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# taz.de -- Die Größe der Form
> Die Oper „Les Vêpres Siciliennes“ von Giuseppe Verdi wird selten
> aufgeführt. An der Deutschen Oper Berlin zeigt Olivier Py mit dem
> Dirigenten Enrique Mazzola, woran das liegt
Bild: „Les Vêpres Siciliennes“ von Giuseppe Verdi, in der Deutschen Oper B…
Von Niklaus Hablützel
Es sollte so groß werden wie bei Giacomo Meyerbeer, der in Frankreich
gerade die Oper neu erfunden hatte: als Universaltheater für historische
Ereignisse, weit ausgebreitet in Chören, Gesängen, Kulissen,
Orchesterstücken und Balletten. Es war das Kino des 19. Jahrhunderts, von
Richard Wagner verleumdet, weil es so viel moderner war als die Mythen für
Bayreuth. Für Verdi war es eine Herausforderung. Die Erfolge von „Nabucco“
oder „Rigoletto“ hatten ihn ebenso berühmt gemacht wie der Skandal der
„Traviata“ bei der Uraufführung in Venedig. Aber das alles war noch kein
Meyerbeer.
Verdi engagierte Meyerbeers Librettisten Eugène Scribe, der ihm einen
Fünfakter lieferte, nicht ganz taufrisch allerdings, weil der Vielschreiber
dafür ganze Teile eines abgebrochenen Entwurfs für Donizetti übernahm.
Groß genug war es immerhin. Scribe erzählt ein Massaker von 1280, dem in
Palermo die französische Herrschaftsklasse zum Opfer fiel und einen
Volksaufstand in ganz Sizilien auslöste. Die historische Quellenlage ist
unsicher und Scribe kümmert sich darum schon gar nicht. Liebe, Rache,
Gewalt, Intrige, Palast und Kerker, Kostüme, Ballerinen und Soldaten waren
schon damals der Stoff der Kinoträume.
Rundum begeistert war Verdi davon nicht, aber er setzte sich an die Arbeit.
Die Inszenierung der Deutschen Oper ist zunächst einmal lehrreich, weil
Regisseur und Dirigent nichts anderes zeigen wollen als ebendiese Arbeit.
Verdi ist gescheitert, man hört es und erklärt, warum Opernhäuser Löcher in
der Kasse befürchten. Großartig ist sie jedoch, weil Py und Mazzola damit
auch Verdis Kunst zeigen, jedes noch so haarsträubende Theater in seine
unvergängliche Musik aufzulösen.
Verdis Problem begann schon bei der Ausstattung. Sie muss für Scribe
möglichst prachtvoll sein. Seine eigenen Opern können darauf verzichten,
sogar die Aida wäre als Kammerspiel denkbar. Die Lösung hat Pys
Bühnenbildner Pierre-André Weitz entworfen mit einem gewaltigen Kubus auf
der Drehbühne. Sein Inneres und alle vier Außenwände sind ständig
wechselnde Schauplätze, mal realistisch fotografiert, mal dekorativ, mal
abstrakt möbliert.
Weil Py bei Scribe einen Hinweis auf die Grausamkeit des dritten
Kaiserreichs in Algerien entdeckt hat, erinnert er mit Kostümen und Bildern
an den Algerienkrieg der 50er Jahre. Barrikaden in Paris, Hinterhöfe, eine
arabische Hafenstadt stehen neben optischen Verweisen auf die
Entstehungszeit des Werkes und reflektieren unauffällig, aber wirksam eine
Distanz, die sich wohl auch Verdi gewünscht hätte. Eine wirklich gewaltige
Kulisse steht jetzt so sicher in der Mitte, dass er gefahrlos darum herum
komponieren kann.
Schon die Ouvertüre war viel zu leise mit ihren zarten Streichern und
Generalpausen, aber immerhin mit Marschrhythmen dem Stoff angepasst. Folgen
der obligatorische Chor, diesmal für Soldaten, und dann die Frau. Hulkar
Sabirova aus Usbekistan singt mit der ganzen Fülle ihres mächtigen, wenn
auch etwas affektierten Soprans. Hélène will den politischen Mord an ihrem
Bruder rächen, mehrere Abschnitte einer großen Arie aus Verdis Hand sind
dafür notwendig, die in einem dramatischen Aufruf an das Volk endet: „Dein
Glück liegt nur in deiner Hand.“
Wirklich? Nicht bei Scribe, seine Theatermechanik erzwingt ein Endspiel
ohne Sieger. Davor stehen eine Liebesgeschichte und die Beziehung eines
Vaters zum verlorenen Sohn aus seiner herrschaftlichen Vergewaltigung. Ein
Leibarzt der ehemaligen Herrscher spielt sich als Revoluzzer auf. Alle
wechseln immerzu die Fronten, bis sie allesamt vom Chor erschlagen werden.
Spannend ist das schon, Böses ist gut, Gutes böse und Verdi versucht, allem
eine Stimme zu geben. Er tastet sich heran. Nie verlegen um Melodien,
Harmonien und dialektisch kommentierende Orchestersätze sucht er nach
Figuren mit Seelen, die es hier nicht gibt. Scribe zeichnet Typen,
widersprüchliche, weil sie Interessen haben. Sie fühlen in Schwarz und
Weiß, Verdi schreibt ihnen Zwischentöne in die Noten, die unter Mazzolas
Leitung wunderschön und genau zu hören sind. Mit Pierro Pretti, Thomas
Lehman und Roberto Tagliavini sind die Männer sogar so eindrucksvoll
besetzt, dass es in der Premiere am Sonntag ständig zum Applaus auf offener
Szene kam.
Am Ende klang es leiser im Saal, als danach zu erwarten war. Mag sein, dass
der Schlussakkord zum Wort „Rache!“, ohne Solisten, aber mit vollem Chor
und Orchester, daran erinnert hat, dass draußen der Krieg wirklich ist. Zu
Recht nehmen Py und Mazzola darauf keine Rücksicht, so naheliegend es bei
diesem Stück wäre. Sängerinnen haben in der Pause Spenden für die
ukrainischen Flüchtlinge gesammelt. Aber ein Aufstand des 13. und eine Oper
des 19. Jahrhunderts sind genau die Geschichte, von der man nur Geschichte
lernen kann. Das hat Hegel gesagt, der sich selbst nie daran hielt. Verdi
war besser, man muss ihn nur so spielen wie hier.
22 Mar 2022
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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