| # taz.de -- Bremen, oder vom Glück des Scheiterns | |
| > „Mobile Albania“ zeigt ein seltsames Bremer Roadmovie: Ideal des Drehs | |
| > war ein hierarchiefreies Filmemachen. Gesorgt hat er für Begegnungen, die | |
| > auch mal schiefgehen | |
| Bild: „Ja, was filmen die denn da?“, ist die erwünschte Reaktion des Publi… | |
| Von Wilfried Hippen | |
| „Das bin ja ich in dem Film, Digga“ ruft ein Jugendlicher im | |
| Jugendfreizeitheim von Tenever, als er Filmaufnahmen von sich und seinen | |
| Freunden sieht, die dort vor ein paar Wochen vom Filmteam des | |
| [1][Performance-Kollektivs „Mobile Albania“] gedreht wurden. Und um solche | |
| Dopplungseffekte geht es den Künstler*innen, wenn sie in dieser Woche | |
| sogenannte Sneak Previews abhalten und dafür einige von den Orten, an denen | |
| sie gedreht haben, noch einmal mit ihrem alten und klapprigen Bus besuchen. | |
| „Die Bilder zurück zu den Orten bringen“, sagen sie dazu. In Tenever, einem | |
| der durch Betonburgen geprägten sozial benachteiligten Stadtteile am | |
| östlichen Rande Bremens, lief das am Montag ganz gut: Für die Vorführung | |
| des etwa 15 Minuten langen Filmausschnitts versammelte sich etwa ein | |
| Dutzend Kinder auf dem Parkplatz vor den Hochhäusern, und auch wenn die | |
| mehr an dem kostenlos verteilten Popcorn interessiert waren, war es eine | |
| laute, etwas chaotische Vorstellung – also genau das, was sich die | |
| Film/Theatermacher*innen wohl erhofft hatten. | |
| Abends klappte es dann nicht so gut: Bremen [2][hat anteilig mehr | |
| landwirtschaftliche Fläche als die anderen Stadtstaaten], und das Blockland | |
| ist der agrarisch bedeutendste Stadtteil. Aber der Bauer, in dessen | |
| Kuhstall Mobile Albania zuvor hatte drehen dürfen, war schon kurz vor 22 | |
| Uhr zu Bett gegangen und eingeschlafen, sodass er eher unwirsch auf den | |
| Überraschungsbesuch reagierte. | |
| Begegnungen, von denen dann einige auch misslingen, gehören zum Konzept von | |
| Mobile Albania, die hier die Grenzen zwischen Aufnahme und Vorführung, | |
| zwischen dem Filmen und dem Gefilmten mit viel Abenteuerlust überspringen. | |
| Vor ein paar Wochen waren die Frankfurter*innen, die seit fünf Jahren für | |
| regelmäßige [3][Gastspiele in der Bremer Schwankhalle anreisen], zu ihrer | |
| Reise aufgebrochen. | |
| Sie waren mit ihrem Bus durch Vegesack, Stuhr, Kirchhuchting, auch durch | |
| die Schwesterstadt Bremerhaven und durch Tenever und das Blockland | |
| gefahren. Statt das Offensichtliche zu dokumentieren, haben sie dort eher | |
| das Seltsame, Versteckte gesucht. Und auch gefunden. So trafen sie in Weyhe | |
| einen stolzen Hausbesitzer, der ihnen genau das Gartenbeet auf seinem | |
| Grundstück zeigte, durch das die Grenze zwischen Bremen und Niedersachsen | |
| verläuft. In Bremerhaven bekamen sie die Erlaubnis, in einem Schiff im | |
| Trockendock zu drehen, und die Performerin Julia Blawert durfte dort auf | |
| der Brücke so tun, als würde sie das Schiff steuern. | |
| Roland Siegwald spielt in Tenever einen „Jungdesigner“ mit schwerem | |
| Frankfurter Akzent, der in die Großwohnsiedlung gezogen ist, weil er sich | |
| dort „inspiriert fühlt“. Das ist nicht unbedingt überzeugend, aber witzig… | |
| genau wie Till Korfhages Auftritt im Blockländer Kuhstall, bei dem er in | |
| einer sehr lauten roten Jacke und Rock eine Kosmetikherstellerin spielt, | |
