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# taz.de -- Mobbing im Internet: Üble Hassbotschaften
> Frauenfeindliche Beschimpfungen mit politischer Note:
> Deutschvietnamesinnen, alle erfolgreiche Geschäftsfrauen, sind massivem
> Mobbing ausgesetzt.
Bild: Der Hass, oft nur einen Klick weit weg
Berlin taz | In der Karikatur ist das Gesicht von H. zu sehen, Inhaberin
einer Restaurant- und Bistrokette, mit falschen Zähnen, wirrem Haar, der
verschrumpelt dargestellte Kopf auf ein Gerippe gesetzt. Die Karikatur ist
in hohem Maße verunglimpfend. Nach H.s Angaben werden solche Karikaturen
über Wochen nahezu täglich an alle ihre Facebook-Kontakte geschickt.
Man müsse ihr die Zähne ausschlagen, steht da auch in vietnamesischer
Sprache. Es wird dazu aufgerufen, H.s Restaurants zu meiden, weil sie
angeblich vergifteten Bubble-Tea verkaufen würde. Auf Bewertungsportalen im
Internet gibt es seit September des vergangenen Jahres viele negative
Bewertungen für ihre Läden.
H. vermutet, dass hinter den Karikaturen als Urheber ein
Anzeigenunternehmer steckt. Sie hatte sich geweigert, bei ihm
kostenpflichtige Anzeigen zu schalten. Nachdem H. ihn am Telefon
aufforderte, die Angriffe einzustellen, hat er das Telefonat online
gestellt und H.s Stimme dabei hexenhaft verzerrt.
## Anzeige bei der Polizei
H. hat Anzeige bei der Polizei erstattet. Die hat die Ermittlungen wegen
übler Nachrede, Bedrohung und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
inzwischen abgeschlossen und den Vorgang der Staatsanwaltschaft übergeben.
Die muss nun entscheiden, ob sie Anklage erhebt. Der Anzeigenunternehmer,
den die Frauen als Urheber und Organisator des Mobbing vermuten, ist für
die taz nicht zu sprechen. H. ist nicht die einzige Frau, die solchen
Angriffen seit vergangenem Sommer ausgesetzt sind, oft über viele Wochen
täglich.
Dann ist wie beispielsweise über Weihnachten ein paar Tage Pause, bevor es
von Neuem losgeht. Nach taz-Recherchen auf vietnamesischsprachigen
Facebookseiten sind mindestens vier Deutschvietnamesinnen betroffen. Sie
alle sind erfolgreiche Geschäftsfrauen. Sie alle sind Mütter. Gemeinsam ist
ihnen auch, dass sie sich weigerten, in der Facebookgruppe eines
Landsmannes Werbeanzeigen gegen Bezahlung zu schalten. Ebendiesen
Anzeigenunternehmer vermuten alle vier Frauen hinter dem Mobbing.
Doch er ist nicht der Einzige. Die Bedrohungen und Beschimpfungen kommen im
Internet, am Telefon und im realen Leben von verschiedenen AkteurInnen, die
den Frauen zum Teil bekannt sind, zum Teil nicht. Alle vier Frauen haben
Anzeige erstattet, was die Berliner Polizei der taz bestätigt.
## Eine Konkurrenz
Die Frauen haben während der Coronapandemie eine eigene Facebookgruppe
gegründet, in der sie kostenlos annoncieren, wenn jemand eine Kellnerin
fürs Restaurant oder einen Kurierfahrer sucht. Eine Konkurrenz also für
einen Anzeigenunternehmer.
Gemeinsam ist den Frauen auch, dass sie eine Spendenaktion für die
Hinterbliebenen eines verarmt an Corona verstorbenen Vietnamesen initiiert
haben. Landsleute unterstellen ihnen nun Veruntreuung von Spendengeldern
und haben sie angezeigt. Die Frauen weisen die Vorwürfe zurück, aber diese
Vorwürfe bieten immer wieder Anknüpfungspunkte für das Mobbing.
Wer als Vietnamesin oder Vietnamese in Berlin lebt, ist international
vernetzt, und oft werden diese weltweiten Kontakte über Facebook
aufrechterhalten. Die Frauen erzählen der taz, dass ihre Verwandten in
Vietnam die Karikaturen von ihnen als Facebook-Kommentare geschickt
bekommen haben, aber auch Freunde und Verwandte, die in Ungarn oder
Frankreich leben. Ihr ganzes soziales Umfeld erlebe, wie sie beschimpft und
bloßgestellt werden.
Doch die Beschimpfungen und Drohungen finden nicht allein im virtuellen
Raum statt. So erzählt eine der Betroffenen der taz von ihrer Angst, ans
Telefon zu gehen, seit in einem der Kommentare mal ihre Handynummer
veröffentlicht wurde. Die unzähligen Anrufe, die sie danach erhalten hätte,
hätten sie so krank gemacht, dass sie ins Krankenhaus musste. Eine Frau
wurde von mehreren Personen in ihrem Laden aufgesucht, die sich dort ihrer
Darstellung nach wie eine Drohkulisse aufstellten.
## Die politische Komponente
Binh Le ist die einzige Betroffene, die nicht in Berlin wohnt und zugleich
als einzige damit einverstanden ist, ihren Namen in der Zeitung zu nennen.
Sie war Unternehmerin und Vorsitzende eines Integrationsvereins in Sachsen.
Seit sie in Rente ist, publiziert sie in vietnamesischer Sprache kritisch
über die Politik in Vietnam.
Als sie sich im Internet auf die Seite der bedrohten Frauen gestellt hatte,
begann das Mobbing auch gegen sie, berichtet Binh Le. Ein Satellitenbild
ihres Hauses wurde, verbunden mit Beschimpfungen, online gestellt. Seitdem
hat sie Angst vor physischen Angriffen.
Die Dresdner Polizei ermittelt, schließt eine politische Tatmotivation
nicht aus und vermutet die Täter in Berlin. Die Ermittlungen befinden sich
aber noch im Anfangsstadium.
Bei Binh Le hatten die Drohungen eine politische Komponente: Ihr wird
vorgeworfen, Mitglied von Viet Tan zu sein, was Binh Le aber zurückweist.
Viet Tan ist eine Exilorganisation, die in Vietnam selbst als
terroristische Gruppe gilt, nach Einschätzung des Büros des
UN-Hochkommissariats für Menschenrechte allerdings eine „friedliche
Organisation“ ist, „die sich für demokratische Reformen einsetzt“. Doch …
verdächtigt wird, Viet-Tan-Mitglied zu sein, dessen Verwandte in Vietnam
sind in Gefahr. Und man kann sogar in Deutschland in Gefahr geraten.
Die ursprünglich frauenfeindlichen Beschimpfungen sind politisch geworden,
nicht nur gegenüber Binh Le, und das, obwohl die anderen Frauen bisher in
keiner Weise politisch tätig waren. Auch sie werden als „Staatsfeinde“
bezeichnet. Darin sehen sie noch eine ungleich größere Gefahr für sich und
ihre Verwandten in Vietnam.
1 Feb 2022
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Vietnamesen in Berlin
Mobbing
Vietnam
Vietnamesen in Berlin
Organisierte Kriminalität
Schwerpunkt Rassismus
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