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# taz.de -- Bataclan-Prozess beginnt in Paris: Die Akten sind 53 Meter lang
> In der geschichtsträchtigen Verhandlung müssen sich 14 Männer
> verantworten. Die Angehörigen der Terroropfer haben teils hohe
> Erwartungen.
Bild: Xavier Noguerras, der Anwalt eines Angeklagten vor dem Sondergerichtssaal…
Paris taz | Vor einem aus fünf Berufsrichtern zusammengesetzten
Sondergericht hat in Paris der Prozess zu den [1][Terroranschlägen des 13.
November 2015 begonnen.] Nach der Eröffnung am Mittwoch wurde zunächst die
lange Liste der Zeugen und zivilen Nebenkläger verlesen. Der sehr formelle
Auftakt des „Bataclan-Prozesses“, der in jeder Hinsicht außerordentlichen
Gerichtsverhandlung, schien für die Angehörigen unbefriedigend. Immerhin
aber sahen sie erstmals die 14 Männer auf der Anklagebank von Angesicht zu
Angesicht. Von sechs weiteren Angeklagten gelten fünf als tot, ein weiterer
befindet sich in türkischer Haft.
[2][Salah Abdeslam wird als einziges Mitglied des Terrorkommandos, das
überlebt hat und erst Wochen später bei Brüssel verhaftet wurde,] als
Hauptangeklagter betrachtet. Er ist mit einer imposanten Polizeieskorte aus
seiner Hochsicherheitszelle in den eigens für diesen „Monsterprozess“
errichteten Saal im alten Justizpalast auf der Seine-Insel Ile de la Cité
gebracht worden. Er trug ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze
Gesichtsmaske.
Bei der Eröffnung hat er zuerst auf die übliche Frage nach Namen und
Geburtsdatum geantwortet, danach aber Auskünfte zu seiner Familie
verweigert. Es wird nicht erwartet, dass er irgendeine Reue zeigt oder
Erklärungen liefert. Zumindest einer der Mitangeklagten, der Pakistaner
Muhammad Usman, will dagegen nach Aussagen seines Anwalts vor Gericht die
Opfer um Verzeihung bitten.
Die überlebenden Opfer der Attentatswelle sowie die Angehörigen der 130
Toten haben sehr unterschiedliche Erwartungen an diesen Prozess – oder
manchmal „gar keine“. Sie möchten verstehen oder auch bloß zeigen, dass s…
existieren, manche hoffen bei dieser Konfrontation auf Erklärungen oder
zumindest eine menschliche Regung von Angeklagten, alle aber erwarten nach
einem fairen Prozess den Schuldspruch mit angemessenen Strafen. Im Namen
aller Opfer werden sie als Kläger und Zeugen ab Ende September während fünf
Wochen angehört. Ihnen gemeinsam ist es, dass sie selbst mit dem Abstand
von fast sechs Jahren größte Mühe haben, über diese Nacht des Schreckens zu
reden, [3][von der viele von ihnen bleibende physische Spuren und vor allem
die Last eines traumatischen Schocks davontragen.]
## Eine aufwendige Verhandlung
Bei diesem Prozess, der wegen des Anschlagsrisikos unter größten
Sicherheitsvorkehrungen stattfindet, wurden keine Mühen gescheut: Vom
Neubau des Saals über die Übertragung der Verhandlungen via Webradio bis
hin zur Videoaufzeichnung für das Archiv sollte alles dafür getan werden,
dass die zivilen Nebenkläger vollumfänglich ihre Rolle einnehmen können.
Beim Auftakt waren die wichtigsten Akteure der für fast neun Monate
angesetzten Verhandlungen im Saal anwesend.
Jean-Louis Périès heißt der Vorsitzende dieses Sonderschwurgerichts. Der
65-jährige Jurist hat eine lange Erfahrung als Richter vor allem in
Strafverfahren gegen das organisierte Verbrechen. Seit mehr als einem Jahr
hat er sich mit dem Studium der Akten, die Ordner auf einer Länge von mehr
als 53 Metern füllen, vorbereitet. Er wird von einer Vizepräsidentin und
drei weiteren Richtern assistiert. Während der Verhandlungen sind vier
Ersatzrichter bereit, im Fall von Krankheit eines Gerichtsmitglieds
einzuspringen. Der „Bataclan-Prozess“ ist die letzte Gerichtsverhandlung,
bevor er in den Ruhestand geht.
Als Chefin der Antiterror-Staatsanwaltschaft tritt Camille Hennetier,
unterstützt von zwei weiteren Staatsanwälten, als Hauptanklägerin auf. Sie
war am 13. November 2015, als die Terroristen nach dem Stade de France
mehrere Caféterrassen und dann den Bataclan-Konzertsaal attackierten,
zusammen mit dem damaligen Pariser Staatsanwalt François Molins unter den
Ersten am Tatort, um danach als Ergebnis langer Ermittlungen, Befragungen
und Gutachten von Experten die Anklageschrift gegen insgesamt zwanzig
mutmaßliche Beteiligte oder Komplizen zu verfassen.
## Auch François Hollande wird angehört
Die Anwältin des Hauptangeklagten Salah Abdeslam, Olivia Ronen, ist erst 31
wie ihr Mandant, hat aber bereits auf Terrorismus Angeklagte in anderen
Fällen verteidigt. Sie erklärte, es sei für sie „eine enorme Überraschung
gewesen“, als sie im Sommer 2018 einen Brief aus dem Gefängnis
Fleury-Mérogis von dem Angeklagten Abdeslam erhalten habe. Klar ist
bezüglich der Verteidigung, dass von den Anwält*innen niemand – wie noch
1987 beispielsweise Jacques Vergès („l’Avocat du diable“) beim Prozess
gegen Klaus Barbie – eine „Stratégie de rupture“ verfolgen wird, um den
Terrorismus als „politische Tat“ zu rechtfertigen.
Unter den mehr als hundert Zeugen, die vor Gericht aussagen werden, sind
neben den Polizei- und Rettungsbeamten, die im Bataclan und den anderen
Tatorten intervenierten, auch der ehemalige Staatspräsident François
Hollande sowie sein damaliger Innenminister Bernard Cazeneuve vorgeladen,
um Mitte November zu ihrer Rolle am fraglichen Abend auszusagen. Das Urteil
nach diesem Gerichtsmarathon wird für Ende Mai erwartet.
8 Sep 2021
## LINKS
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[3] /Arte-Serie-ueber-den-Bataclan-Anschlag/!5745101
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
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