# taz.de -- „Repression und Solidarität“ | |
> Igor Bancer geht es dreckig. Er wurde bei Protesten gegen die Regierung | |
> in Belarus verhaftet. Sein Labelmanager Artur Schock berichtet | |
Bild: Ist im trockenen Hungerstreik: Igor Bancer | |
Interview Du Pham | |
taz: Herr Schock, seit Oktober sitzt Ihr Künstler Igor Bancer wegen | |
„Rowdytums“ im Gefängnis. Er soll unbekleidet vor einem Streifenwagen | |
getanzt haben. Dass er deshalb in Haft muss, zeigt das Ausmaß des Unrechts | |
in Belarus. Wie geht es ihm momentan? | |
Artur Schock: Wir wissen, dass es ihm sehr schlecht geht. Er hat am ersten | |
Prozesstag, dem 3. März, angekündigt, in den trockenen Hungerstreik zu | |
gehen. Aus Protest gegen seine Inhaftierung, die anhaltenden Zustände in | |
Belarus und den unfairen Prozess. Journalist:Innen und Freund:Innen, | |
die anwesend waren, berichten, dass sich sein Zustand rapide | |
verschlechtert. Er verweigert seit Wochen Nahrung und Flüssigkeit. Er ist | |
komplett ausgemergelt und dehydriert. Wir machen uns große Sorgen. | |
Wie verlief der Prozess bisher? | |
Es waren drei Tage angesetzt. Am letzten Prozesstag, 5. März, konnte kein | |
Urteil gefällt werden, weil ein wichtiger Zeuge noch nicht verhört war. Es | |
handelt sich dabei um einen Polizisten, der bei Igors Tanz dabei war. Der | |
Prozess wurde um eine Woche vertagt. Der Polizist erschien auch da nicht, | |
also war der nächste Termin gestern, am 18. März. Zufällig war gestern der | |
Tag der Politischen Gefangenen, aber es ist wieder nichts passiert. Das | |
Verfahren wird künstlich in die Länge gezogen. Das ist politisch motiviert. | |
Natürlich gibt es eine formelle Anklage, aber der eigentliche Grund ist | |
doch, dass Igor ein Kritiker des Regimes ist, der mundtot gemacht werden | |
soll und am besten für möglichst lange Zeit in einem Kerker verschwindet. | |
Womit muss er rechnen? | |
Mit bis zu drei Jahren Haft – für einen Tanz vor einem Streifenwagen! Das | |
ist selbst für belarussische Verhältnisse absurd. Er musste eine | |
psychiatrische Untersuchung in einer Spezialklinik erdulden, kam in | |
Isolationshaft und saß mit Mördern in einer Zelle. Die Haftbedingungen in | |
Belarus sind grausam. Er hat vor Gericht einen Antrag gestellt, seine | |
Strafe in Hausarrest oder in offenen Vollzug umzuwandeln. Dieser Antrag | |
wurde abgelehnt. Vom Gericht ist keine Milde zu erwarten. Igor hat sein | |
Testament verfasst! Auch wir befürchten inzwischen das Schlimmste. | |
Dennoch verzichtet er auf einen Anwalt, mutig oder naiv? | |
Naiv ist Igor sicher nicht. Er hat sich dafür entschieden, sich vor Gericht | |
selbst zu verteidigen. Der Anwalt ist trotzdem anwesend, aber Igor führt | |
das Wort. Der Anwalt ist die einzige Person, die ihn besuchen darf. In | |
Belarus ist es nun mal so, dass der Angeklagte zwar das Recht hat, sich | |
durch einen Anwalt verteidigen zu lassen, das hat in der Praxis allerdings | |
keinerlei Auswirkungen. Die Urteile stehen schon vorher fest und werden bei | |
den politischen Fällen von oben gefällt. Es gibt zu keinem Zeitpunkt ein | |
rechtsstaatliches Verfahren. Das wird nur simuliert. Das belarussische | |
Justizsystem ist kafkaesk im schlimmsten Sinne des Wortes. | |
Damit kann er dem Unrechtssystem immerhin einen symbolischen Mittelfinger | |
zeigen. | |
Igor ist Realist und will dieses Spiel nicht mitspielen. Das Regime will | |
nicht nach Recht und Gesetz urteilen, sondern ihn fertigmachen. Er stellt | |
