| # taz.de -- Frisörsalons im Lockdown: Locke up, Locke down | |
| > Frisörsalons auf oder zu? Das scheint momentan große Teile der | |
| > Bevölkerung umzutreiben. Alles nur eine Frage der Eitelkeit? | |
| Bild: Auch in Jena demonstrierten Frisörinnen am Mittwoch | |
| Nicht in den Spiegel zu schauen, ist dieser Tage leider keine Lösung. Denn | |
| die zahlreichen Online-Konferenzen, zu denen uns die Pandemie nun zwingt, | |
| halten es uns via Monitor unerbittlich vor Augen: [1][Auch die Frisörsalons | |
| sind im Lockdown]. Je nach Grad der Eitelkeit und des Humors ist der eigene | |
| Anblick sowie der der Muppethorde vor uns Grund zur Verzweiflung oder | |
| Heiterkeit. | |
| Die darbenden Frisöre selbst haben da ganz andere Probleme. In Mainz oder | |
| Jena demonstrierten sie am Mittwoch für die rasche Wiedereröffnung. „Als | |
| Zeichen der Trauer“ erschienen sie ganz in Schwarz, praktisch, da | |
| Frisörinnen meiner Wahrnehmung nach ohnehin gern schwarz tragen. | |
| An diesem zeitlosen Chic könnte sich [2][Claus-Dietrich Lahrs, Chef des | |
| Modelabels s.Oliver], mal ein Beispiel nehmen. Die bereits ausgelieferte | |
| Frühjahrskollektion könne er im März nicht mehr anbieten, weint das | |
| Luxusbienchen – da geht es ihm wie den Brauern, die bis zum Frühling | |
| Hunderttausende Hektoliter Bier vernichten müssen. Er hält die Schließung | |
| seiner Geschäfte für eine „willkürliche Entscheidung“, solange | |
| Lebensmittelläden geöffnet haben. | |
| Erst wenn die Menschen auch nichts mehr zu essen kaufen können, ist für ihn | |
| so etwas wie Gerechtigkeit hergestellt. Vielleicht steckt auch die vage | |
| Hoffnung dahinter, dass Hungernde nach dem Lockdown alle kleinere | |
| Kleidergrößen brauchen – ein Bombengeschäft für den Klamottenzar. | |
| ## Jeder Zentimeter ein klares Statement | |
| Doch [3][zurück zum Frisörhandwerk], denn das ist kulturgeschichtlich und | |
| emotional für uns von weitaus größerer Bedeutung. Wer als Junge in den | |
| 1970er Jahren groß geworden ist, der weiß zum Beispiel, welch ein Kampf | |
| dahinter steckte, die Hoheit über den eigenen Kopfbewuchs gegen die | |
| Altvorderen durchzusetzen. In der Öffentlichkeit spielten langhaarige | |
| Hippies und „Gammler“ als Inkarnationen des Linksextremismus eine große | |
| Rolle. Auch die an jedem Dorfbahnhof hängenden Fahndungsplakate der RAF | |
| (für uns Kinder durchaus heimlich unheimliche Helden) sprachen | |
| frisurentechnisch eine klare Sprache, und somit war zu Hause das Politische | |
| privat und das Private politisch: Jeder Zentimeter länger als erwünscht war | |
| hier ein klares Statement. Mit Schmeicheleien, Schlägen und Drohungen wurde | |
| der Knirps zum Frisör genötigt. | |
| Und auch hier und heute ist die allgemeine Erregung groß. Jede und jeder | |
| hat unbedingt eine dezidierte Meinung dazu, [4][ob Frisörsalons ganz, halb | |
| oder gar nicht systemrelevant sind] und entsprechend vordringlich geöffnet | |
| werden oder eben einfach mal verrecken sollen: „Meine Freundin schneidet | |
| mir die Haare“, „Ich hab ’ne Glatze“, „Mir ist egal, wie ich aussehe�… | |
| habe bei Amazon eine Schermaschine bestellt“, „Im Jemen ist Krieg“ lauten | |
| nur einige der beliebtesten Totschlagargumente. Und für den Jungen aus den | |
| Seventies hielte das haltlose Wachstum womöglich sogar einen kathartischen | |
| Effekt und eine Befreiung aus dem kindlichen Frisörtrauma bereit, wäre er | |
| jetzt nicht Mitte fünfzig und würde ungestutzt aussehen wie ein von einem | |
| Schmutzgeier ausgekotztes Aasgewölle. | |
| Das Thema hat sogar echtes Skandalpotenzial. Profifußballspieler stehen in | |
| dem Ruch, sich in klandestinen Friseursalons den aktuell coolsten Cut | |
| verpassen zu lassen, mit dem sie dann ja für jeden offensichtlich auf dem | |
| Fernsehschirm erscheinen. Und auch die Redaktion des Düsseldorfer | |
| Handelsblatts scheint vor dieser Versuchung nicht gefeit zu sein. „Von | |
| irgendetwas muss man ja leben“, winkt die sonst so gestrenge | |
| Wirtschaftszeitung augenzwinkernd mit dem Zaunpfahl. Da scheint doch | |
| tatsächlich die Akzeptanz von Schwarzarbeit für Frisörinnen durch. Schwarz | |
| angezogen sind sie immerhin schon. | |
| 10 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Frisurenfrust-wegen-Corona/!5747764 | |
| [2] https://www.deutschlandfunk.de/einzelhandel-im-lockdown-unsere-geschaefte-s… | |
| [3] /Lage-in-Berlin-immer-haariger/!5745049 | |
| [4] /Protokoll-Arbeit-und-Corona/!5728358 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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