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# taz.de -- „Wetten, dass..?“ und „TV total“ zurück: Revival am Wohnzi…
> „Wetten, dass..?“ und „TV total“ sind wieder da. Will man wirklich in
> Nostalgie schwelgen, zurück in eine vermeintlich schönere Zeit?
Bild: Jessica Biel (l.) und Karl Lagerfeld wundern sich über Thomas Gottschalk…
Als ich aufs Gymnasium kam, war ich eines der wenigen Kinder mit
Migrationshintergrund. Zum ersten Mal in meinem Leben befand ich mich in
einem Umfeld, in dem ich tatsächlich eine Minderheit war. Die ersten Jahre
auf der Schule waren für mich daher auch eine Zeit der teilnehmenden
Beobachtung – ich lernte hier das „Deutschsein“ kennen. Und eines der
faszinierendsten Phänomene war „Wetten, dass..?“. Obwohl in den frühen
Nullerjahren die Hochzeit dieser Sendung schon vorbei zu sein schien,
sprachen meine Mitschüler*innen am Montag aufgeregt über die Show am
Samstag zuvor. Die meisten schauten es mit ihren Eltern und es war die
einzige Zeit, wo sie so lange aufbleiben durften.
Ich habe „Wetten, dass..?“ zu dem Zeitpunkt – [1][es war 2000] und ich war
10 – nicht gekannt, geschweige denn geschaut. Ich wurde aber neugierig. Es
schien etwas Witziges, Heimeliges und Einzigartiges zu sein. Da meine
Eltern nicht bereit waren, ihren [2][Samstagabend mit Thomas Gottschalk zu
verbringen], setzte ich mich halt alleine vor den Fernseher im
Kinderzimmer.
Und ich verstand nichts. Es schien mir eine kuriose Aneinanderreihung von
Promigesprächen, absurden Wetten und seltsamen Musikeinlagen zu sein, die
völlig zusammenhangslos aufeinanderfolgten. Thomas Gottschalk machte mir
mit seiner aggressiven Fröhlichkeit Angst. Ich weiß nicht mehr, wer der
internationale Promi war, nur dass sie genauso verwirrt aussah, wie ich
mich fühlte. Als ich dann ins Bett musste, war mir klar: Das ist nichts für
mich.
So stand ich weiterhin am Montag früh in der Gruppe und nickte stumm, wenn
mal wieder über den Samstagabend gequatscht wurde, und dachte mir meinen
Teil dazu. Ich wurde nie warm mit der Show und das war auch nicht
notwendig: Meine Freund*innen gingen die typischen Entwicklungsstufen von
jugendlichen „Wetten, dass..?“- Zuschauer*innen durch – von „voll
lustig“ zu „ey, wie peinlich“. Später dann, mit 15/16, war es ja eh eine
Todsünde, seinen Samstagabend mit seinen Eltern vorm Fernseher zu
verbringen.
So verschwand „Wetten, dass..?“ langsam aus dem Bewusstsein meiner
Generation, und als es 2014 schließlich eingestellt wurde, bekamen das
einige wahrscheinlich gar nicht mit oder wunderten sich, dass das so lange
ging. Es wirkte wie ein Vermächtnis aus einer verlorenen Zeit.
Doch „Wetten, dass..?“ war immer schon mehr als eine Sendung mit
aufgedrehtem Moderator mit abgedroschenen Witzen. Wie auch das Revival und
vor allem die Reaktionen darauf zeigten: Nicht nur, dass in den Medien
tagelang auf das Comeback hingewiesen wurde. Als es so weit war, füllte
sich Twitter sofort mit den Erinnerungen der User*innen: Wie sie –
angekuschelt an ihre Eltern – die Sendung verfolgt haben, Schorle vor sich
auf dem Tisch und Salzstangen daneben.
Die Kritiken des Revivals mögen daher durchwachsen gewesen sein, ein
Quotenerfolg war es allemal. Und wenn das Publikum beim Erblicken von
Gottschalk anfängt zu singen: „Oh, wie ist das schön“. Dann meinen sie es
ernst, so seltsam es auch zu sein scheint.
Die Sendung war und ist nämlich immer noch ein Symbol für eine vermeintlich
behütete Kindheit, als alles ruhiger und geordneter war. Sie ist eine
Konstante in der kollektiven Identität der Deutschen. Und darauf besinnt
man sich doch gerne zurück in einer Zeit, wo alles unsicher ist, die
Gesellschaft auseinanderbricht, die Demokratie gefährdet ist, das Klima
sich zu unseren Ungunsten verändert. Wie sich besser der modernen Welt
entziehen, als Thomas Gottschalk dabei zuzuschauen, wie er Witze über das
Gendern macht. Haha, fast wie früher. Es gibt keine Überraschungen, keine
Herausforderungen – einfach einige Stunden der absoluten Sicherheit.
Revivals sind der Versuch, eine vermeintlich schönere Zeit wieder aufleben
zu lassen. Es ist, als würde man den Fernseher schütteln und rufen: „Gib
mir mein Scheißserotonin! Es ist doch alles wie früher!“ Nostalgie ist eben
eine hell of a drug.
Wie süchtig die Gesellschaft nach dem Nostalgiekick ist, wird noch
deutlicher, wenn man bedenkt, dass auch „TV total“ wiederkommen soll. Nach
den unschuldigen Kindheitserinnerungen kommt nun also die Reminiszenz an
die Teenagerjahre, als man auf dem Schulhof [3][„Wat, wer bist du denn“]
rumgeblökt hat und das für einen Lacher reichte. Wie schlimm muss die
Gegenwart sein, wenn man sich dahin zurückwünscht?
Vielleicht sollten wir uns eingestehen, dass Revivals unser Bedürfnis nach
der guten alten Zeit nicht befriedigen können. Es ist vorbei, und seien wir
mal ehrlich: Früher war es auch nicht besser.
9 Nov 2021
## LINKS
[1] /Podcast-Couchreport/!5787301
[2] /Neuauflage-von-Wetten-dass/!5808896
[3] https://www.youtube.com/watch?v=PEH0HZ_MEKY
## AUTOREN
Laila Oudray
## TAGS
Thomas Gottschalk
Wetten, dass... ?
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