sich dem Regime lieber aufrecht entgegen, und zwar ohne sich auf die Show | |
eines rechtsstaatlichen Verfahrens einzulassen. | |
Viele Oppositionelle haben sich entschieden, Belarus zu verlassen. Warum | |
war das für Bancer keine Option? | |
Nach den Protesten im August 2020 haben Tausende Menschen das Land | |
verlassen. Polen und Litauen haben zum Glück ihre Grenzen geöffnet. Das | |
belarussische Regime hat dies am Anfang sogar gefördert oder zumindest | |
nicht verhindert. So sind namhafte Oppositionelle verschwunden. Im Dezember | |
wurden die Grenzen geschlossen und das war der Start für eine groß | |
angelegte Repressionswelle. Seither gibt es täglich willkürliche | |
Verhaftungen. Igor hätte sehr einfach gehen können. Er hat aber immer | |
gesagt, dass er bleiben will. Belarus ist sein Land und Grodno seine Stadt. | |
Er will nicht aufgeben. Wir respektieren und bewundern seine | |
Entschlossenheit, hätten uns aber natürlich eine andere Entscheidung | |
gewünscht. | |
Ist die Revolution gescheitert? | |
Es ging nicht um einen Umsturz, die Menschen wollen einfach ihre | |
Grundrechte, nämlich die Möglichkeit, sich frei von Unterdrückung und | |
Repression eine politische Meinung bilden zu können, sich überall zu | |
informieren. Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung des Landes und ihr | |
eigenes Leben nach ihren Vorstellungen zu leben. Das haben ihnen Alexander | |
Lukaschenko und seine Schergen mit brutaler Gewalt verwehrt. Die Revolution | |
ist nicht gescheitert, im Gegenteil. Lukaschenkos Gebaren hat sie erst | |
richtig in Gang gebracht. Er ist am Ende. Er hält sich nur noch mithilfe | |
Russlands an der Macht – und wegen der Tatenlosigkeit der internationalen | |
Gemeinschaft. Sobald er seinen Repressionsapparat nicht mehr bezahlen kann, | |
ist es vorbei. Viele hätten ihm vor der Wahl keinen Sieg gewünscht, aber | |
sie waren nicht grundsätzlich gegen ihn eingestellt. Er hat auch Wohlstand | |
gebracht für das Land. Inzwischen ist auch den Letzten klar, dass er ein | |
einsamer, grausamer Diktator ist, der die eigenen Bürger:Innen | |
einsperren und massakrieren lässt, um die Macht zu sichern; auch auf Kosten | |
der Wirtschaft und für den Preis der Annexion durch Russland. Er wird gehen | |
müssen und mit ihm alle, die ihn noch an der Macht halten. | |
Vor wenigen Wochen haben Sie den Soli-Sampler „United Worldwide Vol. 2“ | |
veröffentlicht, unter anderem mit einem Song von Igor Bancers Band Mister | |
X. Wie ist die Resonanz? | |
Die Resonanz ist sehr gut, leider, muss man sagen, denn das liegt natürlich | |
daran, dass das Thema durch seine Verhaftung so in den Fokus gerückt ist. | |
Er hat den Song erst kurz vor seiner Verhaftung aufgenommen. Wir haben | |
darauf gedrängt, dass er ihn so schnell wie möglich nach Hamburg schickt. | |
Uns war klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis er verhaftet | |
wird und dann für längere Zeit in den Knast muss. Es ist surreal, dass | |
jemand einen Song für einen Soli-Sampler einspielt, um die Familien von | |
politischen Gefangenen zu unterstützen; und dann wird er ein paar Tage | |
später selbst politischer Gefangener. Diese bittere Geschichte ist auch | |
eine gute Metapher für die Lebensrealität in Belarus: Repression und | |
Solidarität. | |
19 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Du Pham | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krisenherd Belarus | |
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