer am späten Dienstagabend im privaten Athener | |
Fernsehsender Alpha TV ausgestrahlten Sendung erklärte der griechische | |
konservative Premierminister Kyriakos Mitsotakis, dass die Neuwahlen | |
bereits im Mai stattfinden würden. “Ich kann mit Gewissheit sagen, dass die | |
Wahlen im Mai stattfinden werden. Sie werden nicht im Juli stattfinden. Das | |
ist undenkbar, weil sehr wahrscheinlich ein zweiter Wahlgang erforderlich | |
sein könnte. Und wir werden keine (zweite) Wahlen im August haben“, sagte | |
er. | |
Den genauen Wahltermin im Mai offenbarte Mitsotakis jedoch immer noch | |
nicht. Die Wahlsonntage, die dafür infrage kämen, wären der 7., 14., 21. | |
oder 28. Mai. Hintergrund: In Griechenland hat der amtierende | |
Premierminister das alleinige Recht, die vorzeitige Auflösung des | |
Parlaments vorzuschlagen und Neuwahlen auszurufen. Dies hat mindestens 21 | |
Tage vor dem von ihm bestimmten Wahltermin zu geschehen. | |
Mit seiner via TV abgegebenen Erklärung reagierte Mitsotakis auf die nach | |
der jüngsten verheerenden [1][Zug-Tragödie Ende Februar im | |
zentralgriechischen Tempital] aufgekommenen Spekulationen, wonach er die | |
Wahlen doch turnusgemäß – nach dem Ablauf seiner vierjährigen Amtszeit – | |
erst im Juli dieses Jahres abhalten lassen wollte. Bei einem Frontalcrash | |
waren am späten Abend des 28. Februar auf der Strecke von Athen nach | |
Thessaloniki der zwölf Minuten auf dem falschen Gleis fahrende Intercity 62 | |
mit einem entgegenkommenden Güterzug zusammengeprallt. Dabei starben 57 | |
Menschen. | |
Vor der vielfach tödlichen Zug-Tragödie in Tempi hatte Mitsotakis den 9. | |
April als vorgezogenen Wahltermin geplant gehabt, wie in Athen zuvor | |
kolportiert wurde. Doch die Tempi-Tragödie habe übereinstimmenden | |
Informationen zufolge Mitsotakis' ursprünglichen Plan auf einen Schlag über | |
den Haufen geworden. | |
Mitsotakis: „Zeitlose Verantwortung“ | |
Einmal mehr sprach Premier Mitsotakis nun in der Fernsehsendung mit Blick | |
auf die Zugkatastrophe von einer „zeitlosen Verantwortung“ und stellte | |
ferner dazu fest, die Tragödie in Tempi „war der Moment, in dem das Land | |
mit zeitlosen Sünden konfrontiert“ worden sei. Er fügte hinzu: “Das ist | |
eine Tragödie, die niemals hätte geschehen dürfen. Es ist unvorstellbar, | |
dass in Griechenland im Jahr 2023 zwei Züge auf derselben Strecke in | |
entgegengesetzte Richtungen fahren können, ohne dass es jemand bemerkt. Ich | |
glaube, dass alle Bürgerinnen und Bürger in ihrer Wut und ihrem Zorn | |
erkannt haben, dass dieser Unfall der Höhepunkt einer jahrzehntelangen | |
Krankheit ist, die wir nun aber drastisch angehen müssen.“ | |
[2][Die Regierung Mitsotakis ist seit dem 8. Juli 2019 im Amt. Die | |
konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND)] verfügt in der 300 Sitze | |
umfassenden „Boule der Hellenen“ mit darin sechs vertretenen Parteien über | |
eine absolute Mehrheit von 156 Abgeordneten. In sechs Umfragen, die | |
allesamt nach der Tempi-Tragödie durchgeführt worden sind, vereint die ND | |
26,3 bis 28,5 Prozent der Stimmen auf sich. | |
Das ist zwar ein deutlich niedrigerer Stimmenanteil als bei ihrem letzten | |
Wahltriumph am 7. Juli 2019, als sie bei einer Wahlbeteiligung von 57,78 | |
Prozent immerhin 39,85 Prozent der Stimmen erhielt. Die ND liegt damit aber | |
weiter vor dem „Bündnis der Radikalen Linken“ (Syriza) [3][unter dem | |
