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# taz.de -- Prince Harry in Afghanistan: Schachfiguren und Kollateralschäden
> Prince Harrys Enhüllungen wurden viel belächelt. Doch wie er über seinen
> Einsatz in Afghanistan spricht, sollte nicht weggeschmunzelt werden.
Bild: Prince Harry im Cockpit eines Apache Hubschraubers 2013 in Afghanistan
Einige pikante Details waren in den vergangenen Tagen in aller Munde:
Brüder, die sich raufen und schubsen; die eigene Entjungferung mit 17
Jahren hinter einem Pub auf einem Feld mit einer älteren Frau; ein
eingefrorener königlicher Schwanz während einer Reise am Nordpol. Zwar
nehmen diese kleinen, etwas peinlichen Szenen nur wenig Platz ein in Prince
Harrys Autobiografie „Reserve“ (im Original: „Spare“), aber royaler
Tratsch. Wer hat ihn nicht gern?
Doch eines der Details in der aktuellen Revanchekampagne von Prince Harry
gegen seine Familie und einen Großteil der britischen Medienlandschaft ist
politisch hochbrisant. Es habe, so Harry, eine Zeit gegeben, in der er all
die auf seinen Schultern und in seiner Seele lastenden Probleme (der
tragische Tod seiner Mutter Diana, das Leben im Schatten seines Bruders und
die [1][unfaire Behandlung seiner Frau Meghan Markle]) ablegen konnte: sein
freiwilliger Militärdienst mit Einsätzen in Afghanistan in den Jahren 2007
und 2008 sowie 2012 und 2013. Diese Zeit sei für ihn persönliche Rettung
und Refugium gewesen.
Dass er während seiner Einsätze in Afghanistan 25 mutmaßliche
Taliban-Kämpfer und als Schütze und Copilot eines Kampfjets Menschen im
Krieg getötet haben soll, ist bekannt. In seinem [2][neuen Buch nennt er
die Getöteten „Schachfiguren, die vom Brett genommen wurden“.] Es handle
sich um „schlechte Menschen, die eliminiert wurden, bevor sie gute Menschen
töten konnten“. In seiner militärischen Ausbildung sei er nun mal darauf
trainiert worden, diese Schachfiguren auf keinen Fall als Menschen zu
betrachten. „Und sie haben mich gut trainiert“, schreibt Harry. Er fügt
hinzu: „Meine Zahl: fünfundzwanzig. Das war keine Zahl, die mir irgendeine
Befriedigung bereitete. Doch ebenso wenig war es eine Zahl, derer ich mich
schämte.“
Britische Militärexperten bezeichneten die Darstellung als gefährlich und
falsch. Niemand werde bei der Königlichen Armee darauf trainiert, Menschen
nicht als Menschen zu betrachten, hieß es von ehemaligen britischen
Generälen. Teile der britischen Presse behaupteten, dass Prince Harry mit
der Zahl 25 prahle, sich als Held vermarkten wolle. Selbst Mitglieder der
Taliban machten eine kleine Pause von ihrem Regime der Unterdrückung und
tippten ihre Empörung über die sozialen Medien in die Welt.
## Harry in der Late-Night-Show: „Cheers“
Die nächste Runde in der PR-Kampagne des verletzten Prinzen folgte auf dem
Fuß. In der [3][US-amerikanischen Late-Night-Show des Comedian Stephen
Colbert erläuterte Harry] seine Erfahrungen im Afghanistan-Krieg: Es sei
„schmerzhaft und herausfordernd“ gewesen, zu hören, er habe mit der Zahl 25
geprahlt. Er habe sich dazu entschieden, dieses Lebenskapitel in seinem
Buch aufzugreifen, weil er nach 20 Jahren Arbeit mit Veteran*innen aus
aller Welt zu der Überzeugung gelangt sei, man müsse offen und ehrlich mit
den Geschehnissen in Afghanistan umgehen, damit sich auch andere trauten,
schambefreit ihre Erfahrungen im Krieg zu teilen, und um zu verhindern,
dass sich Veteran*innen das Leben nehme.
Das Publikum im Saal applaudierte lang, Stephen Colbert und sein Gast
stießen mit ihren Gläsern an, nippten an Wasser mit frischer Zitrone,
Prince Harry flüstert noch ein „Cheers“ ins Mikrofon, während Colbert sein
Buch – nach wenigen Stunden im Handel schon ein weltweiter Bestseller –
erneut in die Kamera hält.
Aus der royalen Vendetta, der PR-Maschinerie gegen die eigene Familie, war
plötzlich ein Panorama des westlichen Engagements in Afghanistan geworden.
Dabei verlor Prince Harry keine Silbe über die Menschen in Afghanistan, das
beim Einmarsch des Westens im Jahr 2001 befreit und demokratisiert werden
sollte und 20 Jahre später von Washington, Brüssel und Berlin im Stich
gelassen wurde.
Prince Harry und seine Kritiker*innen wissen, dass es bei den
Operationen gegen die Taliban unzählige sogenannte Kollateralschäden gab.
Dieser Begriff illustriert gut, welche Prioritäten in Afghanistan von den
Regierungen der USA, Großbritanniens oder Deutschlands gesetzt wurden. Bei
mehrheitlich Drohnen- und Kampfjetangriffen sind in 20 Jahren
Afghanistaneinsatz laut [4][einer Analyse der Brown University mindestens]
46.000 Zivilist*innen getötet worden. Weitere Zehntausende Menschen
wurden verletzt, viele von ihnen für ein Leben lang gezeichnet. Millionen
Afghan*innen befinden sich nun erneut unter der unmenschlichen,
klerikalfaschistischen, talibanischen Herrschaft jener, die Prince Harry
als Schachfiguren bezeichnet.
## Afghan*innen als Schachfiguren
Nach der westlichen Übergabe Afghanistans an die Taliban im August 2021
veröffentlichte Harry damals noch unter seinem offiziellen Titel „Duke of
Sussex“ und im Namen eines Vereins, den er für die Unterstützung von
Veteran*innen gegründet hat: „Wir ermutigen alle (…) in der
militärischen Gemeinschaft, sich gegenseitig zu stärken und zu
unterstützen.“ Auch hier kein Wort zu den Menschen. Als wären für Prince
Harry die Afghan*innen unbedeutende Schachfiguren oder
„Kollateralschäden“.
Es besteht die Möglichkeit, dass die 25 von Harry getöteten mutmaßlichen
Taliban-Kämpfer gar keine Taliban-Kämpfer gewesen sind. Auch weil Prince
Harry die bisher einzige Quelle für diese Information ist. Hoffentlich wird
sich die britische Presse darum kümmern, diese Episode aus dem Leben des
Prinzen nachzurecherchieren. Es wäre mal eine relevante historische
Aufarbeitung des Wirkens der Royal Family in der Welt.
13 Jan 2023
## LINKS
[1] /Rassismus-beim-britischen-Koenigshaus/!5752758
[2] /Prinz-Harry-ueber-Tod-von-Taliban/!5904740
[3] https://www.youtube.com/watch?v=E6l0ObY2XVM
[4] https://watson.brown.edu/costsofwar/Afghanistanbeforeandafter20yearsofwar
## AUTOREN
Mohamed Amjahid
## TAGS
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