Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Panorama“ wird 60: Immer gut unter Druck
> Das NDR-Politmagazin „Panorama“ wird 60 – und ist kritisch geblieben.
> Dabei war es seit Beginn Angriffen ausgesetzt, die erstaunlich aktuell
> wirken.
Bild: TV-Journalist Rüdiger Proske war einer der Gründer von Panorama im Jahr…
Der Jargon des Briefes an den Intendanten des NDR [1][wirkt aktuell]: „Nach
der gestrigen,Panorama'-Sendung scheint kein Zweifel mehr daran zu
bestehen, dass Ihre öffentlich-rechtliche Anstalt nunmehr dazu übergegangen
ist, wohl angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl, offen, unverhüllt
und frech Wahlpropaganda für die Linke zu betreiben. […] Darf ich fragen,
woher Sie den traurigen Mut hernehmen, für eine solche Fülle von
Gemeinheiten auch noch höhere Zwangsgebühren zu verlangen?“
Der Anlass: „Panorama“ hatte CDU und CSU in einem Beitrag vorgeworfen, sie
versuchten, am rechten Rand Stimmen zu gewinnen. Könnte durchaus vor Kurzem
gelaufen sein. Tatsächlich stammt der Brief aber von 1969, der Absender war
Lothar Haase, CDU-Mann mit NSDAP-Vergangenheit, der NDR-Intendant hieß noch
Gerhard Schröder (nicht zu verwechseln mit dem Gazprom-Lobbyisten), und die
Partei, der Teile der Union nach Meinung von „Panorama“ zu nahe standen,
war die NPD.
Volker Steinhoff, seit 2009 Redaktionsleiter des Magazins, sagt: Zwar
stünden seine Sendung und die Öffentlich-Rechtlichen generell „zurzeit
schwer unter Beschuss aus einem kleinen, aber lautstarken Lager.“ Dabei
werde aber „leicht übersehen“, dass dies für „Panorama“ „nichts Neu…
In der Redaktion denkt man gerade intensiv über dieses Thema nach. An
diesem Freitag feiert „Panorama“, das älteste Politikmagazin im deutschen
Fernsehen, seinen 60. Geburtstag. Die Jubiläumssendung läuft am 10. Juni.
Beiträge über Rechtsextremismus sind auch heute geeignet, Angriffe auf
„Panorama“ auszulösen. 2019 fand in Hannover eine Demonstration statt, die
sich gegen drei Journalisten richtete – darunter „Panorama“-Autor Julian
Feldmann, der an Reportagen [2][über den in rechtsradikalen Kreisen
bewunderten NS-Verbrecher Karl Münter] beteiligt gewesen war. Und im Sommer
2020 führte ein „Panorama“-Beitrag über einen offenbar rechtsextremen
Bundeswehroffizier zu Psychoterrorattacken gegen die Publizistin Natascha
Strobl. Sie hatte auf Anfrage fünf Sätze geäußert, die in der TV-Fassung
überhaupt nicht vorkamen, sondern nur in der Textversion.
## „Bild“-Forderungen umgesetzt
Angegriffen wurde das Magazin aber eben von Anfang an. Zum Beispiel Gert
von Paczensky, der erste Chefredakteur. „Der Spitzbart muss weg!“, forderte
Bild 1963. Damit spielte das Boulevardblatt auf einen Slogan an, der sich
ursprünglich auf einen anderen Spitzbartträger bezogen hatte: den SED-Chef
Walter Ulbricht. Die CDU setzte die Bild-Forderung um: Die Mitglieder der
Partei im NDR-Verwaltungsrat – der damals nur aus Vertretern der in den
norddeutschen Bundesländern regierenden Parteien bestand – blieben diversen
Sitzungen fern und verhinderten so, dass von Paczenskys Vertrag verlängert
wurde.
1971 war August von Finck Senior, ein einstiger Hitler-Bewunderer aus der
Bankenbranche, aufgebracht, weil „Panorama“ einen Deal zwischen ihm und dem
Freistaat Bayern kritisiert hatte. So gab er insgesamt 200.000 D-Mark aus,
um in mehreren Tageszeitungen zwei Anzeigenseiten für eine Art
Gegendarstellung zu buchen („Die Wahrheit über die,Panorama'-Sendung vom
18. Januar 1971“).
Heute ließe sich für einen Unternehmer eine ähnliche Wirkung praktisch
kostenlos erreichen: mit einer Social-Media-Kampagne, die sämtliche Medien
bereitwillig redaktionell aufgreifen und teilweise wohl noch zuspitzen
würden. Auf denselben „Panorama“-Beitrag bezog sich der langjährige
CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, als er den NDR als „rote
Reichsfernsehkammer“ bezeichnete.
Eine der berühmtesten „Panorama“-Sendungen war mittelbar ein Ergebnis von
Anfeindungen von außen: Ein Artikel in der Bild-Zeitung bewirkte, dass ein
vom NDR-Programmdirektor bereits abgenommener Film, in dem eine Abtreibung
zu sehen war, nicht gesendet werden durfte. Nachdem das Boulevardblatt
gegen den geplanten Beitrag mobil gemacht hatte, votierte die Mehrheit der
neun ARD-Intendanten gegen dessen Ausstrahlung.
## Ein Streik
So kam es, dass „Tagesschau“-Sprecher Jo Brauner direkt im Anschluss an die
Nachrichten – „Panorama“ lief damals um 20.15 Uhr! – eine Erklärung der
Macher*innen des Magazins vortrug. Diese betrachteten die durch den
Eingriff von oben „veränderte,Panorama'-Sendung nicht mehr als eine, die
sie präsentieren und moderieren wollen“. Dazu muss man wissen, dass es
damals Usus war, dass die Autor*innen ihre eigenen Beiträge
anmoderierten.
Dass sich Intendant*innen der ARD Druck von außen beugen, ist heute
noch vorstellbar. Aber nicht, dass der Protest gegen das Einknicken direkt
im Programm zur Sprache kommt.
4 Jun 2021
## LINKS
[1] /CDU-und-Werteunion/!5771781
[2] /Nach-Ueberfall-auf-Kameraden/!5567383
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
NDR
Investigativer Journalismus
CDU
CDU-Parteivorsitzende
SOKO Tierschutz
NDR
## ARTIKEL ZUM THEMA
CDU und Werteunion: Unvereinbarkeitsbeschluss, jetzt
Wenn die CDU sich glaubhaft nach rechts abgrenzen will, muss sie mit der
Werteunion brechen. Das geht – wenn Laschet es will.
Tierschutzskandale in Niedersachsen: Eine Schweinerei
Ein Landwirt im niedersächsischen Ohne lässt Tiere qualvoll verrecken.
Tierschützer filmen ihn. Wieder ein Einzelfall. Oder doch System?
Fragwürdige Reform beim NDR: Mit Hashtag in die Zukunft
Der Norddeutsche Rundfunk baut die Hierarchieebenen um.
Mitarbeiter*innen fürchten, dass der Journalismus darunter leidet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.