| die so tut, als wären die Kühe Arbeiterinnen in ihrer Fabrik, sodass er/sie | |
| sich dann Kuhmist ins Gesicht schmiert. | |
| Es gibt einige von diesen Performances des Kollektivs, und besonders | |
| wirkungsvoll sind jene, bei denen etwas schiefgeht. So wird etwa Anika | |
| Danielle Wagner, die eigentlich für die Kameraarbeit verantwortlich ist, | |
| während einer Breakdancevorstellung beim Tanken barsch von der Stimme einer | |
| Tankstellenbediensteten verscheucht, denn sie sei nicht nur auf dem | |
| „Betriebsgelände“, sondern auch noch auf der „Fahrbahn“. | |
| Bei der Szene sieht man den Tonmann mit seiner Mikroangel und auch sonst | |
| werden die Instrumente des Filmemachens nicht, wie sonst üblich, verborgen, | |
| sondern geradezu ausgestellt. Die Klappe am Anfang der Aufnahme wird gleich | |
| mehrere Male gezeigt, und auf der Tonspur hört man dann auch das bei | |
| Dreharbeiten übliche „Ruhe bitte, die zweite Klappe zählt!“ In diesem Sin… | |
| ist dies tatsächlich, wie ein Zwischentitel etwa in der Mitte des Films | |
| verspricht, „A True Story“. Man sieht das Filmteam beim Drehen, die | |
| Darsteller*innen beim Schminken und man hört das Gepolter eines starken | |
| Windes, wenn das Mikro übersteuert ist. | |
| Da mag vieles auch immer noch geschönt und kaschiert sein, denn aus etwa 30 | |
| Stunden langem Drehmaterial wurden die Schmuckstücke für den 105 Minuten | |
| langen Film ausgewählt. Aber man spürt den Ehrgeiz des Kollektivs, hier bei | |
| aller Spielfreude möglichst realistisch das zu zeigen, was das Team bei | |
| seiner Ausfahrt so erlebt hat. | |
| „Ja, was filmen die denn da?“, soll die Reaktion des Publikums sein. Das | |
| Ideal war, wie im Film selber verkündet, ein hierarchieloses Filmemachen: | |
| „Menschen, Bäume, Steine, Ameisen“ wollten sie gleichwertig abbilden – a… | |
| das ist ihnen bei ihrem allerersten Filmprojekt dann doch noch nicht | |
| gelungen. So wird etwa der fahrende Bus ständig von der Kamera gefeiert und | |
| bei einer Einkehr in der „letzten Bar vor New York“ in Bremerhaven singt | |
| eine Dame am Bartresen ein traurig-schönes Lied auf polnisch. Diese Sequenz | |
| ist so inszeniert und fotografiert, wie es irgendein(e) | |
| Tatortregisseur*in auch gemacht hätte. | |
| Aber da dieser Stilbruch so überraschend wirkt, entspricht auch er dem | |
| Konzept des Films, radikal mit offenen Formen zu arbeiten. Und so ist das | |
| Filmen, obwohl es ja eine Endfassung namens „Mobile Albania – Ein | |
| Roadmovie“ gibt, auch jetzt noch nicht beendet. | |
| Bei den Vorstellungen im Stadtraum hat Anika Danielle Wagner heftig | |
| mitgefilmt und auch bei dem performativen Filmscreening am [4][Freitag an | |
| der Schwankhalle] werden viele der Mitwirkenden (die alle nachdrücklich | |
| eingeladen wurden) dabei gefilmt werden, wie sie sich selber auf der | |
| Leinwand anschauen. Mobile Albania nennen es zwar eine Premiere, aber es | |
| ist wohl doch eher „a work in progress“. | |
| „Mobile Albania –Ein Roadmovie“, Sneak-Previews nur noch heute, 15. 6., am | |
| Fähranleger Motzen, 17 Uhr und am Vegesacker Hafen um 20 Uhr. Premiere ist | |
| am Freitag, 17. 6., 20 Uhr in der Schwankhalle Bremen. Eintritt ist frei | |
| 15 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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