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# taz.de -- Männer in Nöten
> Premieren am vergangenen Wochenende: „Falstaff“ von Giuseppe Verdi an der
> Komischen Oper, „Der Schatzgräber“ von Franz Schreker an der Deutschen
> Oper
Bild: „Der Schatzgräber“, Regie: Christof Loy, Premiere am 1. Mai 2022 Deu…
Von Niklaus Hablützel
Christof Loy, der Regisseur, gräbt gerne nach vergessenen Schätzen der
Musikgeschichte. Er freut sich an allem, Fragen des Geschmacks
interessieren ihn nicht. An der Deutschen Oper hat er vor vier Jahren „Das
Wunder der Heliane“ von Erich Wolfgang Korngold auf die Bühne gebracht.
Publikum und Presse waren überwiegend glücklich darüber.
Jetzt war Korngolds Zeitgenosse Franz Schreker dran. Seine Oper „Der
Schatzgräber“ ist 1920 in Frankfurt uraufgeführt worden und war sofort ein
riesiger Erfolg, wie fast alles, was Schreker in seinem kurzen Leben auf
die Bühnen brachte. Er starb 1934 im Alter von 56 Jahren. Wie bei Korngold
geht es im Text, den er sich selber schrieb, mal wieder um die Frau an
sich. Die Mutter, die Hure, die Heilige, und so weiter. Hier heißt sie
„Els“, ist Kellnerin in der Kneipe ihres Vaters, der sie mit allen
möglichen Junkern verheiraten will. Sie will keinen von ihnen haben und
schickt sie alle mit Einkaufszettel zum Hehler, der den geraubten Schmuck
der Königin verkauft. Denn sie hat Albi zur Hand, den Jungen, der die
Junker auf dem Rückweg umbringt und ihr den Einkauf nach Hause bringt, weil
auch er sie haben will. Grabschen darf er dafür schon, vögeln aber nicht,
wie bei Loy ungeniert zu sehen ist, der daran nichts zu deuten findet.
Also eher Hure als Heilige, aber dann kommt der Schatzgräber: Elis, der
Sänger mit der Zauberlaute, die alles findet, was aus Gold und Edelsteinen
besteht. Geld braucht er deshalb nicht, auch keinen Sex, den er sich
jederzeit kaufen könnte. Nur die reine Liebe fehlt ihm, und schon ist Els
die Heilige. Els und Elis, die Schankwirtin und der Bänkelsänger, sind das
Traumpaar in Schrekers Welt, die ihm offenbar selber mittelalterlich
vorkam.
Es ist die Welt des Mittelstandes, der Beamten, Kaufleute und akademischen
Berufe, die mit der Weimarer Republik nach dem verlorenen Krieg nicht
zurechtkamen. Auch Schreker nicht. Deshalb wollte er sein Werk, an dem er
zwei Jahre lang gearbeitet hatte, in den Kulissen eines romantisierten
Mittelalters spielen lassen. Die Schauplätze sollten Säle eines
Königshofes, eine Gastwirtschaft im Wald oder ein städtischer Platz
zwischen Giebelhäusern sein. Loy hat alles dorthin zurückgeholt, wo es
herkam, und das dann gleich radikal, nämlich in die Weimarer Republik von
heute. Sein Bühnenbildner Johannes Leiacker hat nur einen einzigen Raum
entworfen. Alle Figuren müssen sich in den passenden Kostümen von Barbara
Drosihn im Design der Berliner Start-up-Szene bewegen: schwarzer Marmor,
schwere Türen, Holztische, Eisenstühle.
Das macht Platz für das Stück. Die Auftragsmorde einer Schmuckfetischistin
werden aufgeklärt wie beim „Tatort“ im Ersten. Schon Schreker ließ die
Schuldigen nicht hängen. Sie werden nur abgeschoben, was bei Leiacker sehr
einfach ist. Der Narr des Königs, der die Kellnerin heiratet, hat plötzlich
keine Möbel mehr. Alles leer am Ende, aber die Eremitenklause, an die
Schreker dachte, ist derselbe Saal, in dem vorher die königliche Orgie der
Männer in sexuellen Nöten stattfand.
Marc Albrecht hatte für Loy schon Korngolds „Meliane“ mit geduldiger Liebe
dirigiert. Schreker konnte alles, Albrecht lässt nichts aus, klar und
deutlich, oft so laut, wie es in den Noten steht, ist zu hören, dass auch
die Musik zurückkehren möchte, nicht ins Mittelalter, aber wenigstens zu
Wagner. Gesungen wird ausnahmslos großartig. Daniel Johansson als Elis,
Elisabet Strid als Els und Michael Laurenz als Narr erhielten zu Recht
Sonderapplaus des begeisterten Premierenpublikums.
Schreker scheint die öffentliche Stimmung zu treffen. Seine Rückkehr nach
Berlin hatte an diesem Wochenende allerdings einen schweren Stand. Am
Samstag stellte Barrie Kosky an der Komischen Oper seine Inszenierung des
„Falstaff“ von [1][Giuseppe Verdi] vor. Sie hatte letztes Jahr auf dem
Festival von Aix-en-Provence für allgemeine Begeisterung gesorgt. Es ist
nicht fair, Verdis nie wieder erreichbaren Höhepunkt der Operngeschichte
mit Schreker zu vergleichen, aber die Spielpläne der Berliner Opern sind
nicht fair. Unmittelbar hintereinander gehört, war es eine Katastrophe für
Schreker. Zu erleben war der ganze Kosky, Dragqueen und nackter Arsch
inklusive, aber auch der Musiker, der in den Proben die Partitur in der
Hand hat, nicht das Textbuch. Was so sichtbar als pure Spielfreude und
Komik explodiert, steht immer bei Verdi. Nicht alles ist dort komisch, die
Oper endet mit einer Fuge von Bachs Gnaden und der melancholischen
Einsicht, dass wir alle betrogen sind.
Koskys Chorusline steht dafür einheitlich schwarz gekleidet am Bühnenrand.
Der Vorhang fällt, Applaus wie in Frankreich nach der Premiere. In Berlin
jedoch war am Samstag die Vorstellung noch nicht zu Ende. Oleksiy
Palchykov, Sänger des „Fenton“, trat an die Rampe. Der Tenor ist in Kiew
geboren. Ohne jede Begleitung sang er ein ukrainisches Volkslied. Tränen
als Applaus.
3 May 2022
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## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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