Athener Oppositionschef und Ex-Premier Alexis Tsipras, das laut der | |
Umfragen auf 20,5 bis 26 Prozent der Stimmen kommt]. | |
Mitsotakis' wiederholt erklärtes Ziel, weiter allein in Athen zu regieren, | |
ist nach der Tempi-Tragödie indessen in weite Ferne gerückt, zumal bei den | |
nächsten Parlamentswahlen in Griechenland erstmals ein Verhältniswahlrecht | |
nach deutschem Vorbild gilt. Nur wenn danach keine Regierung in Athen | |
gebildet werden kann, haben erneut Parlamentswahlen zu Füßen der Akropolis | |
stattzufinden. Diese finden dann wieder nach einem verstärkten | |
Verhältniswahlrecht mit einem Mandate-Bonus für den Erstplatzierten statt. | |
Ein Wahltermin Anfang Juli gilt dafür als wahrscheinlich, wie bereits heute | |
in Athen kolportiert wird. | |
Gemütslage der Griechen schlecht | |
Fest steht: Mitsotakis hat mit der gegenwärtig aufgeladenen, gar explosiven | |
Stimmung der Griechen – die maßgeblich gegen seine Regierung gerichtet ist | |
– zu kämpfen. Wie eine am Montag veröffentlichte Umfrage des Athener | |
Meinungsforschungsinstituts Alco ergab, erklärten auf die Frage nach ihrem | |
augenblicklich „dominierenden Gefühl“ mit einem Stimmenanteil von 33 | |
Prozent die meisten der Befragten: „Wut“. | |
Es folgen die Gefühle „Enttäuschung“ (32 Prozent) sowie „Unsicherheit�… | |
Prozent). „Hoffnung“ hegen demnach nur 9 Prozent der Befragten, „sicher“ | |
fühlen sich lediglich 2 Prozent der Griechinnen und Griechen. Das deckt | |
sich weitgehend mit einer Umfrage des [4][Athener | |
Meinungsforschungsinstituts Public Issue]. Demnach herrschen „Wut“ und gar | |
„Empörung“ bei 40 Prozent der Befragten vor. Das war vor den letzten Wahlen | |
im Juli 2019 noch ganz anders. Damals gaben nur 17 Prozent der von Public | |
Issue Befragten Griechinnen und Griechen an, wütend oder empört zu sein. | |
Die Frage, ob der damalige Transportminister Kostas Karamanlis, der am Tag | |
nach der Zugkatastrophe in Tempi von seinem Posten zurücktrat, sein | |
Parlamentsmandat in Athen aber weiter behält, die Verantwortung für die | |
Tragödie trage, bejahten 90 Prozent der Befragten, wie die Alco-Umfrage | |
zudem ergab. | |
Pikanterweise lässt sich Karamanlis, wie Premier Mitsotakis Spross einer | |
alten Polit-Dynastie in Griechenland, davon nicht beeindrucken. Er beharrt | |
darauf, bei den nächsten Parlamentswahlen erneut anzutreten. Die Wähler in | |
seinem Wahlkreis in der nordgriechischen Stadt Serres, woher der | |
Karamanlis-Clan stammt, sollen über seine Wiederwahl entscheiden, erklärt | |
er dazu. Laut einer Umfrage des Athener Meinungsforschungsinstituts GPO | |
halten 64,6 Prozent aller Befragten aus ganz Griechenland die Entscheidung | |
von Karamanlis jedoch für falsch. | |
Karamanlis müsste sich allerdings nur den Wählern in Serres stellen, um | |
wieder ins Athener Parlament einzuziehen. In Griechenland, in dem der | |
[5][chronische Klientelismus, die latente Vetternwirtschaft, die | |
grassierende Korruption] – Hellas' echte Übel –, in der Ära Mitsotakis wie | |
eh und je blühen, könnte sowohl Karamanlis' Plan aufgehen wie auch die | |
Wiederwahl der Regierung Mitsotakis spätestens im zweiten Anlauf eintreten | |
– der Tragödie in Tempi mit ihren 57 Toten zum Trotz. | |
22 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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