| # taz.de -- Mit wetterndem Ton für Friedensverhandlungen | |
| > Mehr Diplomatie statt mehr Waffen? In Berlin treibt das viele Menschen | |
| > auf die Straße. Zum Beispiel bei Wagenknechts „Aufstand für Frieden“ – | |
| > der auch das rechte Lager anlockt | |
| Aus Berlin Pascal Beucker, Konrad Litschko, Gareth Joswig undDariusch | |
| Rimschkus | |
| Nach knapp zwei Stunden ist er vorbei, der „Aufstand für Frieden“. Zum | |
| Abschluss schwärmt Alice Schwarzer: „Das, was wir heute hier erleben, ist | |
| der Beginn einer Bürgerbewegung, die bitter nötig ist.“ Und Sahra | |
| Wagenknecht sekundiert: „Mir zumindest hat es das Herz gewärmt, dass ihr | |
| alle hier wart.“ Dann dröhnt John Lennons „Imagine“ über den Platz. So,… | |
| wäre es eine ganz normale Friedenskundgebung gewesen, an diesem Samstag vor | |
| dem Brandenburger Tor. | |
| Neben Schwarzer und Wagenknecht stehen unter anderem Ex-Bundeswehrgeneral | |
| Erich Vad, der Ex-SPD- und Linken-Chef Oskar Lafontaine sowie die | |
| Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen auf der Bühne – und strahlen. Aus gutem | |
| Grund: Trotz Kälte und Schneeregen sind mehr gekommen als die 10.000, die | |
| die Veranstalter:innen angemeldet hatten. Von 50.000 Menschen spricht | |
| Wagenknecht. Tatsächlich dürften es wohl etwas über 20.000 Demonstrierende | |
| gewesen sein. | |
| Inmitten der Kundgebung stehen drei ältere Männer aus Berlin mit | |
| IG-Metall-Fahnen. „Es braucht schnellstmögliche, bedingungslose | |
| Verhandlungen“, sagt einer. „Und die Waffentransporte müssen stoppen.“ D… | |
| Gewerkschaften würden zu wenig gegen den Krieg und die Waffenlieferungen | |
| tun, ist das Trio überzeugt. Dass die angegriffene Ukraine aber um Waffen | |
| gebeten habe, um die russischen Angriffe abzuwehren? Das schaffe doch | |
| keinen Frieden, schimpft der Gewerkschafter und spricht über den | |
| ukrainischen Nationalismus. Wagenknechts und Schwarzers fehlende Abgrenzung | |
| nach rechts? Die Männer winken ab. „Wir dürfen doch den Rechten nicht die | |
| Straße überlassen.“ | |
| Dabei sind am Samstag einige von diesen bereits vor Ort. So wie der Mann | |
| mit grünem „Frieden mit Russland“-Banner. Dass es einer der rechtsextremen | |
| „Freien Sachsen“ ist, hat er kaschiert – das Logo ist abgeschnitten. | |
| „Wagenknecht ist wunderbar“, sagt der Mann im roten Anorak. Würde sie | |
| wieder für die Linke stehen, dann würde er ihre Partei wieder wählen, sagt | |
| er. | |
| Dann schimpft er: „Die Krieg hetzerei muss aufhören.“ Seit Jahren sei | |
| Russland doch bedrängt worden. Die russischen Verbrechen wischt der Mann | |
| weg. Auch er fordert Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Warum könne die | |
| Ukraine denn nicht wie eine neutrale Schweiz sein? | |
| Eine jüngere Frau, ebenfalls aus Sachsen, verfolgt das Gespräch. „Die Sache | |
| ist nicht so einfach“, räumt die Sozialarbeiterin und zweifache Mutter aus | |
| Zittau ein. „Ich bin auch zwiegespalten. Aber ich glaube, es wird momentan | |
| nicht genug für Diplomatie getan.“ Sie selbst habe eine Ukrainerin zu Hause | |
| aufgenommen, die um ihren Sohn bange, der im Krieg kämpfe. „Dieser Konflikt | |
| kann nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen werde.“ Bei Friedensprotesten sei | |
