# taz.de -- Ehemaliger Vuelta-Sieger als Helfer: Der lange Abstieg | |
> Vom Champagnerverschütter zum Wasserflaschenträger: Radprofi Chris Froome | |
> hat eine ungewöhnliche Metamorphose hinter sich. | |
Bild: Betretenes Abtreten: Pedaltreter Chris Froome bei der Vuelta | |
Madrid taz | Chris Froome hat bei dieser Vuelta ungewöhnliche Dinge zu tun. | |
Er eiert meist hinten im Peloton herum. Seine Klassementplatzierungen waren | |
zuletzt 111, 112 und 91. Bei den Gesamträngen 111 und 112 konnte man noch | |
sagen, dass diese Ziffern seiner früheren Karriere entsprachen. Zwei Mal | |
gewann er die Vuelta – einmal davon am grünen Tisch – zwei Mal wurde er | |
Zweiter. Auch Gesamtrang 114 hätte rein kabbalistisch seiner bisherigen | |
Laufbahn entsprochen, denn Vierter wurde er auch einmal bei der | |
Spanienrundfahrt. Jetzt aber dümpelt er im dreistelligen Bereich des | |
Klassements herum. | |
Einen solchen Absturz erlebten Grand-Tour-Sieger selten. Lance Armstrong | |
etwa wurde nach seinem späten Comeback 2009 noch einmal Dritter der Tour de | |
France, im Jahr darauf wenigstens 23. Cadel Evans, Toursieger 2011, kam bei | |
seiner letzten Frankreich-Rundfahrt auf einen zwar anonymen 39. Gesamtrang. | |
Er gehörte aber immer noch zur ersten Hälfte des Pelotons. Froome hingegen | |
hat in diesen Tagen ein Dauerabonnement im Grupetto der abgehängten | |
Sprinter. | |
Auch in Asturiens Bergen gehörte er zu denen, die früh abreißen ließen. | |
Ausgerechnet in Asturiens Bergen, muss man dazu sagen. Denn am Alto de la | |
Farrapona ging 2011 sein Stern als Rundfahrer auf. Er beschützte da | |
vorbildlich seinen Kapitän Bradley Wiggins und kletterte selbst hinter | |
Wiggins auf Gesamtrang 2 vor. Am Ende wurde er Gesamtzweiter – vor Wiggins! | |
Und bekam den Sieg nachträglich zugesprochen, weil der Sieger auf der | |
Straße, Juanjo Cobo, bei einer Dopingnachanalyse überführt worden war – | |
aber erst 2019. Der „Büffel von La Pesa“ hatte nicht, wie der Spitzname | |
vermuten ließe, mit Kälbermastmitteln nachgeholfen. Zum Verhängnis waren | |
ihm Anomalien im Blutpass geworden – entdeckt acht Jahre später, auch ein | |
Kuriosum. | |
An ausgerechnet diesem Alto de la Farrapona verabschiedete sich Froome bei | |
der aktuellen Vuelta bereits am Fuße des Anstiegs. Nicht in Richtung | |
Fluchtgruppe, nicht mit einem enormen Antritt nach vorn. Er fiel einfach | |
hinten heraus, ließ Fahrer um Fahrer an sich vorbeiziehen und konnte nicht | |
einmal in seinem Zweitjob als Helfer noch besondere Dinge verrichten. | |
## Paar Flaschen | |
Denn ein Helfer ist er jetzt. Helfer von Richard Carapaz, dem letztjährigen | |
Giro-Sieger, der gerne dem Titelverteidiger Primoz Roglic das rote Leibchen | |
abluchsen will. Carapaz hat auch feine Worte für seinen neuen Dienstleister | |
übrig. „Ja, er hat mir schon ein paar Flaschen gebracht“, sagte er der taz. | |
Nicht dann, wenn es ganz dringend ist, also am letzten Berg, als letzte | |
Kraftauffrischung. | |
Aber immerhin funktioniert der Lieferdienst Froome zumindest bei den frühen | |
Etappen. „Chris ist mit seiner Ausstrahlung, seiner Präsenz und seiner | |
Erfahrung auch ungeheuer wichtig für das Team“, sagte Carapaz noch. | |
Extrastärkung am Frühstückstisch bedeutet das wohl, Aura-Auffrischung, wenn | |
man zusammen an der Tafel sitzt. | |
Froome immerhin nimmt den neuen Job gelassen an. Kein Frust über die | |
Zurückstufung ist zu merken. In der Öffentlichkeit fällt kein Wort darüber, | |
ob Carapaz, der neue Kapitän, taktisch nicht besser die eine oder andere | |
Kleinigkeit auf bessere Weise umgesetzt hätte. Nein, Froome geht in seiner | |
Helferrolle auf. Es ist ein Zeichen für den Sportsgeist dieses Mannes. | |
Sportliche Leiter anderer Teams haben nun ein tolles Beispiel, wenn sie | |
fordernde Jungprofis auf etwas mehr Demut einstimmen wollen. „Schaut, was | |
Froomey macht. Nach all seinen Rundfahrtsiegen stellt er sich jetzt voll in | |
den Dienst der Mannschaft!“ | |
## Israel Start-up Nation | |
Chris Froome, vierfacher Tour- und insgesamt siebenfacher | |
Grand-Tour-Sieger, hat eine realistische Entscheidung getroffen. Er hat | |
gemerkt, dass er nach dem schweren Sturz bei der Dauphiné 2019 noch immer | |
weit entfernt von seiner alten Verfassung ist. Er stellt sich trotzdem den | |
Augen aller: den Augen derer, die er bislang dominiert hatte. Den Augen des | |
Publikums, das ihn mal bewundert, ihm mal wegen seiner Dominanz gezürnt | |
hatte. Und er geht den Weg eines modernen Sisyphos. Er rollt bei laufender | |
Kamera den Stein immer wieder den Berg hoch, in der Hoffnung, dabei wieder | |
jene Kräfte zu gewinnen, die er einst hatte – und für die ihn der | |
kanadisch-jüdische Milliardär Sylvan Adams auch für 2021 in sein Team | |
„Israel Start-up Nation“ eingekauft hat. | |
Ob dies gelingen wird, weiß nicht einmal Froome selbst. Aber die | |
Metamorphose vom Haupt- zum Nebendarsteller glückt ihm, zum gegenwärtigen | |
Zeitpunkt zumindest, so gut wie selten jemandem im Sport- und Showgeschäft. | |
Ein besonderes Kapitel Sportgeschichte wird derzeit bei der Pandemie-Vuelta | |
geschrieben. | |
1 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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