# taz.de -- Franziskus besucht den Irak: Papst betet im einstigen IS-Kalifat | |
> Papst Franziskus betet für Kriegsopfer. Mit seinem Irak-Besuch sendet er | |
> auch für dortige Nicht-Christen ein Zeichen der Hoffnung. | |
Bild: Der ermutigenste Teil der Reise: Papst Franziskus beim Gebet in einer zer… | |
Kairo taz | Es war eine [1][historische Papst-Reise] ins Zweistromland, | |
während der viele Selbstverständlichkeiten ausgesprochen wurden über | |
friedliche interreligiöse Koexistenz und über den Schutz der christlichen | |
Minderheiten im Irak, die aber eben nicht selbstverständlich sind. Viel war | |
von Aussöhnung und Geschwisterlichkeit die Rede. | |
Der Irak ist ein geschundenes Land. Erst der Sturz Saddam Husseins, gefolgt | |
von US-Besatzung und jahrelangem Bürgerkrieg zwischen den Religionsgruppen. | |
Dann über drei Jahre IS-Kalifat. Das Land kommt einfach nicht zur Ruhe. So | |
war der Papst-Besuch für viele Iraker ein Zeichen der Normalität, an die | |
sie gerne glauben möchten, egal welchen Glaubens sie angehören. | |
„Der Zweck des Besuchs des Papstes, in diesen komplizierten Zeiten, ist es, | |
die Menschen im Irak zu ermutigen, so dass sie ihre vergangenen Zeiten | |
vergessen und eine neue Phase beginnen und damit in eine Zukunft blicken | |
können“, erklärte Kardinal Raphael Sako, der chaldäische Patriarch von | |
Babylon und damit Leiter der wichtigsten katholischen Ortskirche an Euphrat | |
und Tigris im Gespräch mit der taz. | |
Naturgemäß musste der für die Reise seines Chefs aus Rom Gutwetter machen. | |
Aber es waren nicht nur die Christen des Landes, die in diese Reise ihre | |
Hoffnungen für eine besser Zukunft setzten. | |
## Papstbesuch als vertrauensbildende Maßnahme | |
„Wir müssen daran arbeiten, Vertrauen zwischen den Irakern zu schaffen und | |
ihnen helfen zu einem friedlichen Leben zurückzukehren. Der Besuch von | |
Papst Franziskus ein wichtiger Schritt, um das Land wieder aufzubauen und | |
dieses Vertrauen zu bilden“, sagte auch Salah Al-Obaidi, der Sprecher des | |
einflussreichen schiitischen Politikers und Prediger Muqtada Sadr der taz. | |
Für die Botschaft interreligiöser Koexistenz wählten die Organisatoren | |
einen symbolträchtigen Ort, die Ebene von Ur, die Wiege des | |
Zweistromlandes, berühmt für seinen über 4000 Jahre alten sumerischen | |
Stufentempel und eine der ältesten Städte der Menschheit. | |
Aber noch entscheidender für die geografische Symbolkraft: In dem heutigen | |
entlegenen Ruinenort in der südirakischen Wüste soll Abraham gelebt haben, | |
der Juden, Muslimen und Christen gleichsam als Stammvater gilt. Ein gut | |
gewählter Ort für den Papst also, um am Samstag mit Christen, Muslimen, | |
Jeziden und Mandäern zu einem interkonfessionellen Treffen | |
zusammenzukommen. | |
## Treffen mit schiitischem Groß-Ayatollah Ali Al-Sistani | |
„An diesem Ort, an dem der Glaube geboren wurde, von dem Land unseres | |
Stammvaters Abraham, bestätigen wir, dass Gott gnädig ist und dass es die | |
größte Blasphemie ist, seinen Namen zu entweihen, indem man seine Brüder | |
und Schwestern hasst. Feindschaft. Extremismus und Gewalt sind nicht aus | |
einem religiösen Herzen geboren. Sie sind ein Verrat an der Religion“, | |
sagte der Papst dort. | |
Die vielleicht wichtigste individuelle interreligiöse Begegnung des Papstes | |
fand ebenfalls am Samstag, in der den Schiiten heiligen Stadt Nadschaf | |
statt. Dort traf der Papst den Großayatollah Ali Al-Sistani, den höchsten | |
schiitischen Geistlichen des Landes und damit einer der einflussreichsten | |
Männer des Irak mit seiner schiitischen Bevölkerungsmehrheit. Al-Sistanis | |
Rang, der gleiche wie der des verstorben Groß-Ayatollahs Khomeni im Iran, | |
verschafft ihm auch Gehör in der weiteren schiitischen Welt. | |
Der Großayatollah lebt relativ zurückgezogen und meldet sich selten zu | |
Wort, aber wenn, dann hat es in allen schiitischen Moscheen Gewicht. Etwa | |
als er demokratische Wahlen für das Land einklagte oder die Menschen | |
aufrief, die Waffen gegen den IS zu erheben. | |
In Nadschaf herrschte eine Ausgangsperre als der Autokorso des Papstes im | |
Zentrum der Stadt unweit der großen Moschee hielt und Franziskus ausstieg. | |
Er ging den Rest des Weges in einer für die Fahrzeuge zu engen Gasse, um | |
das bescheidene Haus zu erreichen, in dem der 90jährige Groß-Ayatollah zur | |
Miete lebt. Ein starker Kontrast zum Papst und dem Pomp des Vatikans. | |
