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# taz.de -- Die Wahrheit: Stuttgarts Trinker sind zurück
> Kaum öffnet die Gastronomie in der Hauptstadt des Ländles, da kommt es zu
> Randale. Muss das denn sein? Es kann doch auch gepflegt gesoffen werden.
Am vergangenen Samstag hat die Stadt Stuttgart mal wieder ihr Image
ramponiert: Einen Tag nach der Öffnung der Gastronomie im Daimlerdorf
sorgte die mittlerweile berüchtigte Partyszene für Krawall, Randale,
Schlägereien mit der Polizei. Dass es aber auch friedlich geht, haben wir
Trinker am Vortag bewiesen – da war ich nämlich dabei, um die Lage unter
Kontrolle zu halten.
Es begann damit, dass der Freund, mit dem ich mich seit Monaten zum
öffentlichen Biertrinken traf, vorab ankündigte, er werde beim ersten
Schluck vermutlich weinen. Und so kam es dann auch. Der Kellner, der uns
zwei Halbe servierte, sagte, er habe Gänsehaut, es sei auch für ihn das
erste Mal in diesem Jahr.
Wenig später trudelte ein weiterer Kumpan ein, der als Erzieher bereits
doppelten Impfschutz genießt. Unter den Gästen brandete Applaus auf, eine
Frau erhob sich sogar, weil der Vollgeimpfte nicht per Schnelltest, sondern
per Impfpass die Berechtigung präsentierte, hier und heute einen Vollsuff
in Empfang nehmen zu dürfen.
Frei von Tragik war der sonnige Tag indes nicht: Ein älterer Herr, der beim
Einlass ein Smartphone zückte, um seinen negativen Schnelltest digital
vorzuzeigen, ließ es auf den Asphalt fallen – das Gerät ging kaputt, er
musste von dannen ziehen. Wie zuvor das Display zersprang bei diesem
Anblick mein Herz in tausend Teile. Ein Schnaps spendete Trost.
Als wir nach etlichen Kelchen, Kränzen und Kurzen um 21 Uhr die Gastronomie
verlassen mussten, fanden wir uns auf dem Schlossplatz wieder, wo am
Folgetag die Ausschreitungen ihren Höhepunkt finden sollten. Am Freitag
jedoch ging es hier unter meiner Aufsicht recht friedlich zu. Da uns das
Bier ausgegangen war, bestellte mein Begleiter über einen
Fahrradlieferdienst zwei Sixpacks und – warum auch immer – drei
Tiefkühlpizzen, gab dem Fahrer zwanzig Euro Trinkgeld und hätte ihn in
seinem Glücksrausch wahrscheinlich auch noch innig umarmt, wenn da eben
nicht noch diese Pandemie gewesen wäre, deren Schrecken an so einem
Außengastro-Öffnungstag aber zumindest vorübergehend an Macht verloren
hatte.
Auf dem Heimweg riss die Papiertüte, die die zwölf gelieferten Bierflaschen
hätte halten sollen. Glas krachte, Bier strömte, und plötzlich standen da
drei Zwanzigjährige, die sich als harte Hunde ausgaben: Gangster,
Kriminelle, Drogenhändler seien sie, und sie könnten uns das Leben zur
Hölle machen. Sie bekamen es allerdings selbst mit der Angst zu tun und
rannten weg, als ich fragte, ob mir einer der drei jungen Männer etwas
Liquid Ecstasy direkt mit der Spritze durch die Backe ins Gesicht spritzen
könne. Wildes Stuttgart!
Am nächsten Tag war ich so platt, dass ich es auch am späten Abend nicht
aus dem Haus schaffte, um die reaktivierte Trinkergemeinde im Zaum zu
halten. Die Folgen haben Sie in der „Tagesschau“ gesehen. Es tut mir leid.
2 Jun 2021
## AUTOREN
Cornelius Oettle
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Stuttgart
Lockdown
Alkohol
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Sex
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Hunde
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