| sie bisher nicht gewesen, Wagenknecht aber gefalle ihr schon lange, deshalb | |
| sei sie eigens angereist. | |
| Die wettert unterdessen von der Bühne gegen die grüne Außenministerin | |
| Annalena Baerbock, die wie ein Elefant durch einen Porzellanladen trampele. | |
| „Von all den grünen Panzernarren fühlen wir uns nicht vertreten“, ruft | |
| Wagenknecht in scharfem Ton unter dem Applaus der Menge und „Baerbock | |
| raus“-Rufen. „Die Kampagne gegen uns gipfelte darin, dass man versucht hat, | |
| uns in die Nähe der extremen Rechten zu rücken“, beschwert sich | |
| Wagenknecht. Daran sehe man, „wie krank die Diskussion in Deutschland | |
| inzwischen ist“. Selbstverständlich hätten Neonazis und Reichsbürger „auf | |
| unserer Friedenskundgebung nichts zu suchen“. Das verstehe sich doch von | |
| selbst. | |
| Nun ja, während Wagenknecht spricht, stehen im Publikum einige, die das | |
| offenkundig anders sehen. Der verurteilte Holocaust-Leugner Nikolai Nerling | |
| ist dabei, die AfD mit mehreren Landtagsabgeordneten. Gekommen ist auch | |
| Reichsbürger und Ex-NPD-Mann Rüdiger Hoffmann. Neben einem „Wagenknecht, | |
| die beste Kanzlerin“-Schild raucht Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer | |
| grinsend eine Zigarette. | |
| Es ist eine merkwürdige Mischung, die sich an diesem Spätwintertag in | |
| Berlin versammelt hat. Viele Slogans und Fahnen stammen aus der | |
| Friedensbewegung der 1980er Jahre. Versammelt haben sich klassische | |
| Friedensbewegte und zahlreiche Mitglieder der Linkspartei, aber – | |
| unübersehbar – auch sehr viele aus der Coronaleugner:innen- und der | |
| sogenannten „Querdenken“-Szene, die für sich inzwischen den Krieg zum neuen | |
| Aktionsfeld auserkoren haben. Es scheint, als bilde die | |
| verschwörungsideologische Bewegung den Kitt zwischen Resten der | |
| traditionellen Friedensbewegung, einer antiimperialistischen Linken auf | |
| Abwegen und Rechten. | |
| Bereits am Tag vor der Wagenknecht-Demo gab es an gleicher Stelle eine | |
| weitere Aktion. Über 10.000 Menschen hatten sich versammelt, um am | |
| Jahrestag des Kriegsbeginns der Menschen in der Ukraine zu gedenken. Auch | |
| der ukrainische Präsident Selenski meldete sich per Videobotschaft. | |
| Unzählige Ukraine-Flaggen wurden geschwenkt, auch Europa- und Nato-Fahnen | |
| waren zu sehen. | |
| Zwar stand bei hier die Solidarität mit der Ukraine im Vordergrund, doch | |
| auch hier waren mögliche Friedensverhandlungen Thema. So wie bei Gabriele, | |
| die an diesem Abend mit protestierte. Sie sei sich zunächst nicht sicher | |
| gewesen, ob sie bei dieser Demo mitlaufen solle oder tags drauf bei | |
| Wagenknecht. Sie finde es schade, dass sich Menschen mit gleichen Zielen | |
| aufteilen: „Wir alle wollen Verhandlungen, nicht nur diejenigen, die hier | |
| sind.“ Auch sie tue sich mit Waffenlieferungen schwer. Zugleich drückt sie | |
| ihr Entsetzen über den russischen Einmarsch aus: „Wofür haben wir denn | |
| Grenzen?“ Für sie ist klar: „Wir sind alle Ukrainer.“ | |
| 27 Feb 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
| Gareth Joswig | |
| Dariusch Rimkus | |
| Konrad Litschko | |
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