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# taz.de -- Polcanova dominiert Tischtennis-EM: Vom Keller bis nach ganz oben
> Der Weg von Sofia Polcanova zum EM-Titel ist außergewöhnlich. Vor ihrem
> Umzug nach Österreich trainierte sie unter schwierigsten Umständen.
Bild: Zweifache Europameisterin: Nach ihrem Doppelerfolg ist Polcanova auch im …
Dass Sofia Polcanova am Sonntagnachmittag das letzte Spiel der
[1][Tischtennis-Europameisterschaften] bestritt, war nur folgerichtig.
Keine der 260 Starterinnen und Starter spielte in den elf Wettkampftagen im
Tischtennis häufiger, niemand spielte erfolgreicher. Die Österreicherin war
das Gesicht der Wettbewerbe, die im Rahmen der European Games in der
Rudi-Sedlmayer-Halle ausgetragen wurden. Nach Bronze im Mixed und Gold im
Doppel folgte im Schlussakt die Krönung: der Sieg im Einzel. Ihre deutsche
Finalgegnerin Nina Mittelham musste im Endspiel mit Schulterproblemen
aufgeben. „Ich bin zweifache Europameisterin. Es wird dauern, bis das
einsinken wird“, sagte Polcanova nach einem Endspiel, bei dem sie nach
einer 2:0-Satzführung plötzlich als Siegerin gekürt wurde.
Polcanova ist eine Ausnahmeerscheinung im Welttischtennis. Dazu machen sie
allerdings weniger Erfolge wie nun in München – sondern ihr Werdegang. Die
groß gewachsene Linkshänderin wurde 1994 [2][in der Republik Moldau]
geboren. In der Hauptstadt Chișinău nahm sie die ersten Schritte ihrer
Karriere unter Bedingungen, wie sie mit den führenden europäischen
Leistungszentren in Düsseldorf, Paris oder Halmstad, in denen viele ihrer
heutigen Gegnerinnen ausgebildet wurden, nicht im Entferntesten zu
vergleichen sind. „Ich habe in einem Keller in einer Schule trainiert“,
erzählt Polcanova.
Es habe dort weder Wasser noch eine funktionierende Heizung gegeben, nicht
mal eine Umkleide. Auch sonst erhielt Polcanova keine Förderung, trainiert
wurde sie von ihrem Vater. Um ihre Profikarriere anzustoßen, verließ sie
ihre Heimat. Sie zog im Alter von 14 Jahren nach Linz – ohne Familie. „Ich
will mich mit niemandem vergleichen. Jeder Sportler geht seinen eigenen
Weg, hat andere Hindernisse“, sagte Polcanova nach ihrem Triumph von
München. „Aber natürlich habe ich einen schwierigen Weg gehabt, um heute
hier zu stehen.“
In Österreichs Tischtennis-Hochburg an der Donau wurde die mittlerweile
27-Jährige schnell eine der besten Spielerinnen des Landes, nahm 2010 die
Staatsbürgerschaft an und spielte sich im österreichischen Nationaltrikot
in Europas Spitze. Zwischenzeitlich war Polcanova die beste Nicht-Asiatin
in der Weltrangliste, ehe Verletzungen an Hüfte und Knie ihrem Aufstieg
eine Delle versetzten. Erst seit vergangenem Jahr ist sie körperlich wieder
voll belastbar, was sie in München mit einem gigantischen Pensum unter
Beweis stellte. Das Endspiel im Einzel war ihr 15. Spiel innerhalb von neun
Tagen.
## Sieben-Satz-Spektakel
Nachdem sie im Mixed zum Start der Wettbewerbe noch im Halbfinale
ausgeschieden war, holte sie vergangenen Donnerstag zunächst den Titel im
Doppel. Mit der quirligen Rumänin Bernadette Szöcs zählt sie zu den besten
Doppeln der Welt, in München verlor das ungleiche Duo keinen einzigen Satz.
Ihr erster großer internationaler Titel gab Polcanova spürbar Auftrieb für
die Einzelwettbewerbe.
[3][Zum Leidwesen der deutschen Frauen.] Am Samstag beendete Polcanova das
Turnier für eines der Gesichter der Munich-2022-Kampagne: In einem
Sieben-Satz-Krimi schaltete die Österreicherin im Halbfinale die Bayerin
Sabine Winter aus. Die Partie war das größte Spektakel der gesamten
Tischtennis-Wettbewerbe. Am Sonntag profitierte Polcanova von der Aufgabe
Mittelhams, die sich unmittelbar vor dem Endspiel am Schlagarm verletzt
hatte. „Ich wollte den EM-Titel holen, aber natürlich ich wollte ihn nicht
so holen“, sagte die starke Aufschlägerin mit der wuchtigen Vorhand.
Bei den Europameisterschaften war Polcanova nicht nur wegen ihrer Erfolge
eine gefragte Gesprächspartnerin. Mit ihrer Unterstützung wurde vor einem
Jahr die erste Tischtennishalle in Chișinău eröffnet. Als sie erfahren
habe, dass sich auch mehr als zehn Jahre, nachdem sie ihre Heimatstadt
verlassen hatte, noch immer nichts an den Möglichkeiten, Tischtennis zu
spielen, verändert hatte, habe sie den Entschluss gefasst, das zu ändern.
Heute spielen Kinder, Hobbyspieler und die Nationalmannschaften des Landes
in der „Polcanova-Halle“.
Die Namensgeberin hatte für die Renovierung unter anderem eine
Spendenkampagne angestoßen. „Mich haben hier in München unglaublich viele
Menschen auf mein Projekt angesprochen“, erzählt Polcanova. Sie nahm sich
Zeit für jedes Gespräch. „Ich freue mich immer, wenn ich davon erzählen
kann. Mein Weg war schwer. Ich will, dass es andere Menschen weniger schwer
haben“, sagt Polcanova. Umso erstaunlicher ist, dass der Weg Sofia
Polcanova in München dennoch auf Europas Tischtennis-Thron führte.
22 Aug 2022
## LINKS
[1] /Tischtennis-EM-in-Muenchen/!5871874
[2] /Russische-Kriegspropaganda-in-Moldau/!5858763
[3] /Archiv-Suche/!5873227&s=tischtennis+frauen&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Jan Lueke
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