## Iraks christliche Gemeinden sind stark geschrumpft | |
Über 50 Minuten dauerte das schiitisch-katholische Gipfeltreffen. Als der | |
Papst sich wieder zu Fuß auf den Weg machte, gab es nur eine kurze | |
schriftliche Erklärung Al-Sistanis: „Die Christen sollten wie alle Bürger | |
des Irak in Frieden und Sicherheit leben und ihre vollen verfassungsmäßig | |
garantierten Reche genießen.“ | |
Über die letzten Jahrzehnte sind die christlichen Gemeinden von fast | |
eineinhalb Million Gläubigen auf eine Viertelmillion geschrumpft. Krieg und | |
religiös-motivierte Gewalt hat viele vertrieben. | |
„Diese Reise des Papstes wird uns ermutigen zu bleiben, standhaft zu sein | |
und zu hoffen und wieder Vertrauen zu gewinnen“, meint Kardinal Sako dazu. | |
Für die christliche Minderheit war die Papst-Reise natürlich von besonderer | |
Bedeutung. Für viele, wie für diese christliche Familie in Bagdad, ist der | |
Besuch auch ein Anlass ihre Sorgen abzuladen. „Wir haben hier kein Leben. | |
Wir sind wie das Rad eines Spielzeugautos, das sich dreht und dreht im | |
Spiel. Wie ein Spielzeug, das man einem kleinen Kind gegeben hat“, sagte | |
die die irakische Christin Nidhal Selim. | |
Dabei sind es oft nicht nur die Sorgen eine Minderheit, sondern oft auch | |
die, welche die Christen mit anderen Irakern teilen. „An manchen Tagen | |
haben wir genug, an manchen nichts. Manchmal helfen andere Menschen mit | |
Geld aus, aber wer hat schon genug Geld, um anderen zu helfen? Für uns ist | |
das wichtigste, dass uns jemand zuhört. Wir wollen, die lebensnotwendigen | |
Dinge zur Verfügung haben. Und wir brauchen Stabilität. Wir wollen in | |
Sicherheit kommen und gehen. Wir wollen einfach nur ein gutes Leben haben,“ | |
fügt Nidhal Selim hinzu. | |
Für Iraks Christen kam der ermutigenste Teil der Reise am Sonntag, als | |
Franziskus per Helikopter nach Mosul geflogen wurde, jener größten Stadt | |
des Landes, den der sogenannte Islamische Staat (IS) über drei Jahre im | |
Griff hatte. Dort hatte deren Chef Abu Bakr Al-Bagdadi vor sieben Jahren | |
das IS-Kalifat ausgerufen, bevor Mosul dann Ende 2017 befreit wurde. | |
Die militanten Islamisten hinterließen verwüstete Kirchen. Und auch hier | |
erneut ein symbolischer Ort: Auf dem Hosh-Al-Bieaa, dem Kirchplatz umringt | |
von vier Kirchenruinen, hielt der Papst ein „Gebet für die Opfer des | |
Krieges“. Der Exodus der Christen aus dem Irak und anderen Teilen des Nahen | |
Ostens habe nicht nur Individuen und christlichen Gemeinden geschadet, | |
sondern sei ein Verlust für die Gesellschaften, die sie hinter sich | |
gelassen haben“, sagte Franziskus. | |
## „Geschwisterlichkeit ist dauerhafter als Geschwistermord“ | |
Wie grausam sei es, dass das Zweistromland, „die Wiege der Zivilisation | |
einem barbarischen Schlag ausgesetzt war, als alte Orte des Gebetes | |
zerstört und tausende Menschen, Muslime, Christen, Jesiden und andere mit | |
Gewalt vertrieben oder getötet wurden“. Aber, erklärte er weiter: „Heute | |
bestätigen wir unsere Überzeugung, dass Geschwisterlichkeit dauerhafter ist | |
als Geschwistermord, Hoffnung stärker ist als Hass und Frieden mächtiger | |
ist als Krieg“. | |
Anschließend besuchte der 84jährige die mehrheitlich von Christen bewohnte | |
Ortschaft Karakosh, um dort in der wieder hergerichteten „Kirche der | |
unbefleckten Empfängnis“ sein sonntägliches Angelus-Gebet zu halten. Dort | |
adressierte er vor allem die Christen des Landes mit einer Botschaft der | |
Ermutigung, auch wenn der Weg zu einer vollständigen Heilung noch lang sei. | |
Für viele auch nicht-christliche Iraker hat die Reise des Papstes vor allem | |
nach Mosul nicht vordergründig einen religiösen Charakter. Seine | |
Anwesenheit in der Stadt symbolisiert einen weiteren Sieg über den IS. | |
Mosul-Eye, ein Twitter Account von Omar Muhammad, der in Zeiten des | |
IS-Kalifat anonym die Welt über die damals verzweifelte Lage in seiner | |
Stadt informiert hatte, stellte am Sonntag in einem Tweet zwei Fotos | |
nebeneinander. Links ist aus den Zeiten, in denen der IS die Stadt | |
kontrolliert hatte, ein Gemälde an einer Mauer in der Stadt mit einem | |
rauchenden Kolosseum zu sehen und der Prophezeiung, dass der Eroberungszug | |
des IS bis nach Rom führen wird. Rechts ist Papst Franziskus abgebildet, | |
bei seinem Gebet am Kirchenplatz in Mosul. Darüber steht lakonisch an den | |
IS gerichtet: „Wie es begann und wie gerade läuft“. | |
7 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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